Justus Frantz © imago

Justus Frantz: "Ablehnung führt nicht zum Frieden"

Stand: 30.06.2023 16:45 Uhr

Der Pianist Justus Frantz, langjähriger Leiter des Schleswig-Holstein Musik Festivals, war im Juni als Juror beim Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau dabei. Warum hat er an einem Musik-Entscheid teilgenommen, der von der russischen Regierung finanziert wird?

Der Tschaikowsky-Wettbewerb genießt weltweit ein hohes Ansehen, insbesondere im Bereich Klavier. Wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde er allerdings im vergangenen Jahr aus der Weltföderation Internationaler Musikwettbewerbe ausgeschlossen. Die Föderation könne kein Mitglied dulden, das von der russischen Regierung finanziert wird und damit dieser als Propaganda-Instrument dienen könnte. NDR Kultur hat mit Justus Frantz über seine Beweggründe gesprochen, dennoch als Juror an dem Wettbewerb teilzunehmen.

Herr Frantz, wie sind Sie eigentlich nach Russland eingereist?

Justus Frantz: Das geht ziemlich einfach. Sie brauchen natürlich ein Visum, und ich fliege anderthalb Stunden von Hamburg nach Helsinki. Und dann nehme ich mir ein Auto. Natürlich wäre mir lieber gewesen, ich hätte direkt fliegen können. Aber das geht im Moment nicht. Und dann fliegt man eben nach Helsinki, was ein sehr angenehmer Flughafen ist. Helsinki hat in meinem Herzen einen großen Platz, weil alles einfach ist: Die Sicherheitskontrollen sind freundlich, man darf den Computer in seiner Tasche behalten, die prüfen alles, haben moderne Geräte. Dagegen kommt mir Hamburg wie Steinzeit vor.

Letzte Woche war noch einiges los: Prigoschins Wagner-Gruppe war auf dem Weg nach Moskau. Waren Sie da schon in der Stadt?

Frantz: Ja, ich war in der Stadt. Wir haben das vielleicht vernachlässigt, aber ich war mehrmals in kriegerischen Momenten in Osteuropa, ich war in den baltischen Staaten, als es dort den Krieg gab. Das ist schon lange her, 1991/92, als die Russen versuchten, diese Staaten wieder zurückzuholen in die Sowjetunion. Gottseidank ist das nicht gelungen. Da aber wurde richtig geschossen, da sind Lkw in die Luft geflogen, die nicht furchtbar weit weg von mir waren.

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Und was ist Ihnen am Wochenende durch den Kopf gegangen? Am Sonnabend wusste man ja nicht, was passiert und wie das enden wird.

Frantz: Das dramatische Moment wird sehr stark herausgearbeitet von den Medien. Hier war es eigentlich vollkommen harmlos. Moskau ist ja eine Riesenstadt, und da kommen 25.000 Leute - die sieht man gar nicht. Ich weiß gar nicht, wie sich das dieser Prigoschin vorgestellt hat, aber wir haben davon nichts mitbekommen. Der Wettbewerb lief, wir haben uns ganz normal Musiker angehört, Notizen gemacht, mit ihnen gesprochen und so weiter.

Wie ist die Atmosphäre beim Wettbewerb? Wie unterhält man sich in der Jury mit den russischen Kolleginnen und Kollegen?

Frantz: Politik wird eigentlich gar nicht besprochen. Was besprochen wird, ist die Echtheit einer Interpretation und wie jemand gespielt hat. Mir kommt es immer darauf an, dass die musikalische Aussage stimmt, dass es nicht nur darum geht, dass jemand technisch einwandfrei spielt - und die waren zum Teil hervorragend -, sondern vor allen Dingen auch, dass diese ehrliche Aussage rüberkommt. Und dass die Leute bei allem Üben für richtige Noten nicht vergessen, dass das eigentlich das Eigentliche ist.

Was hat Sie bewogen, anzureisen? Wer hat Sie gefragt?

Frantz: Mich hat der deutsche Botschafter gefragt. Der wurde wohl angefragt, ob er Kontakt zu mir herstellen könnte. Und dann habe ich mit den Organisatoren gesprochen.

Aber Sie haben nicht gezweifelt, ob das im Moment richtig ist, nach Moskau zu reisen und dort Jurymitglied zu sein?

Frantz: Ich muss ganz ehrlich sagen: Jetzt ist gerade der richtige Moment. Ich bin schon ein paar Mal in Russland gewesen, und da ist es mir auch passiert, dass jemand einem Deutschen nicht die Hand geben wollte. Das ist die Voraussetzung, die irgendwann auch mal zu einer furchtbaren Auseinandersetzung führen kann. Deswegen ist es so wichtig, dass wir miteinander umgehen, dass wir miteinander auch mal lachen und dass wir wieder versuchen, eine friedliche Normalität herzustellen, die dann vielleicht auch in eine bessere Zukunft für unsere Kinder führen kann.

