Teilnehmerinnen und Teilnehmer laufen während der Parade zum Christopher Street Day im August 2022 am Glockengießerwall entlang. © Georg Wendt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Georg Wendt
Teilnehmerinnen und Teilnehmer laufen während der Parade zum Christopher Street Day im August 2022 am Glockengießerwall entlang. © Georg Wendt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Georg Wendt
Teilnehmerinnen und Teilnehmer laufen während der Parade zum Christopher Street Day im August 2022 am Glockengießerwall entlang. © Georg Wendt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Georg Wendt
AUDIO: Hamburg Pride: "Kein CSD ohne Angriffe auf queere Menschen" (10 Min)

Hamburg Pride: "Kein CSD ohne Angriffe auf queere Menschen"

Stand: 04.08.2023 14:27 Uhr

Die Regenbogenflaggen wehen in Hamburg: Es ist Pride Week. Der Höhepunkt ist die große Demo zum Christopher Street Day am Sonnabend. Ein Gespräch mit Manuel Opitz vom Veranstalter Hamburg Pride.

Manuel Opitz, es gibt mittlerweile die Ehe für alle, es gibt Diversitätsbeauftragte, es gibt Cremes in Dosen mit Regenbogenfarben. Warum brauchen wir überhaupt noch einen CSD?

Manuel Opitz: Natürlich gibt es das alles. Es gab viele Fortschritte im politischen und gesetzlichen Bereich. Aber es gibt immer noch wahnsinnig viel zu tun. Das sieht man zum Beispiel diese Woche erst: Die Polizei hisst die Regenbogenfahne und es bricht ein Mega-Shitstorm los, massenhaft Leute beschweren sich. Das merken wir auch unter unseren Postings in den Sozialen Medien. Da schreiben manche Leute darunter: "Beim Anblick der Regenbogenfahne könnte ich kotzen". Da sieht man, dass es noch ganz viel gesellschaftliche Arbeit gibt. Was uns wirklich sehr viele Sorgen bereitet, ist, dass es in den letzten Monaten keinen einzigen größeren CSD ohne Angriffe auf queere Menschen, also Demo-Teilnehmende, gab - von Regenbogenflagge entreißen und verbrennen bis hin der Bierflasche auf den Kopf schlagen und Pöbeleien.

Wie ist das Klima in Hamburg? Wie nehmen Sie das wahr?

Opitz: Das Klima in Hamburg ist vielleicht im Vergleich zu anderen Teilen von Deutschland liberaler. Nichtsdestotrotz nehmen wir auch hier wahr, dass das Klima rauer wird. Als am vergangenen Freitag die Regenbogenfahne am Rathaus gehisst wurde, gab es jede Menge Hasskommentare. Leute regen sich wahnsinnig auf, dass einmal im Jahr diese Regenbogenflagge gehisst wird und da fragen wir uns natürlich: Woher kommt überhaupt dieser Hass? Was haben diese Leute gegen uns?

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Welche Konsequenzen hat das für die Parade in Hamburg?

Opitz: Sicherheit spielt für uns eine sehr große Rolle. Wir sind mit der Polizei im Austausch. Seit Wochen wird an dem Sicherheitskonzept gefeilt. Die Polizei hat ihre Einsatzkraft erhöht. Und unsere Ordnerinnen und Ordner werden mit Funkgeräten ausgestattet, um einen Informationsfluss zu gewährleisten.

Welches ist die wichtigste Forderung, die noch unerfüllt ist?

Opitz: Unser Ding dieses Jahr ist das Selbstbestimmungsgesetz für Transmenschen. Der CSD findet dieses Jahr unter dem Motto "Selbstbestimmung jetzt! Verbündet gegen Transfeindlichkeit!" statt. Dieses Selbstbestimmungsgesetzes soll schon seit sehr langer Zeit kommen und es ist immer noch nicht durch. Die Ampel-Regierung kommt da auch nicht weiter. Das heißt, wir versuchen dieses Jahr Druck auf die Bundesregierung aufzubauen, dass endlich Transmenschen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht wird.

Die CDU ist von der Parade ausgeladen, weil sie in Teilen anderer Ansicht ist - beim Thema Gender-sensible Sprache und Selbstbestimmungsrecht. Ist diese Ausladung nicht sehr hart?

Opitz: Das denken wir nicht. Ein CSD kann nur politische Forderungen glaubwürdig aufstellen, wenn an der Demo keine Gruppen teilnehmen, die genau gegen diese Forderungen sind, so wie das jetzt im Fall der CDU ist. Deren Beschluss vom Landesparteitag im Juli schreibt schon in der Überschrift "Selbstbestimmungsrecht ablehnen". Das ist genau das Gegenteil von dem, wofür wir auf die Straße gehen.

VIDEO: Christopher Street Day: CDU "nicht willkommen" (2 Min)

Es ist aber nicht so, dass alle bei der CSD-Parade mit Gendersternchen sprechen würden oder keine kritischen Anfrage an das Selbstbestimmungsgesetz hätten.

