Brigitte Reimann mit Sonnenbrille auf einem Foto © picture-alliance / ZB | Jens Büttner Foto: Jens Büttner

Unveröffentlichter Debütroman von Brigitte Reimann erscheint

Stand: 27.10.2022 18:37 Uhr

70 Jahre blieb er unveröffentlicht, nun erscheint der Debütroman der Schriftstellerin Brigitte Reimann: "Die Denunziantin". NDR 1 Radio MV hat mit der Herausgeberin, Kristina Stella, gesprochen.

Anfang der 70er-Jahre ist Brigitte Reimann in Neubrandenburg gestorben. In der DDR war sie eine anerkannte Schriftstellerin. Sie veröffentlichte Erzählungen, ein Tagebuch einer Sibirienreise und Romane. Bekannt ist sie vor allem für ihr Hauptwerk: "Franziska Linkerhand".

In ihrem Debütroman geht es jetzt um den Aufbau der gerade gegründeten DDR, um die erste Liebe der Figur und auch um ihre eigenen Erlebnisse. Ein Roman, geschrieben von einer 19-jährigen, einer glühenden Verfechterin des noch jungen Sozialismus. Was kann uns das heute noch sagen?

Kristina Stella: Ich finde es vor allem sehr, sehr spannend als lebhaft erzählten Geschichtsunterricht für all jene jungen Leute, die die Zeit nicht selbst miterlebt haben.

Man muss der Ehrlichkeit halber sagen: Damals haben die DDR-Verlage die Veröffentlichung abgelehnt. Was glauben Sie? War das eine rein politisch motivierte Entscheidung? Oder hängt es vielleicht doch an der literarischen Qualität?

Stella: Interessanterweise hätte es berechtigt an der literarischen Qualität liegen können. Aber das lag es nicht. Es war eine rein politisch motivierte Entscheidung.

Und was war die genaue Begründung?

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Brigitte Reimann © picture alliance / AP | -

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Stella: Eine genaue Begründung hat es nie gegeben, weil alle immer rumlaviert haben. Keiner hat sich im Grunde genommen getraut, Tacheles zu reden. Aber hauptsächlich ging es darum, dass man keinen Roman veröffentlichen wollte, in dem es einen so reaktionären Altlehrer noch in einer DDR Schule gibt. Es gab es in der Realität, aber offiziell sollte es nicht so sein. Und das war das Hauptproblem an diesem Buch. Außerdem ist die Heldin sehr autobiografisch. Man kennt Brigitte Reimann als schillernde Persönlichkeit, die auch die Augen von diversen Männern nicht lassen konnte und wollte. Und das passte nicht zu einer überzeugten FDJ-lerin. Die musste auch ein absolut makelloses Privatleben führen. Und das hat Eva Hennig, die Helden des Buches leider nicht.

Und Brigitte Reimann hat sich demzufolge selber als Denunziantin gesehen?

Stella: Nein. Brigitte Reimann hätte nie jemanden denunziert, das zeigt auch die Tatsache, dass sie ja mal kurze Zeit für die Staatssicherheit als Informantin gearbeitet hat. Da ist sie im Prinzip zur Zusammenarbeit erpresst worden. Sie hat das dann offengelegt und gemeinsam mit Wolfgang Schreyer, ihrem Schriftstellerkollegen, ist sie mit viel Mühe unter großem Risiko aus der Sache wieder rausgekommen. Und das war genau der Grund: Sie wollte niemanden denunzieren und sie hat niemanden denunziert. Sie hat diese Geschichte sozusagen konstruiert, um aufzuzeigen, wie der Einfluss dieser tatsächlich existierenden reaktionären Altlehrer auf die Schüler war.

Es gab ja mehrere Manuskripte. Vier Fassungen insgesamt. War das schon der Roman, wie er jetzt erscheint? Oder war da noch viel Nacharbeit nötig?

Stella: Im Grunde genommen es ist genau umgekehrt. Das, was jetzt erscheint, ist die unzensierte Urfassung des Romans. Und Brigitte Reimann schrieb diese immerhin mehr als 200 Typoskriptseiten - im Buch sind es 231 Seiten -, sie schrieb diese in der unglaublich kurzen Zeit vom 8. Oktober 1952 bis zum 16. April 1953, also innerhalb von weniger als einem Jahr. Und alles das, was dann später in den späteren Fassungen von ihr geschrieben wurde, basierte auf der Beeinflussung von außen. Und dahinter konnte sie nicht wirklich stehen. Das führte dann auch dazu, dass sie sich von dem Romanstoff immer weiter entfernte und das mehr oder weniger als Pflichtaufgabe betrachtete.

Sie haben ja schon viele Texte von Brigitte Reimann herausgegeben. Ist das Archiv jetzt damit leer? Oder gibt's noch mehr?

Stella: Ein Archiv ist nie leer. Und wenn man sich nur genügend Mühe gibt, kann man immer noch was finden.

Der Roman "Die Denunziantin" erscheint im Aisthesis Verlag für 24 Euro. Das Gespräch führte Golo Schmied für NDR 1 Radio MV.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Kulturjournal | 27.10.2022 | 19:00 Uhr

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