"Corpus delicti" ein Stück über eine fiktive Gesundheitsdiktatur
Juli Zeh schrieb "Corpus Delicti" ursprünglich für das Theater. Das Stück über eine fiktive Gesundheitsdiktatur am Ende des 21. Jahrhunderts wurde als Roman ein Bestseller. Jetzt kehrt der Stoff in der Regie von Milena Mönch in Celle auf die Bühne zurück.
Mia Holl ist verzweifelt. Ihr Bruder Moritz hat sich im Gefängnis erhängt. Des Mordes angeklagt, aber nach eigenem Beteuern unschuldig, hat ihn eine DNA-Probe überführt. Das Verfahren hat Methode. Mia und Moritz leben in einer Gesundheitsdiktatur. Gesundheit geht über alles, das Rechtssystem ist vom System der Methode abgelöst, das Gefühl von der Vernunft. Der Staat überwacht das Wohlergehen seiner Bürgerinnen und Bürger. Aber ist das wirklich nur zu ihrem Besten?
Im barocken Schlosstheater von Celle schwebt eine orange, unregelmäßig aufgehängte Stoff-Bahn über einer leeren Bühne. Es gleicht einem Organ, was arbeitet, ganz langsam ändert es seine Form. Diese Stoffbahn steht im Gegensatz zu dem geschäftigen Treiben der Personen, die sich darunter begegnen. Mia Holl ist gegen den Staat und seine Methoden. Als sie wegen ihrer Trauer um den verlorenen Bruder die vorgeschriebenen Routinen zu Ernährung, Schlaf und Bewegung vernachlässigt, gerät sie ins Visier der Justiz. Mia wird angeklagt, im Prozess stellt sich jedoch die Verurteilung ihres Bruders als Irrtum heraus, daraufhin wird sie freigesprochen.
Corpus delicti: Vom verzweifelten zum kämpferischen Spiel
Mia Holl wandelt sich im ersten Teil von der Verzweifelten in die Kämpferische am Ende. Auch die Souveränität des Spiels von Lisa Mader in dieser Rolle steigert sich im Verlauf der Handlung. Pia Noll ist kräftig geschminkt mit roten Stressflecken im Gesicht, sie verleiht ihrer Figur, der Richterin Sophie, etwas Künstliches. Thomas Wenzel gibt den pflichtbewussten Anwalt Rosentreter, Dirk Böther den geerdeten Begleiter Kramer, der Mia gegen das System stützt. Ab und zu taucht auch Mias Bruder Moritz auf, ein lässiger Freak mit Gitarre, gespielt von Dimitrij Breuer.
Lou Ann Hinderhofer, die die Bühne und die Kostüme entworfen hat, setzt wenige, aber symbolträchtige Zeichen. Die Akteure der Justiz - Richterin Sophie und Anwalt Rosentreter - hat sie in edle, grün schimmernde Hemden mit großen Puffärmeln gesteckt, schwarze Brustbinde und Stiefel bis über das Knie erinnern an die Strenge des Gesetzes. Mia und ihr Bruder hingegen treten in schlichter Alltagskleidung auf, Kramer ist als Instanz der Gesellschaft in einem langen schwarzen Mantel zu sehen.
Staat versus Zivilgesellschaft - Ratio versus Emotio
Im zweiten Teil der Vorstellung, in dem Mia im Vordergrund steht, geht es um den Prozess und die Schuld oder Unschuld. Auf der Bühne hängt ein Leuchtquadrat über den Köpfen der Schauspielerinnen und Schauspieler. Das verleiht der Szene etwas Sachliches: Hat die Ratio die Emotio abgelöst? Immer wieder hüllt Theaternebel diese Fragestellung in Ungewissheit. Am Ende schweben Mia und ihr Begleiter in die Höhe. Steht der Mensch über den Kategorien der Gesellschaft, also gottgleich?
Es sind viele Fragen, die diese Inszenierung aufwirft und es gäbe viele Verbindungslinien zu den aufgeregten Debatten der gegenwärtigen Pandemiezeit. Doch diese werden nur indirekt berührt. Was etwa darf der Staat in der Gesundheitsfürsorge vorschreiben, wie weit darf er gehen? Und wo endet auf der anderen Seite die Freiheit des Einzelnen. „Kann jeder einen SUV fahren und Fleisch essen?“, wird Regisseurin Milena Mönch im Programmheft zitiert. Darauf eigene Antworten zu finden, dafür gibt diese angenehm unaufgeregt und geradlinig erzählte Version eine gute Möglichkeit. Das Publikum belohnt sie mit einem kräftigen Applaus.
"Corpus delicti" ein Stück über eine fiktive Gesundheitsdiktatur
"Corpus delicti" in Celle ist ein Stück, was viele Fragen aufwirft mit vielen Verbindungen zu den Debatten der Pandemiezeit.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
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Schlosstheater Celle
Schlossplatz 1
29221 Celle - Preis:
- ab 20 Euro