Während in der Ukraine der Krieg läuft und Kinder deportiert werden, kann man da Normalität herstellen?

Frantz: Da haben Sie vollkommen Recht. Niemand von Ihren Gesprächspartnern hat sich wahrscheinlich so für die Ukraine eingesetzt wie ich. Ich habe da mit meiner Organisation "Freundschaftsbrücke" zwei Krankenhäuser gebaut und viele andere Dinge. Insgesamt habe ich, glaube ich, 500 Ukrainer ausgebildet. Also, mir brauchen Sie darüber nichts zu erzählen. Nur: Feindschaft, Ablehnung und Kommunikationslosigkeit führen nicht zum Frieden.

Ohne Frage. Gleichzeitig wurde dieser Wettbewerb auch genutzt, um Normalität zu zeigen, um zu zeigen: Wir sind keinesfalls isoliert. Das hat auch ein politisches Moment, da kommt man ja gar nicht raus.

Frantz: Nein, das politische Moment habe ich überhaupt nicht gesehen. Ich habe nur gesehen, was mir in meinem Leben auch auf das Schönste widerfahren ist. Sie kennen ja ein bisschen meine Vita. Sie wissen, dass ich von Leonard Bernstein, von Herbert von Karajan, von Rostropowitsch, von Menuhin und vielen anderen, Helmut Schmidt nicht zu vergessen, gefördert wurde. Das waren alles auch Humanisten. Helmut Schmidt hat ja gesagt: Lieber 100.000 Mal vergeblich verhandeln, als einmal schießen. Und ich glaube, er hat Recht.

Die Vize-Regierungschefin Tatjana Golikowa, die den Wettbewerb eröffnet hat, hat das schon genutzt, um zu zeigen, dass die Welt zu ihnen kommt und sie keinesfalls isoliert sind. Das wird ja propagandistisch genutzt.

Frantz: Der bin ich, glaube ich, nicht begegnet. Ich habe mich heute mit einer fabelhaften japanischen Jurorin unterhalten und habe Valery Gergiev gesehen, dem, finde ich, großes Unrecht widerfahren ist. Bei der Eröffnung des Schleswig-Holstein Musik Festivals wird auch manches gesagt, was Schleswig-Holstein wichtiger macht, als es ist. Das ist nun mal so. Nicht alles, was in Reden vorkommt, gefällt uns.

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Christian Kuhnt, Ihr Nachfolger beim Schleswig-Holstein Musik Festival, würde Musica Aeterna und Teodor Currentzis nicht mehr einladen. Wie würden Sie ihm gegenüber das argumentieren? Halten Sie das für richtig oder falsch?

Frantz: Ich will keine Liebeserklärung abgeben, aber ich finde, Christian Kuhnt macht das ganz ausgezeichnet. Jeder Intendant hat das Recht, auch eigene Entscheidungen zu treffen - und der Vor-Vorgänger hat eigentlich gar kein Recht, etwas zu sagen. Nichts ist schlimmer, als wenn irgendeiner es besser weiß, weil er auch mal daran beteiligt war. Ich hoffe, dass dieses Jahr in Schleswig-Holstein ein wunderbares Festival stattfindet, dass die Leute gutes, aber nicht zu gutes Wetter haben, sonst bleiben sie nur am Strand, aber gut genug, um in die verschiedenen Herrenhäuser, Scheuen und Konzertsäle zu kommen. Da wünsche ich ihm wirklich von ganzem Herzen nur alles Beste.

Die "Neue Musikzeitung" spricht, was die westlichen Juroren und Jurorinnen beim Tschaikowksy-Wettbewerb angeht, von einer "Liste der Schande". Was würden Sie entgegnen, wenn Sie mit solcher Kritik konfrontiert werden?

Frantz: "Musical America" hat heute etwas sehr Nettes über mich geschrieben. Es gibt immer viele Meinungen, und ich habe in einer Demokratie auch das Recht auf eine eigene Meinung. Ich finde, die Diskussionskultur in Deutschland leidet darunter, dass der Eine glaubt, er hat Recht, aber nicht interessiert ist an den Argumenten des Anderen. Ich finde, das Zeichen einer lebendigen Demokratie ist, dass wir uns auch für anderslautende Meinungen interessieren.

Was wäre denn passiert, wenn Sie in einer Jury-Diskussion das Wort "Krieg" genannt hätten?

Frantz: Das weiß ich nicht. Das wäre ja kein Argument, um einen jungen Musiker oder eine Musikerin zu beurteilen.

Nein, am Rande einer Diskussion natürlich, und nicht, um über pianistische Leistungen zu sprechen.

Frantz: Aber um die ging es ja. Ich kann ja nicht plötzlich meinen Finger erheben und sagen: Aber es gibt ja auch den Krieg! Nein, das hätte nicht gepasst und hätte letzten Endes auch die Objektivität der Diskussion deutlich geschmälert.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 30.06.2023 | 16:30 Uhr

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