Szene aus dem Film "Empire of Light" © Searchlight Pictures

"Empire of Light": Sam Mendes beschwört die Magie des Kinos

Stand: 17.04.2023 06:00 Uhr

Im seinem neuen Film reist der britische Regisseur und Oscar-Preisträger Sam Mendes zurück in die eigene Teenager-Zeit. "Empire of Light" ist eine sehr schöne Liebeserklärung an das Kino.

von Walli Müller

Je mehr die Streaming-Dienste das Sehverhalten der Menschen verändern, desto eifriger beschwören die großen Regisseure die Magie des Kinos. Nach Steven Spielberg in "Die Fabelmans" nun auch Sam Mendes, der einen Filmpalast zum Schauplatz seiner Geschichte macht. "Ich denke, das ist ein Ort, den wir nicht verlieren wollen", so der Regisseur. "Nicht, dass man jeden Film unbedingt auf der Leinwand sehen muss. Aber das Ereignis, ins Kino zu gehen, wird in diesem Film gefeiert. Die ganze Kultur, die Häuser, die dafür gebaut wurden, die Magie dieser Orte."

Ein Film-Tempel als Ort der Zuflucht

Das "Empire" ist wunderschön gelegen an der Strandpromenade eines englischen Küstenorts. Olivia Colman spielt Hilary, die mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe den Laden schmeißt. Die ersten Bilder zeigen ihre täglichen Handgriffe: Licht an, Ticket-Schalter öffnen, Süßkram ordnen, Popcorn-Maschine anwerfen. Der Saal ist riesig, der Vorhang samten - ein Film-Tempel, durch den sich die Angestellten ehrfürchtig bewegen, der ihnen aber auch ein Zuhause ist. Denn hier gibt es Jobs für Gescheiterte, Gestrandete und schwer Vermittelbare wie Hilary, die vom Arzt dringend ermahnt wird, ihre Psychopharmaka einzunehmen.

"Wie fühlen Sie sich im Allgemeinen?"
"Ich fühle mich ein bisschen betäubt."

Das ändert sich, als Stephen zum Kino-Team stößt. Ein junger Schwarzer, zu dem sich Hilary spontan hingezogen fühlt. Für Rauch-Pausen schleichen sich die beiden nach oben in den großen, verlassenen Ballsaal, der das Kino einst krönte und der zum Liebesnest der beiden wird, die sich am Altersunterschied nicht stören.

Olivia Colman spielt eine Frau mit bipolarer Störung

Was für ein schönes Filmpaar der unbefangene Junge und die einsame Frau abgeben - zumindest eine Zeit lang. Dann beginnen die Gesetze der realen Welt wieder zu greifen. England in den 80er-Jahren ist ein Land, in dem der schwarze Stephen sich von Skinheads bespucken lassen muss, der männliche Kinoleiter nichts dabei findet, Hilary sexuell auszubeuten, und psychische Krankheiten so tabu sind wie überall auf der Welt.

Die bipolare Störung, mit der Hilary lebt, hat die Kindheit von Regisseur Mendes geprägt, weil seine eigene Mutter daran litt: "Als Kind war ich darauf trainiert, meine Mutter mit Adleraugen zu beobachten", erzählt er. "Die kleinste Veränderung bei ihr, ein neuer Duft oder Lippenstift, konnten die größten Auswirkungen auf mein Leben haben. Das konnte bedeuten, dass ich die Schule wechseln oder zu meinem Vater ziehen musste. Also hat man ein Auge auf alles."

Im Film erzählt Olivia Colman in kleinsten Gesten und Nuancen vom Verlieren des Gleichgewichts. Das endet in Ausbrüchen, für die sie sich hinterher schämt.

"Empire of Light": Sam Mendes' Liebeserklärung an das Kino

Das Traurige und das Tröstliche gehen bei diesem Film immer Hand in Hand. Denn der junge Mann bleibt in seiner Zugewandtheit Hilary gegenüber unbeirrbar - und macht als wissbegieriger Schüler auch den Filmvorführer glücklich.

"Ist faszinierend!"
"Es ist faszinierend, weil es nur von unbewegten Bildern kommt, mit etwas Dunkel dazwischen. Aber unser Sehnerv hat eine kleine Schwäche, die genutzt wird. Wenn ich den Film mit 24 Bildern pro Sekunde abspiele, kann das Dunkle keiner sehen." Filmszene

Um die Lichtschimmer im Dunkeln geht es auch Sam Mendes in "Empire of Light". Der Tragik der psychischen Erkrankung und der rassistischen Gesellschaft setzt er das sympathische Kollegium des "Empire" entgegen - als funktionierende Wahlfamilie. Ein grundmelancholischer, berührender Film, aber auch eine sehr schöne Liebeserklärung an das Kino, das als Zufluchtsort ja glücklicherweise uns allen offensteht.

Empire of Light

Genre:
Drama | Liebesfilm
Produktionsjahr:
2022
Produktionsland:
USA | Großbritannien
Zusatzinfo:
Mit Olivia Colman, Micheal Ward, Colin Firth u.a.
Regie:
Sam Mendes
Länge:
119 Minuten
FSK:
ab 12 Jahre
Kinostart:
20. April 2023

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Kultur | 17.04.2023 | 07:55 Uhr

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