Besucherinnen und Besucher stehen vor einer Wand mit Fotografien in der Ausstellung "Ukrainian Dreamers" in Wolfsburg © Kunstmuseum Wolfsburg
Besucherinnen und Besucher stehen vor einer Wand mit Fotografien in der Ausstellung "Ukrainian Dreamers" in Wolfsburg © Kunstmuseum Wolfsburg
Besucherinnen und Besucher stehen vor einer Wand mit Fotografien in der Ausstellung "Ukrainian Dreamers" in Wolfsburg © Kunstmuseum Wolfsburg
AUDIO: Wie hat sich die Fotografie in der Ukraine seit dem Angriffskrieg verändert? (7 Min)

Wie hat sich die Fotografie in der Ukraine seit dem Angriffskrieg verändert?

Stand: 24.02.2024 06:00 Uhr

Im Kunstmuseum Wolfsburg war bis Anfang Januar ein Konvolut von Fotos der Charkiwer Schule zu sehen. Sergiy Lebedynskyy, selbst Fotokünstler, hat sie wegen des Kriegs aus der Ukraine nach Deutschland geholt, damit sie nicht zerstört werden. Was zeichnet die Fotografie in Charkiw aus?

Im Interview spricht Lebedynskyy darüber, warum er Bilder nicht mehr für das beste Mittel hält, um über das Kriegsgeschehen in der Ukraine zu berichten.

Herr Lebedynskyy, die Fotos, die in Wolfsburg zu sehen waren, stammen aus dem Museum "Kharkiv School of Photography". Was macht die Fotografie in Charkiw so besonders?

Sergiy Lebedynskyy: Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine, hat eine bemerkenswerte fotografische Geschichte, die ihren Anfang Ende der 60er-Jahre hat. Im Rahmen typischer sowjetischer Foto-Club-Bewegung fanden sich acht junge Künstler, die Fotografie anders gesehen haben. Sie haben das fotografische Medium benutzt, um über alles zu sprechen, was sie damals interessiert hat und was die sowjetische Kultur nicht bieten konnte. Sie haben die Fotografie benutzt, um sich politisch zu äußern. Sie haben auf die sozialen Probleme hingewiesen, und vor allem haben sie mit dem fotografischen Medium experimentiert - auch gegen den sowjetischen Realismus, der sich dagegen gerichtet hat.

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Das heißt, sie haben gelernt, unter der Zensurschwelle zu operieren?

Lebedynskyy: Richtig. Diese Zweideutigkeit, sich zu äußern und nicht verhaftet zu werden, spiegelte sich wider in diesen verschiedenen fotografischen Experimenten mit dem Medium.

Wie hat sich die Arbeit von Fotografinnen und Fotografen seit dem Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine verändert?

Lebedynskyy: Das Leben von allen Menschen im Land hat sich verändert. Viele Künstler sind im Exil, viele haben ihre Häuser verloren, mussten umziehen - der Alltag hat sich dramatisch verändert. Diese Erfahrung, die dieser brutale, sinnlose Krieg mit sich bringt, vor allem unter ständiger existenzieller Bedrohung zu leben und dann noch irgendwie über Kunst nachzudenken - das ist eine Herausforderung, die nicht jeder schaffen kann. Einige Künstler konnten richtig lange nichts machen, weil man mit Kultur die Panzer leider nicht stoppen kann. Als sich dann aber die Lage so ein bisschen beruhigt hat, haben manche angefangen, auch künstlerisch tätig zu werden. Wie reagiert man denn auf so einen Krieg? Man kann die typische Reportagefotografie machen, jetzt aber im Kriegsgebiet mit dem Risiko, angeschossen zu werden. Oder man macht ein Tagebuch spiegelt eigene Erlebnisse im Fotos wider. Es ist schon eine große Veränderung.

Also wird jeder zum Kriegsfotografen?

Lebedynskyy: Auf einmal sind alle Kriegsfotografen geworden - das ist leider die Realität in der Ukraine.

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Wie können wir uns die Arbeit von Fotografen vor Ort vorstellen? Es ist ja auch schwierig geworden zu reisen.

Lebedynskyy: Vor Ort ist es natürlich schwierig, mit der Kamera auf die Straße zu gehen, insbesondere in den Gebieten, wo die militärischen Aktivitäten stattfinden. Selbstverständlich braucht man dafür eine Akkreditierung, die man halbjährlich bekommt. Man muss selbstverständlich für die Ausrüstung sorgen. Aber das Wichtigere ist, dass sich die Funktion der Fotografie sehr verändert hat - nicht für die Profis, die nur Fotografien für Zeitungen erstellen, sondern es ist vor allem für die Künstler eine Herausforderung geworden. Das künstlerische Leben in der Ukraine befindet sich momentan allgemein in einem Stillstand, weil man keine Ausstellung machen kann, wenn es eine Raketenbedrohung gibt. Man nutzt momentan die Fotografie, um über die Ukraine nach außen zu kommunizieren.

Und man dokumentiert auch den Krieg für die Nachwelt, oder?

Lebedynskyy: Das auf jeden Fall. Wobei die Bilder nicht mehr das beste Mittel sind, um über die Ereignisse zu kommunizieren, weil man sich daran gewöhnt. Man regiert nicht mehr so auf die Probleme, die die Ukrainer gerade haben. Deswegen ist es auch eine Herausforderung für die Künstler, in welcher Form man überhaupt über den Krieg sprechen soll. Erstens hat man früher nicht viel über die Ukraine gewusst. Und zweitens, diese Erfahrungen, die die Leute in der Ukraine erleben, ständig in existenzieller Bedrohung zu sein, wenn alles auf den Kopf gestellt wird - wie kommuniziert man das, damit man wirklich zeigt, wie grausam dieser Krieg ist, und dass der Ukraine geholfen werden muss?

Und warum meinen Sie, dass da Fotos nicht das richtige Mittel sind? Wegen eines Abnutzungseffektes?

Lebedynskyy: Diese direkten Fotos von den Ereignissen, dieser Fluss von Bildern allgemein, die über die Medien verbreitet werden, sehen irgendwann für alle gleich aus. Das ist dann eine künstlerische Herausforderung, immer anders darüber zu sprechen.

Die Schau "Ukrainian Dreamers" im Kunstmuseum Wolfsburg ist Anfang Januar ausgelaufen. Was passiert nun mit den Fotos?

Lebedynskyy: Die Ausstellung, die in Wolfsburg stattfand, fährt jetzt weiter nach Berlin. In der Kommunalen Galerie Berlin findet am 5. März die Eröffnung der Ausstellung unter gleichem Namen statt. Es freut mich sehr, dass wir dann auch Berliner Zuschauern diese Einblicke in die Geschichte der Charkiwer Fotografie zeigen können.

Das Interview führte Eva Schramm.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 23.02.2024 | 17:30 Uhr

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