Die ersten Krokusse © NDR Foto: Jan Zastrow aus Schwerin
Die ersten Krokusse © NDR Foto: Jan Zastrow aus Schwerin
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AUDIO: Frühlingslyrik von der Romantik bis heute (4 Min)

Der Frühling: Liebling der Poeten - von der Romantik bis heute

Stand: 19.03.2024 10:12 Uhr

Endlich werden die Tage heller und wärmer. Zum Frühlingsanfang am 20. März wollen wir uns ein bisschen poetisch einstimmen. Vielleicht bringt das auch schon eine gesündere Gesichtsfarbe.

von Juliane Bergmann

Es ist so weit: Eduard Mörike zückt seinen Hit und lässt sein blaues Band "wieder flattern durch die Lüfte". Sprachspieler Ernst Jandl kriegt eine Allergie: "nasen ich tropf-tropf". Rainer Maria Rilke macht, was er am besten kann: Er schaut in die Landschaft und bemerkt lakonisch-pointiert eine Stimmungsänderung in uns, in sich selbst:

"Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung
an der Wiesen aufgedecktes Grau.
Kleine Wasser ändern die Betonung.
Zärtlichkeiten, ungenau." Aus Rainer Maria Rilke: "Vorfrühling"

Friedrich Hölderlin will uns übermütig neuen Schwung andichten:

"Der Menschen Tätigkeit beginnt mit neuem Ziele,
So sind die Zeichen in der Welt, der Wunder viele." Aus Friedrich Hölderlin: "Der Frühling"

 

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Eine Biene ist im Anflug auf einen blühenden Krokus. © picture alliance/dpa | Hauke Schröder

Gedichte zum Frühlingsbeginn

Wenn die Pflanzenwelt sich regt, stellen sich Frühlingsgefühle ein. Viele Poeten haben dem Frühling ein Gedicht gewidmet. mehr

Die wiederauflebende Natur als beliebtes Lyrikthema

Ob Biedermeier, Romantik, Konkrete Poesie oder Weimarer Klassik: Hatte je eine andere Jahreszeit häufiger Auftritte im Gedicht? Der Frühling ist - nach Monaten des Grau - ein Neuanfang. Langersehnt. Großes Potenzial also für die Lyrik, die von sprachlichen Bildern lebt. Die auflebende Natur sind meist wir.

"in den Bäumen quillt′s und den Gemüsen. Tief im Kern der Erde hat′s gekracht:
Ja, der Früh-, der Frühling ist erwacht." Aus Erich Mühsam: "Frühlingserwachen"

Erich Mühsam, der politische Dichter, der gegen den Nationalsozialismus anschrieb, spricht vom Aufrappeln, von Lebendigkeit, von neuem Mut. Weitaus hoffnungsloser klingt sein Zeitgenosse Bertolt Brecht, der mahnt, dass dramatische Zeiten den "Frühling 1938" verfinstern:

"In das Gezwitscher der Stare
Mischt sich der ferne Donner
Der manövrierenden Schiffsgeschütze
Des Dritten Reiches." Aus Bertolt Brecht: "Frühling 1938"

 

Politischer Frühling

Frühling kann politisch sein und Ausweglosigkeit meinen. Auch in der Gegenwart brodeln Kriege und Krisen. Das verhandelt heutzutage zum Beispiel Poetry Slam - ein Kind der Lyrik - auf seinen Bühnen:

"Wie viele Flüchtlinge sollen es noch werden?
zwischen Polkappenschmelze und Staatsversagen,
Demokratiedefizit und Treibhausgasen.
Es hat längst begonnen: das große Verschlingen.
Der Frühling ist da, nur keine Vögel, die singen." Aus Christofer mit f: "Das große Verschlingen", aus "Poetry for Future"

Zarte Keime und Knospen brauchen Schutz. Ann Cotten, bekannt für lyrische Experimente, spricht mit ihnen:

"Beete, hört nun kurz her, bitte. (...) hier habt ihr ein Versprechen, ich werde solche Planen über euch ausbreiten, dass das Kondenswasser allen Überlegens, das Brüten eines ganzen Frühlings über euch hereinbricht, sooft eine leichte Brise die versprochene Behütung, leicht wie das Versprechen selbst." Aus Ann Cotten: "Rede an die Beete"

Frühlingsgefühle in der Poesie

Frühling - ein zerbrechlicher Beginn. Und dann wären da noch die Frühlingsgefühle. In der Nüchternheit der Neuen Sachlichkeit weiß Mascha Kaléko, wie man einen alten Liebesschmerz abschüttelt, um frei zu sein für einen neuen Menschen:

"Und wie einst, in diesem Frühjahr auch
Geht mein wintermüdes Herz auf Reisen." Aus Mascha Kaléko: "Nennen wir es Frühlingslied"

So simpel die Liebeserklärungen von Friederike Mayröcker im Gedicht "Frühling" 1947 auch sind, ihre Wucht ist ungebrochen. Vom Du über das Ich zum Wir: So geht Versöhnung.

"Meine orangefarbenen
Abende ruhen in Deinen
Augen. Du bist eine leise
Blume über dem Weg." Aus Friederike Mayröcker: "Frühling"

Der Frühling ist eine Jahreszeit, die etwas in uns wach schüttelt. Genug gepennt, findet nicht zuletzt die Kanadierin Margaret Atwood:

"Es ist Frühling, und der Nachtwind
riecht feucht nach umgegrabener Erde
und ersten Blumen;
der Mond schüttet seine Schönheit aus
die du endlich auch als Schönheit erkennst, warm und alles versprechend.
Du musst nur zugreifen." Aus Margaret Atwood: "Namenlos"

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 15.03.2024 | 07:00 Uhr

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Lyrik

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