Paradiesische Orte: Eine kleine Kulturgeschichte des Gartens

Stand: 11.09.2023 13:25 Uhr

Mit "Garden Futures" präsentiert das Vitra Design Museum in Weil am Rhein eine große Ausstellung zur Geschichte und Zukunft des modernen Gartens - und geht auf Spurensuche: Welche Ideen und Vorstellungen haben unser heutiges Gartenideal geprägt? 

Wir hätten es so schön haben können. Kein Umgraben steinharter Erde, kein ständiges Gießen, kein Kampf gegen Blattläuse. Einfach im Gras lümmeln, Sonne auf den Bauch scheinen lassen, ab und zu einen Apfel essen - bis auf den einen! Wir haben es verbockt.

Die Sache mit dem Zaun beim Garten

Seit dem Rauswurf aus Eden, versuchen wir uns an der Kopie des Paradieses: Ein Fleck Erde, auf dem die Natur keine Bedrohung ist und die Schlange diesmal draußen bleibt. "Ein Garten ist immer eingefriedet, immer abgeschottet, immer etwas, was wir so aus der Natur herauslösen, um dort irgendwie unser eigenes Idealbild der Natur zu schaffen", sagt Viviane Stappmanns, Kuratorin des Vitra Design Museums. "Dieser Zaun ist also etwas ganz Essenzielles, was zum Garten dazugehört."

Festung und Schlachtfeld in einem

Der Garten ist Festung und Schlachtfeld in einem. Die Waffenkammer, die das Vitra Museum zeigt, belegt das eindrucksvoll. Der Garten ist vor allem ein Ort der Kontrolle. Als Extrembeispiel für diese These müssen in der Regel immer barocke Anlagen herhalten, in denen jedes Bäumchen und jede Hecke vor der Machtfülle eines absolutistischen Herrschers strammstehen müssen.

Egal welche Epoche und welcher Erdteil: Der Garten lehrt etwas über die Natur des Menschen. Über seine unbändige Kreativität, das eine Thema immer wieder neu zu denken und noch dem unwirtlichsten Ort, Schönheit abzuringen.

Hinter jedem Strauch lauert das Politische

Der Garten wird zwar gerne zum privaten Rückzugsort vor den Unbilden dieser Welt stilisiert, ist dafür aber nur bedingt geeignet. Hinter jedem Strauch lauert das Politische. Gerade in Krisenzeiten. Während der letzten beiden Weltkriege wird Gärtnern zu einem patriotischen Akt. Tausende Amerikaner legen sogenannte Victory Gardens an, um die hungernden Alliierten in Europa oder die eigenen Truppen zu versorgen.

Auch die Schweizer starten ab 1940 nicht nur auf ihren Feldern, sondern auch in Parks und Gärten die sogenannte Anbauschlacht, um sich von Lebensmittelimporten unabhängig zu machen. Der propagandistische Effekt war vermutlich größer. Zumindest wie etwa bei einem Londoner Victory Garden, der in einem Bombenkrater angelegt wurde.

Gartenkunst und völlig neues Naturverständnis

Patriotismus kann aber auch zu Meisterwerken der Gartenkunst und einem völlig neuen Naturverständnis führen. Ende der 1920er-Jahre besuchte ein junger Brasilianer den Botanischen Garten in Berlin. Fasziniert stellte er fest, dass dort jene tropischen Pflanzen ausgestellt werden, die in seiner Heimat als unzivilisiert gelten, während man die Parks von Rio de Janeiro mit europäischer Importware schmückt.

Ein Schlüsselerlebnis, das Roberto Burle Marx zu einem Entdecker und Sammler südamerikanischer Flora macht. Mit der gestaltete er seine Gärten und wurde zu einem der wichtigsten Landschaftsarchitekten der Moderne. Weltweit schuf er über 2.000 Anlagen.

Umgestaltung durch Dürresommer und invasive Arten

Gerade erleben wir, wie unsere schönsten historischen Gartenkreationen durch häufigere Dürresommer und Sturmschäden, durch Pilzerkrankungen und invasive Insektenarten umgestaltet werden. Wie sie sich der Kontrolle entziehen. Trotzdem hoffen wir unbeirrt auf unsere Rettung im Grünen.

Wie sieht der Garten der Zukunft aus?

Der Garten der Zukunft, so verspricht es die Ausstellung, wird unsere Städte durchdringen, Menschen, Pflanzen und Tieren gleichermaßen offenstehen. Und unsere permanenten Eingriffe in die Umwelt werden sich hier endlich einmal ins Positive wenden. Wir werden unsere Wohntürme begrünen, auf ihren Dächern und in den Schluchten dazwischen Urban Gardening betreiben und Bestäubergärten anlegen. Und die ökologische Wüste des kurzgeschorenen Vorgartens wird für immer Vergangenheit sein. Kurz gesagt: Es wird paradiesisch. Diesmal ganz bestimmt!

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur - Das Journal | 11.09.2023 | 22:45 Uhr

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