Bilanz der Kunstfestspiele Herrenhausen: Weniger Theater, mehr Klang
Weniger Theaterperformances als im vergangenen Jahr, dafür Klangerforschung und viel Spiel mit dem Rollentausch - das bot die 13. Ausgabe der Kunstfestspiele Herrenhausen in Hannover, die erstmals seit Beginn der Pandemie wieder in vollem Umfang stattfinden konnte.
Am Wochenende beeindruckte das genreüberschreitende Festival noch einmal mit einer Tanzperformance: "Ensaio para uma cartografia" aus Portugal.
Nacktheit als verbindendes Element
Zu Klängen einer Orchesterprobe aus Lautsprechern haben sich 13 Frauen in V-Formation in Reih und Glied aufgestellt. Musik und die Stimme des Dirigenten wechseln sich ab. Immer wieder unterbricht er das Spiel, immer wieder beginnen die Tänzerinnen von Neuem. Wie nach einer Krise, wo man einen neuen Weg finden muss, sagt Mónica Calle, die mit ihrem Theaterkollektiv Casa Conveniente in Lissabon immer wieder Menschen im Umbruch auf die Bühne holt. Jede Krise ist individuell, doch hier gibt es ein verbindendes Element: Alle Frauen sind nackt.
"Es ist eine Einheit von Körpern, aber sie sind total unterschiedlich. Kostüme würden das verhüllen", erklärt Cale. "Unsere Körper sind verschieden alt, jeder hat eine bestimmte Fragilität, einen bestimmten Muskelaufbau, ist spezifisch. Es bietet die Möglichkeit, so viele verschiedene, weibliche Körper anzugucken, ohne dass eine Maskierung uns verändert. Es ist die Möglichkeit, dass sich das Publikum wiedererkennen kann in unseren Körpern, in unserer Reise."
Wiederkehrendes Thema: Weg vom Diktat des Perfektionismus
Eine Reise fort vom Diktat des Perfektionismus, von gängigen Aufführungspraktiken - ein wiederkehrendes Thema bei den Kunstfestspielen Herrenhausen. Inspiriert von einem Werk Alois Zimmermanns, tanzte ein divers zusammengesetztes Ensemble in den surrealen "Bilderschlachten" von Stephanie Thiersch. Dazwischen revoltierte das Siècle Orchester, schickte den Dirigenten als Tänzer auf die Bühne. In "Raue Einstellungsbilder" ließ Pianistin Clara Frühstück ihren Flügel durch die lange, barocke Orangerie rollen.
Für Rainer Hofmann, in diesem Jahr erstmals leitender Dramaturg der Kunstfestspiele Herrenhausen, ein Impuls, noch mehr über die Räume nachzudenken. "Wir haben natürlich sehr ungewöhnliche Räume: die Gärten, die Galerie - diesen Ballsaal aus dem 17. Jahrhundert", sagt er. "Wir müssen noch mal gucken: Wie kann man klug mit diesen Räumen umgehen, was passt da rein und passt da nicht rein? Also, das sehr Spezifische an diesem Festival nochmal genau untersuchen."
Sphärische Installationen und viele Chöre
Quasi ohne Raum funktionierte die Installation "Looking-Glass House" der Amsterdamer Künstlerinnen Andrea Božić und Julia Willms im Arne Jacobsen Foyer. Sphärisches Rauschen auf den Ohren, eine weiße Schutzbrille auf der Nase, blickten die Besucherinnen und Besucher auf wechselnde Farbflächen. In Kuppelsaal und Elbphilharmonie hingegen erklang das Auftragswerk "rwh 1-4" des französischen Komponisten Marc André, das den Raum explizit mit einbezog - mit sechs Chören.
Gesang spielt auch im kommenden Jahr eine Rolle
Und der Gesang wird auch im kommenden Jahr in Hannover eine Rolle spielen, sagt Intendant der Kunstfestspiele Herrenhausen Ingo Metzmacher, bei Mahlers 8. Sinfonie. "Das hat damit zu tun, dass wir so viele wunderbare Chöre in der Stadt haben", sagt er. "Es ist eigentlich ein Chorstück, wird auch 'Sinfonie der Tausend' genannt, obwohl Mahler das nicht selbst so genannt hat. Es hat sich einfach angeboten, die Zusammenarbeit mit der NDR Radiophilharmonie, mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien und den Hannoveraner Chören fortzusetzen und da liegt es quasi auf der Hand, dass man Mahlers 8. Sinfonie macht."
Bleibt zu hoffen, dass es dann auch wieder ein mächtiges künstlerisches Werk geben wird, das die Herrenhäuser Gärten bespielt. Nach der genial illuminierten großen Fontäne 2020 und der kontemplativen Grachtenfahrt im vergangenen Jahr, wurde das Potential des großen Gartens in diesem Jahr nicht gebührend genutzt.