"Bühnenmütter" wollen Austausch mit Betroffenen fördern
Für Frauen am Theater ist es nicht immer leicht, Kinder und Karriere zu vereinen. Der Verein "Bühnenmütter" hat eine Pilotstudie gemacht, um Veränderungen im System Theater anzustoßen.
Ein verregneter Hamburger Herbstnachmittag, Gesangsunterricht zu Hause bei Annika Sophie Mendrala. Sie gibt ihrer Schülerin Gisela Tipps. Oben im Haus bastelt eine von Mendralas Töchtern, die andere macht Hausaufgaben. Sieben und zwölf Jahre sind sie alt. "Diese Schüler sind die einfachste Variante, meine Kinder viel zu sehen und mich nachmittags um sie kümmern zu können. Es reicht ihnen, dass ich da bin und wenn etwas wirklich wichtig ist, kommt ein Kind runter", erzählt Mendrala.
Dieser Teil ihres Berufs lässt sich super ins Familienleben der Mutter integrieren. Beim Rest ist es kniffliger: Als Gesangspädagogin lehrt Mendrala an der Hochschule der Künste in Bern und leitet das Vokalwerk Hamburg. Zudem steht sie als Sopranistin auf der Bühne. Wie schwierig es ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, das hat sie lange mit sich ausgemacht. Dass sie Mutter ist, verschwieg sie Arbeitgebern sogar ganz: "Wir werden in der Ausbildung darauf getrimmt, 100 Prozent, 150 Prozent zu geben, sich immer dem Job hinzugeben, alles dem unterzuordnen. Dann ist man ein wertvoller Künstler und dann schafft man es. Wenn man Kinder hat und es aus Kraftgründen nicht schaffen kann, entwickelt man als ersten Impuls eine Schamhaftigkeit darüber."
Austausch brachte neue Klarheit und Wut
Ein Wiedersehen änderte das. Annika Sophie Mendrala traf ihre alte Freundin, die Mezzosopranistin Verena Usemann wieder, mit der sie früher im Kinderchor der Hamburger Staatsoper gesungen hatte. Die beiden Sängerinnen teilten ihre Erfahrungen, so Mendrala: "Dann kam uns der Verdacht, dass da vielleicht etwas Systematisches dahintersteckt. Dass es vielleicht Dinge gibt, die an Theatern nicht nur familienunfreundlich sind, sondern dass die Familienplanung der Künstler*innen und auch der Mitarbeiter*innen überhaupt nicht mitgedacht und mitgeplant wird."
Der Austausch brachte neue Klarheit und Wut auf das, was aus ihrer Sicht falsch läuft: Proben am Abend, fehlende Planbarkeit und eine familienunfreundliche Atmosphäre. 2021 gründeten die beiden Freundinnen die Initiative "Bühnenmütter", um Gleichgesinnte zu vernetzen und ins Gespräch zu bringen.
Pilotstudie zeigt: 45 Prozent wegen Mutterschaft diskriminiert
Immer wieder werden sie gefragt, warum sie sich nur an Frauen wenden. "Es gibt einen ganz großen Gender Pay Gap, einen Gender Care Gap. Ich wünschte, alle Männer hätten die gleichen Probleme wie Frauen, dann wären sie alle eingeladen, bei uns mitzumachen. Im Moment haben die Frauen einfach viel mehr zu tragen und diskriminierungsmäßig viel mehr erlebt", sagt Mendrala.
Um ihre Kritik zu untermauern, haben die "Bühnenmütter" gerade die Ergebnisse ihrer Pilotstudie veröffentlicht. Teilgenommen haben 121 Mütter oder werdende Mütter, darunter Schauspielerinnen, Sängerinnen, Regisseurinnen und Tänzerinnen. Fast die Hälfte - 45 Prozent - gab an, im Berufsleben diskriminierendes Verhalten aufgrund der Mutterschaft erlebt zu haben: abfällige Kommentare, mangelnde Kooperationsbereitschaft oder Druck. Jeder Vierten wurde der Vertrag aufgelöst oder man schloss sie aus Produktionen aus. 40 Prozent der Teilnehmerinnen ziehen in Erwägung, den Beruf aufzugeben.
Die Antworten aus der Studie lesen sich bitter:
- "Nachdem das Theater von meiner Schwangerschaft erfuhr, wurde mir mein Stückvertrag gekündigt."
- "Nach der Geburt wurde ich mit: 'Na? Mudder?' begrüßt und mir wurde jegliche künstlerische Kompetenz abgesprochen."
- "Bis zum Kind war es ein großartiger Beruf. Jetzt muss ich neu schauen."
Forderung nach strukturellen Veränderungen
Annika Mendrala und ihre Mitstreiterinnen fordern von Theatern und Opernhäusern strukturelle Veränderungen. Nicht nur, um für sich selbst die Bedingungen zu verbessern, sondern auch um die Kunst vielstimmig zu machen: "Ich will Stücke sehen von diesen Frauen. Ich will deren Regie-Ideen sehen. Ich will diese Kostüme sehen und ich will diese Darstellerinnen sehen. Ich will, dass das auch eine 20-Jährige sieht und weiß: Ich kriege Kinder und danach bin ich wieder auf der Bühne. Ich sehe an diesen Beispielen, dass das geht."