Künstlerin und Mutter: "Viele haben bei der Kinderplanung Angst"
Wie gut sich das Leben als Künstlerin und Mutter vereinbaren lassen, damit befasst sich die Kunstkritikerin Larissa Kikol in "Mutter-schafft", dem aktuellen Themenband der Zeitschrift "Kunstforum International" - ein Gespräch.
Das Bild der Mutter hat Künstler seit jeher inspiriert. Die Fruchtbarkeitsgöttin, die Heilige, das Opfer - prägten lange unser Bild der Mutter. Aber welche Darstellungen von Mutterschaft zeigt die zeitgenössische Kunst jenseits dieser Klischees? Und wie steht es um die Mutter als Kunstschaffende? Warum haben so wenige erfolgreiche Künstlerinnen Kinder? Mit NDR Kultur spricht Kunstkritikerin Larissa Kikol darüber, wie Mutterschaft in der Kunstwelt gesehen wird und was Mütter ausbremst. Einen Auszug lesen Sie hier, das ganze Gespräch hören Sie in der ARD Audiothek.
Frau Kikol, Sie sagen: 'Mutterschaft dürfe kein Tabuthema mehr sein'. Inwiefern ist Mutterschaft denn ein Tabu?
Larissa Kikol: Es ist im Privaten natürlich kein Tabu, aber hier geht es speziell um die Kunstwelt. Es ist immer noch so, dass sich einige Mütter schwer damit tun, darüber frei zu reden. Zum Beispiel auch mit ihren Galeristen oder Sammlern zu kommunizieren, dass sie in Babypause gehen, dass sie schwanger sind, dass sie vielleicht eine Ausstellung verschieben müssen. Viele haben bereits bei der Planung Angst. Was passiert mit meiner Karriere? Wie kann ich beides schaffen? Es gibt einen großen Erwartungsdruck, dem viele auch gerecht werden wollen. Das erhöht den Druck auf ihr Muttersein noch einmal. Ich finde, darüber muss viel mehr gesprochen werden.
Also könnte man Mutterschaft als eine Art Stigma in der Kunstbranche sehen? Sind die Sorgen der Frauen berechtigt oder müssten die Künstlerinnen einfach nur mutiger sein, offener damit umgehen? Was ist Ihre Einschätzung?
Kikol: Ich begrüße es sehr, wenn man in seinen Lebenslauf schreibt, wenn man da eine Lücke hat: Ich habe mein erstes Kind geboren oder ich habe ein zweites Kind geboren und habe deswegen diese Lücke. Ich denke, das sollte auch von allen als ganz selbstverständlich akzeptiert werden. Aber wir haben alle diese Bilder im Kopf - ein Beispiel: Ich sprach mit der Galeristin Nicole Hackert über dieses Thema, das Interview ist auch in dem "Mutter-schafft"-Band. Und wir kamen darauf, ja was ist denn eigentlich, wenn ein Vater, ein Künstler-Vater, sein Kind mit zu einer Vernissage oder zu einem Termin nimmt? Dann finden das alle ganz super und süß. Wie toll, dass der Vater sich kümmert und sich so einbringt. Aber wenn es andersherum ist, also die Künstlerin-Mutter ihr Kind mitbringt auf den Termin, denken alle: Ach, die kriegt es nicht gebacken, ihr Kind mal abzugeben. Das ist eine Glucke, oder: Wie soll man denn mit der zusammenarbeiten? Da sind die Wahrnehmungen oft noch ganz unterschiedlich.
Ist es für Väter leichter, sich zu "outen"?
Kikol: Ja, nicht nur in der zeitgenössischen Kunst. In der ganzen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts war es ganz selbstverständlich, dass Künstler sich dazu bekannt haben, dass sie sich von Kindern und besonders auch von ihren Kindern haben inspirieren lassen. Das fängt beim Expressionismus an, wo es schon im Manifest hieß, man soll die Kunst durch Kinderaugen sehen. Es ging weiter über Dada, Surrealismus und den Fluxus bis heute zu Jonathan Meese und seinen kindlichen, spielerischen Formen. Ganz viele große Innovationen und Erfindungen in der Kunstgeschichte sind durch Kinder inspiriert worden. Männer haben selbstbewusst dazu gestanden und es hat auch niemand hinterfragt. Bei Frauen ist es immer noch ein bisschen schwieriger. Man muss sich mal vorstellen, es gäbe einen weiblichen Jonathan Meese, eine Frau, die mit ihren Kuscheltieren, ihren Spiel-Manifesten und mit ihrem Vater an der Hand zu Aufführungen geht.