Opitz: Für offene Diskussion sind wir natürlich immer dialogbereit. Aber das große Ziel muss schon zumindest ähnlich sein und nicht diametral entgegengesetzt. Insofern ist jeder auf der Demo willkommen, der nicht gendert und kein Gendern-Fan ist. Das ist auch gar nicht unser Punkt. Wir haben Kritik an der CDU geäußert, dass sie diese Anti-Gendern-Initiative unterstützt, weil die Initiatorin dieser Initiative gesagt hat, dass Homosexuelle und Transmenschen das Ende der Evolution sein. Das sind natürlich Ressentiments gegen uns und das können wir natürlich nicht hinnehmen.

Dafür hat sie sich jetzt, wenn ich es richtig verfolgt habe, entschuldigt oder das zurückgenommen.

Opitz: Diese Entschuldigung können wir natürlich so nicht voll gelten lassen, denn zum einen kommt sie fünf Monate zu spät und zum anderen hat sie sich genau für diesen Satz eben nicht entschuldigt.

Das sind wahnsinnig viele Menschen auf der Straße, 250.000 werden am Sonnabend erwartet. Im Fernsehen sieht man dann Drag Queens, was schnell ein Klischee einer schriller Minderheit verbreitet. Ist das nicht schade?

Opitz: Das finden wir auch. Diese 250.000 Menschen sind nicht 250.000 Drag Queens, sondern das ist die ganze Breite der Gesellschaft. Auch Menschen, die nicht queer sind, kommen zur CSD-Demo, um ihre Verbundenheit mit der queeren Community auszudrücken. Das finden wir super. Die gehören auch dazu. Insofern ist das Bild eigentlich viel vielfältiger als das, was häufig im Fernsehen oder in der Zeitung gezeigt wird.

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Wieviel Gedanken macht man sich zum Sicherheitsaspekt im Vorfeld des CSD - auch in Zusammenarbeit mit der Polizei?

Opitz: Das spielt für uns eine sehr große Rolle, gerade vor dem Hintergrund, dass es an vielen vergangenen CSDs in anderen deutschen Städten zu Angriffen auf Demonstrierende gekommen ist. Insofern sind wir da in einem sehr engen Austausch mit der Polizei. Schon seit Wochen wird an dem Sicherheitskonzept gefeilt. Es wird so sein, dass die Polizei ihre Einsatzkraft erhöht hat, sowohl an der Demo als auch auf dem CSD-Straßenfest. Wir werden auch mehr Ordner*innen einsetzen. Die sind wiederum mit Funkgeräten untereinander und mit der Demoleitung verbunden, sodass wir einen schnellen Nachrichtenfluss im Fall der Fälle sicherstellen können.

Wenn man auf die vergangenen Tage und Monate guckt: Von wem kommen denn die Übergriffe?

Opitz: Das lässt sich gar nicht so leicht beantworten. Das ist auch eine unserer Forderung, dass die Polizei viel genauer schauen und analysieren muss, wo eigentlich die gesellschaftlichen Knackpunkte sind. Diese Gewaltvorfälle richten sich nicht ausschließlich nur gegen queere Menschen wie uns, sondern auch gegen andere gesellschaftliche Minderheiten. Es gibt Antisemitismus, Gewaltvorfälle gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund und gegenüber Flüchtlingen. Es scheint so zu sein, dass das gesellschaftliche Klima rauer wird. Davon sind wir als gesellschaftliche Minderheit auch betroffen.

Es sind mehr als 100 Gruppen - und wie viele Musiktrucks dabei? Das ist ein bisschen wie Schlagermove und Loveparade?

Opitz: Davon wollen wir uns doch ein bisschen unterscheiden. Wir sind eine Demonstration, also eine politische Veranstaltung, und keine kommerzielle Veranstaltung. Das ist ein wichtiger Unterschied für uns. Es werden 50 Trucks dabei sein. Die kommen aus allen möglichen Ecken der Gesellschaft. Wir haben viele Unternehmen dabei, die Parteien, Stiftungen und Vereine. Die Nordkirche ist zum Beispiel zum ersten Mal dabei. Wir sind selbst mit drei Fahrzeugen am Start und es gibt es zum ersten Mal einen Inklusionstruck für Rollstuhlfahrer*innen. Da können Rollstuhlfahrer*innen zum ersten Mal bei einer Demo mitfahren. Das ist ein deutschlandweit einmaliges Projekt. Da sind wir sehr gespannt auf die Umsetzung.

Truck bedeutet dann durchaus Musik und tanzen. Wie sieht es aus?

Opitz: Die Trucks hören sich sehr unterschiedlich an. Die sind alle mit unterschiedlichen DJs und DJanes ausgestattet und haben alle unterschiedliche Motti. Die Trucks spielten alle super unterschiedliche Musik - vom Schlager über Techno bis Elektro und ganz normale Popmusik, für jeden Geschmack das Richtige. Das ist auch das Schöne, dass die Menschen, die am Rand stehen, sich einfach aussuchen können, wo sie sich anschließen möchten und wo sie sich am wohlsten fühlen.

Das Gespräch führte Daniel Kaiser.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kulturjournal | 04.08.2023 | 19:00 Uhr

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Hamburger Geschichte

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