Schild mit dem Schriftzug "Closed" © imago
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AUDIO: Discosterben: "Haben eine Krise der Massenkultur" (6 Min)

Discosterben: "Haben eine Krise der Massenkultur"

Stand: 17.08.2023 16:01 Uhr

In den vergangenen zwölf Jahren haben in Deutschland viele Diskotheken dicht gemacht. Woher kommt dieser Trend? Ein Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler Bernhard Heinzlmaier, Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung.

Herr Heinzlmaier, 2011 gab es noch mehr als 1.800 Diskotheken in Deutschland, 2019 nur noch 1.400. Dann kam Pandemie, Inflation und Energiepreise - und es sind noch weniger geworden. Woran liegt das? Sind die jungen Menschen tanzfaul geworden?

Bernhard Heinzlmaier: Tanzfaul sind sie nicht geworden, aber wir sehen, dass die Leute immer weniger Geld zur freien Verfügung haben und dass sie immer genauer auf den Euro achten müssen. Viele können sich, vor allem Jugendliche aus den Mittelschichten, die Diskothek einfach nicht mehr leisten.

Das würde aber den Effekt der Zehnerjahre noch nicht erklären, denn da war die Inflation noch nicht so groß.

Heinzlmaier: Die Krise und Teuerung ist nur ein Faktor. Der zweite Faktor ist, das wir auch eine Krise der Massenkultur haben - wir merken das zum Beispiel auch im Wintersport. Diese traditionelle Unterhaltungskultur, die Musik, die Kommunikation, das kommt einfach nicht mehr so an, vielen ist das zu vulgär. Vor allem die Mittelschichten sind anspruchsvoller geworden. Wir haben mehr gebildete Menschen. Diese Form der Vulgärkultur kommt heute nicht mehr so gut an - da muss man sich schon mehr einfallen lassen, wenn man die Menschen gut unterhalten will.

Und was heißt "mehr einfallen lassen"?

Heinzlmaier: Das heißt, nicht nur die gängige Musik, die den ganzen Tag im Radio läuft, ablaufen zu lassen, sondern mehr Effekte, Verbindungen mit anderen Formen der Unterhaltung, vielleicht mehr Live-Musik anbieten, mehr bestimmte Genres herausheben. Ich denke, da muss die Branche etwas kreativer werden.

Das entspricht auch einer privaten Beobachtung von mir. Denn die illegalen Partys, die geheimen Orte, wo man sich trifft, sind nach der Pandemie gar nicht verschwunden. Wissen Sie da auch etwas drüber?

Heinzlmaier: Wir sehen schon seit zehn, 15 Jahren eine Tendenz zur Privatparty - also Rückzug aus der Öffentlichkeit. Das hat bei Jugendlichen vor allem auch damit etwas zu tun, weil es mehr Kontrollen gibt. Je rigider der Jugendschutz, desto mehr Privatparty, desto weniger Diskothek. Außerdem kann ich bei der Privatparty alles selber programmieren, und es sind genau die Leute da, mit denen ich feiern will und nicht andere, die mich vielleicht dabei stören.

Ist das dieses Verlangen der Generation Z, von der wir jetzt sprechen, nach Individualisierung und nach dem eigenen Programm?

Heinzlmaier: Das ist es. Wir haben eine massive Tendenz zur Individualisierung. Das führt dazu, dass es mehr Individualunterhaltung und weniger Massenunterhaltung gibt. Die Masse nimmt man in Kauf, wenn es große Musikfestivals sind, wo man den den Star, den man liebt, sehen möchte. Aber sonst versucht man eher, der Masse zu entgehen. Die Tendenz geht in Richtung Qualität und weg von Quantität.

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Wie könnte die Großraumdiskothek auf dem Land, die darauf angewiesen ist, dass viele Leute aus dem Umland kommen, darauf reagieren?

Heinzlmaier: Ja, ich glaube da muss man wirklich die Kultur etwas mehr eventisieren: Man muss große Events mit Stars dorthin bringen. Man muss mehr mit Veranstaltern kooperierten. Dieses Breitband-Programm, dass man da immer durchlaufen lässt, wo es in Wirklichkeit nur darum geht, dass die Menschen dort ordentlich konsumieren und vielleicht einen Sexualpartner finden - das alleine ist zuwenig. Man muss kreativ sein. Das Programm muss besser werden. Dieses 08/15-Modell hat sich bereits totgelaufen und wird nicht mehr zum Leben zu erwecken sein.

Wie sieht es denn in Österreich aus?

Heinzlmaier: Da ist die Situation ganz ähnlich. Da gab es eine massive Flurbereinigung, allein schon durch die Krisen, die wir hatten. Corona führte zu Schließungen, und man hat bestenfalls ein Notprogramm gefahren. Das Schlimme ist: Die Lage hat sich nach Corona nicht mehr erholt. Das führt man darauf zurück, dass die Leute mehr das digitale Angebot in Anspruch nehmen und sich stärker ins Privatleben zurückziehen, weil sie während der Corona-Zeit schlechte Erfahrungen mit dem Kontrollstaat gemacht haben. Der Staat hat sich zu sehr in das Privatleben eingemengt, man hat zu sehr den öffentlichen Raum kontrolliert. Das alles hat dazu geführt, dass sich die Verhaltensweisen geändert haben. Man entzieht sich dem und bleibt lieber zuhause. In Österreich haben wir ein ähnliches Problem wie in Deutschland.

Welche Clubs oder Diskotheken besuchen Sie, und sei es zur Feldforschung?

Heinzlmaier: Ich habe glücklicherweise eine Abteilung in unserem Unternehmen, die sich mit Feldforschung beschäftigt. Das sind blutjunge Leute, die das einfach besser ertragen können. Da haben wir unsere Botschafter und Botschafterinnen, die dorthin gehen und dort die Lage sondieren. Ich selbst bin eher ein Rock-Fan und fühle mich mehr von Festivals wie "Wacken" angezogen als von einer Großraumdiskothek im ländlichen Raum.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 17.08.2023 | 16:15 Uhr

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