Sie haben sich nicht nur mit Mutterschaft, sondern auch mit dem Thema des Kindlichen, des Verspielten beschäftigt, darüber gearbeitet und geforscht. Mutterschaft und das Kindliche hängen ja offensichtlich unmittelbar zusammen. Trotzdem wirkt es oft wie zwei konträre Seiten. Auch wenn man ihren Band liest, so nehme ich es wahr, haftet der Mutterschaft in der Kunst wenig Spiel- und Schaffensfreude an, sondern es wirkt eher wie Schmerz und Kampf. Täuscht das? Widerlegen Sie mich gerne, wenn ich das falsch sehe.
Kikol: Ich glaube, zum Teil ist es so. Das hat aber auch mit der Kunstgeschichte zu tun. Als Frauen, gerade in den 60er, 70er-Jahren anfingen, auf die Bühne zu treten, als die feministischen Strömungen anfingen, hatte das ja ganz viel mit körperlichem Schmerz und mit Leid zu tun. Auch bei den Performance-Künstlerinnen wie Marina Abramović ging es bei den Frauen zuerst immer viel um den Körper und Schmerzen, die sie sich und ihrem Körper zugefügt haben. Davon lösen wir uns heute ganz stark. Es geht weniger um dieses Leid. Ich glaube, wir können mit dem Thema Mutterschaft auch da hinkommen, dass sie aus dem engen Korsett herausgeht und eine volle Bandbreite an Gefühlen und Lebenssituationen darstellen kann.
Sie zitieren Marina Abramović auch in ihrem "Mutter-schafft"-Band: Sie hat gesagt, eine gute Mutter könne keine erfolgreiche Künstlerin sein. Was denken Sie darüber?
Kikol: Ich denke mir natürlich, wie würden denn die Menschen reagieren, wenn das aus dem Mund eines Donald Trumps käme? Oder wenn Picasso das damals gesagt hätte? Wir würden alle aufschreien. Und warum schreien denn nicht alle auf, wenn eine Frau wie Marina Abramović das sagt, und das auch noch vor drei, vier Jahren? Oder Tracey Emin, die sich dazu auch öffentlich geäußert hat, dass Kind und Karriere nur Männer zusammenbringen können und keine Frauen. Das ist ein populistischer Wahnsinn und Diskriminierung, was diese Frauen äußern. Ich war total enthusiastisch, als ich die Künstlerin Hannah Cooke kennengelernt habe und ihre Arbeit. Denn sie greift genau diese Punkte auf. Sie hat zum Beispiel die berühmte Performance von Marina Abramović nachgespielt, wo Abramović in dem Museum am Tisch saß, und die Besucher konnten sich ihr gegenübersetzen. Hannah Cooke hat das nachgestellt mit einer Schauspielerin, die Abramović gespielt hat und Hannah hat ihr gegenüber gesessen mit ihrem Baby im Arm, beim Stillen. Diese Arbeit bringt das ganze Problem total auf den Punkt und man fragt sich, was Abramović ihr in diesem Moment ins Gesicht sagen würde.
Es gibt ja Zahlen, die zeigen, dass es tatsächlich problematisch ist, als Mutter auch Künstlerin zu sein. Beziehungsweise dass es Künstlerinnen gibt, die sich gegen das Muttersein - vielleicht auch deshalb - entscheiden. Ich spiele an auf den Kunstkompass 2023, der von der Wirtschaftszeitschrift "Kapital" rausgebracht wurde. Da ging es um die erfolgreichsten Künstlerinnen und Künstler international und deren Kinderzahlen. Das Ergebnis war kurz zusammengefasst, dass die zehn international erfolgreichsten männlichen Künstler 32 Kinder haben und die Künstlerinnen nur fünf. Was sagt das aus über die Kunstbranche?
Kikol: Das sagt viel darüber aus, wie vor ein paar Jahrzehnten noch gedacht wurde, als diese Künstlerkarrieren gemacht wurden. Man dachte, der Künstler muss hundertprozentig für seine Kunst leben und eine Mutter muss aber auch hundertprozentig für ihre Kinder leben, was natürlich auch nicht stimmte. Auch bei Künstlern sind immer schon Energie und Lebenszeit in Affären, in Liebesbeziehungen, in Alkohol und Drogen oder in psychische Probleme geflossen. Es war ja nie so, dass ein Künstler immer zu hundert Prozent für seine Kunst gelebt hat. Das wollte man gerne glauben oder das wurde so erzählt. Und dann hat man das den Müttern abgesprochen: Wie soll das denn gehen? Ich bin aber der Meinung, wenn wir jetzt mal in die Zukunft schauen - und das wollte ich ja auch mit meinem Band unterstützen: Wenn wir uns die neuen Stars in den nächsten 20, 30 Jahren angucken, dann will ich erreichen, dass es da keinen Unterschied mehr gibt in der Anzahl der Kinder.
Das Gespräch führte Alexandra Friedrich.