Weniger politische Bildung: Die Sparpläne der Bundesregierung

Stand: 11.09.2023 15:35 Uhr

Laut einem Haushaltsentwurfs des Bundesinnenministeriums wird der Etat der Bundeszentrale für politische Bildung im nächsten Jahr um gut ein Fünftel gekürzt. Was heißt das für die politische Bildung in einem Land, in dem das Vertrauen in die Demokratie abnimmt? 

von Michael McGlinn

Etatverhandlung im Bundestag, Innenministerin Nancy Faeser präsentiert ihre Sparpläne: ganze 20 Prozent weniger für die Bundeszentrale für politische Bildung. Gerade in einer Zeit, in der Verschwörungserzählungen immer gewagter werden, soll dort gespart werden, wo der Glaube an den Rechtsstaat gestützt wird. Bernd Priebe leistet Erinnerungsarbeit in der KZ Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund. Wichtige Konfrontation mit unangenehmen politischen Tatsachen. Damit könnte es bald vorbei sein: "Wenn ich mitbekomme, dass viele Menschen gerade diese Bildungsangebote nutzen, weil sie relativ erschwinglich sind über die Unterstützung durch die Bundeszentrale, dann finde ich das sehr tragisch, wenn diese Möglichkeit nicht mehr besteht."

Politische Bildung wird hinterfragt, ist sogar in Verruf gekommen. "Wir sind keine Brainwashing-Anlage. Es geht darum, Bürgerinnen und Bürger bei der Entwicklung selbstbestimmter politischer Urteile zu unterstützen", sagt die Politiologin Anja Besand. Politische Bildung sei vielfältig, stelle immer wieder neue Fragen und fordere zeitgemäße Antworten.

BPB entstand nach dem Zweiten Weltkrieg

Anja Besand © K. Lassig
Anja Besand hat eine Professur für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden.

Die Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) ist ein Kind der Alliierten. Mit Büchern und Filmen sollten die Deutschen nach der NS-Zeit zur Demokratie erzogen werden. Am bekanntesten dürfte die Bundeszentrale für den Wahl-O-Mat sein, die direkte Hilfe in der politischen Meinungsbildung. Zum Angebot gehört aber noch viel mehr: Studienreisen, Lehrbücher, Spiele, Seminare, Social Media. Alles, was Demokratie zu den Menschen bringt.

"Politische Bildung verändert keine Wahlen, aber sie schafft die Grundlage der Voraussetzung dafür, dass wir demokratisch zusammenleben können", sagt Besand. Dieser Konsens sei nicht mehr selbstverständlich, die Gesellschaft drohe zu zerfallen.

Menschen für den Rechtsstaat gewinnen

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beantwortet in der Bundespressekonferenz die Fragen von Journalistinnen und Journalisten (Archivbild). © dpa Foto: Paul Zinken
Statt 96 Millionen Euro sind ab 2024 nur noch 76 Millionen Euro im Etat von Nancy Faeser für politische Bildung vorgesehen.

Die Kürzungen werden mutmaßlich die bürgernahe Projektarbeit treffen, gerade hier werden Extremismus und Desinformation am wirksamsten bekämpft. Priebes Kurs, konzipiert vor über 20 Jahren, hat leider nichts an seiner Aktualität verloren. "Stichworte sind Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln. Unsere Idee war damals, einfach noch mal einen Schritt zurückzutreten und auf die Geschichte zu schauen und zu sagen, das ist ein Thema, das sich durchzieht in der Geschichte Deutschlands", sagt Priebe. "Die Menschen, die jetzt hier auf Geflüchtete treffen, haben Vorfahren, die selber migriert sind, die in die neue Welt migriert sind oder die auch fliehen mussten." Ziel müsse es sein, alle Menschen in unserer disparaten Gesellschaft abzuholen und für den Rechtsstaat zu gewinnen.

Wie erfolgreich sind eigentlich diese ganzen Projekte? Wirksamkeitsstudien in diesem so wichtigen Bildungsbereich sind schwierig. "Wie will man das denn messen? Da wirklich evidenzbasiert zu sagen, das wirkt, das wirkt nicht - das ist ganz schwierig", meint Besand. "Wir müssen uns erstmal damit zufriedengeben, dass sich die Akteure der extremen Rechten darüber freuen, dass politische Bildung gekürzt wird. Sie wollten, dass das passiert. Das muss uns als Beleg dafür schon reichen."

Kritisches Hinterfragen der eigenen Positionen

Noch ein Beleg ist, wie populär die Angebote der Bundeszentrale nach wie vor sind. Das Verlangen der Menschen nach Information und Gesprächen ist groß. "Ich mache immer noch Bildungsurlaub, weil es mich irgendwie erdet. Ich kann mich mit kritischen Themen auseinandersetzen, auch andere Argumente zu hören, meinen Standpunkt immer wieder zu hinterfragen", sagt Wolfgang Fischer, ein Kursteilnehmer am Seminar von Priebe. "Es geht darum, meinem Geist zu fördern, und mich immer wieder zu hinterfragen."

Das Bundesinnenministerium ließ uns wissen: Die Bundeszentrale werde ihre Kernaufgaben in "gleicher Stärke" fortführen, dank "interner Umschichtungen und Priorisierungen". Schöne Synonyme für Kürzungen!

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NDR Kultur - Das Journal | 11.09.2023 | 22:45 Uhr

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