Psychologie des Putzens: Von Prokrastination bis Kreativitätsschub
Wenn sich die Frühlingssonne durch verdreckte Wohnzimmerfenster kämpft, starten viele mit dem Frühjahrsputz. Dabei haben die Menschen teilweise völlig widersprüchliche Gefühle zum Putzen: Von Überforderung über Langeweile und Ekel bis hin zu tiefer Befriedigung.
Zuhause putzen müssen die meisten von uns. Es sei denn, jemand nimmt es uns ab: Mutti, der WG-Mitbewohner - oder der Mensch, der für Geld unser Zuhause sauber macht. Denn die wenigsten würden wohl sagen: Putzen ist meine absolute Lieblingsbeschäftigung.
"Das Bad putzen mit irgendwelchen Reinigungsmitteln oder so mache ich jetzt nicht mega-gern", erzählt eine Frau bei einer Umfrage auf der Straße. Und ein Mann erzählt: "Die Überwindung beim Fensterputzen ist auf jeden Fall da. Das hat immer so einen Angang, mit mehreren Utensilien. Staubsaugen ist da auf jeden Fall einfacher, das geht schnell."
Putz-Prokrastination und Prokrastinations-Putzen
Wenn das Putzen immer wieder aufgeschoben wird, liegt es, wie so oft beim Prokrastinieren, daran, dass man sich zu viel vornimmt. Neben der Putz-Prokrastination gibt es auch das Prokrastinations-Putzen: Wenn einen die fleckigen Wohnzimmerfenster und verkalkten Badezimmerfliesen besonders dann anlachen, wenn andere To-Dos eigentlich viel dringender erledigt werden müssen.
"Gerade in der Studienzeit war das so", erinnert sich ein Passant. "Putzen war die beste Tätigkeit zum Prokrastinieren. Meine Bude sah nie so gut aus wie in der Zeit meiner Bachelor-Arbeit." Ein anderer berichtet: "Wenn mich alles andere zu sehr stresst, dann fange ich plötzlich an, sehr ordentlich zu sein. Wahrscheinlich ist das so, weil man sich dann fühlt, als würde man ein bisschen die Kontrolle zurückgewinnen. Wenn die Sachen, die man eigentlich machen müsste, einen überfordern, ist das irgendwie ein schönes Gefühl."
Psychologisches Grundbedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle
Genauso ist es, sagt der Kieler Psychotherapeut Jabin Kanczok: Putzen befriedigt auf effektive Art unsere psychologischen Grundbedürfnisse nach Sicherheit und Kontrolle. Wer das Gefühl hat, viel mehr zu putzen, als es eigentlich nötig wäre, leidet eventuell an einem Putzzwang. "Wenn man eine Stunde am Tag so eine Handlung durchführt, obwohl man es nicht will, dann kann man davon ausgehen, dass es zu viel ist", so Kanczok. "Was auch viele Betroffene von Zwangserkrankungen berichten: Die Zwangshandlungen werden mehr, wenn sie Stress haben, wenn Belastungen in der Familie oder im Job da sind."
Für Nicole Karafyllis ist Putzen keine Obsession, sondern eine Passion - und eine Quelle der Kreativität. Sie ist Philosophie-Professorin an der Technischen Universität Braunschweig und Autorin des Buches "Putzen als Passion". Auch sie schnappt sich den Scheuerschwamm, wenn sie bei philosophischen Fragen nicht mehr weiter weiß - und zwar nicht, um sich vor der Arbeit zu drücken. "Ich kann so vor einem Denkproblem, an dem ich mich festbeiße, kurz Abstand gewinnen und nichts mit dem Kopf machen", so Karafyllis. "Wenn ich etwas mit den Händen mache, kann ich relativ gut abschalten, weil ich im Putzen Routine habe. Und dann kommen mir kreative Gedanken."
"Putzen hilft mir, meine Seele rein zu halten"
Dass wir alle putzen müssen, diese Tätigkeit aber so eine geringe Wertschätzung hat, fasziniert die Forscherin. Es gibt sie aber auch: Menschen, die dem Saubermachen selbst etwas Angenehmes abgewinnen können. "Ich räume gerne auf", erzählt eine Frau auf der Straße. "Ich liebe es einfach, wenn es ordentlich ist. Ich kriege ein Gefühl von innerer Ordnung, wenn ich die Sachen außen ordne." Ähnlich beschreibt es dieser Mann: "Ich putze gerne. Ich glaube, es hilft mir, meine Seele rein zu halten."