Gartentisch mit verschiedenen Blumentöpfen und einer kleinen Schaufel. © picture alliance / Westen61 Foto: Gaby Wojciech

Glosse: Das "fleißige Lieschen" hat ausgedient

Stand: 28.03.2024 12:26 Uhr

Demut soll er lehren, Bewegung an der frischen Luft garantieren, einen zurück zur Natur bringen oder gleich mal die Ernährung einer Familie garantieren - der Garten. Klappt nicht immer. Dass es sogar ein sprachliches Scheitern im Grünen gibt, erzählt eine Betroffene.

von Lenore Lötsch

Als ich neu auf dem Beet war, noch ahnungslos auf dem Acker stand mit meinen Flausen von Selbstversorgung im Kopf, da steckte ich Anfang April die Reihen ab, um Kartoffeln zu legen. An dieser Stelle, ich ahne es, teilt sich gleich mal die Leserschaft: "Ach! Kartoffeln legt man?" - fragen die Städter. "Kartoffeln? Anfang April?", fasst sich die Landbevölkerung an den Kopf.

Meine Gartennachbarin stand an der Seitenlinie wie eine wahrgewordene Vorabendserienfigur mit jahrzehntelanger Schürzenerfahrung und verschränkten Armen, der man allerdings nicht das politisch korrekte Drehbuch ausgehändigt hatte: "Junge Frau" - ja, es ist schon ein paar Monde her - "Kartoffeln legen - nicht vor Hitlers Geburtstag!". Es gibt so Sätze, die man nicht vergisst, leider! Ich plane seitdem das Gartenjahr mit meinem persönlichen Diktatorenkalender.

Sprache und Bewusstein: Aus für das "fleißige Lieschen"

Vom Traum der ambitionierten Selbstversorgerin zur kleinlauten Gartenversagerin brauchte es nur eine Saison. Aber im Gartenjahr 2024 habe ich eine neue Mission: In diesem Frühjahr wird in unserem Garten nur noch Ökosaatgut versenkt. "Saaten und Taten" heißt der Katalog, geht ja schließlich nicht nur ums Gärtnern, Weltrettung muss schon auch ein bisschen sein.

Nahaufnahme einer Balsamine. © picture alliance / dpa Themendienst Foto: Andrea Warnecke
Wokeness in der Pflanzenwelt? Das "Fleißige Lieschen" heißt jetzt "Balsamine".

Und er verspricht "nachbaufähige Gemüse, Kräuter, Blumen und alte Kulturpflanzen". Meine tägliche Abendlektüre! Gartentechnisch bin ich echt spät dran. Auf dem Instagramkanal von Garteninfluencerin Judith Rakers sprießen die Tomaten schon in der Anzuchterde, ich hab noch nicht mal das Saatgut bestellt, weil ich die Namen nicht mehr kenne und mich gerade über "Sprache und Bewusstsein" informieren lasse. Durch eine Abhandlung - im Saatgutkatalog.

Das "fleißige Lieschen" heißt jetzt "Balsamine". Fleißig ist also in Verruf - echt jetzt? Oder geht’s doch ums Lieschen? Hab ich was verpasst? Die Schweizer nennen sie übrigens "Säufferchen". Aber das ist eigentlich nur eine Pflegeanleitung. Oder die dunkel-violette Zentralblüte der "Wilden Möhre" zum Beispiel, die wurde als "Mohrenblüte" bezeichnet. Ist heute natürlich gestrichen. Die "Mohrrübe" heißt aber noch "Mohrrübe" - der Name kommt nämlich vom althochdeutschen "mor(a)ha", was nichts mit Rassismus zu tun hat, sondern vom indogermanischen Wortstamm für "essbare Wurzel" herrührt.

Umbenennungsfuror im Saatgutkatalog

Ganz schräg, aber in eine völlig andere Richtung, scheint es bei den Zoologen zu laufen: Die internationalen Regeln für zoologische Nomenklatur besagen, dass historisch zuerst verwendete Namen nicht mehr geändert werden dürfen. Denkmalsturz ist da per Dekret ausgeschlossen. Sie fragen sich sehnsüchtig, wo der Konservatismus geblieben ist? Vielleicht einen Mitgliedsantrag für die Zoologische Gesellschaft stellen! Der Käfersammler Oskar Scheibel  - ein Österreicher -  brachte seine Verehrung für einen anderen Österreicher 1937 zum Ausdruck, in dem er den Namen "Anophthalmus hitleri" vergab. Klassifikation immerhin: Räuberischer Laufkäfer.

Der Umbenennungsfuror in meinem Saatgutkatalog treibt dagegen Blüten: Die "Jungfer im Grünen", die heißt jetzt "Damaszener Schwarzkümmel". Denn die anderen deutschen Namen kamen nicht in Frage: "Gretl in der Heck", "Gretchen im Busch", "Venushaarige", "Braut in Haaren". Es ginge um Rollenmuster, die dringend zu hinterfragen sind - immer und überall.

Poetik im Grünen? Nichts da! Es wird 2024 ordentlich woke gegrubbert. Nur nicht von mir. Ich komme ja nicht dazu, die Gummistiefel anzuziehen, ich hab jetzt ne neue Passion: denn die haben da noch einige Namen übersehen: Die "kleine Rheinländerin" - hallo? Was soll denn aus dieser Erbse mal werden mit dem Namen? Und die Stangenbohne "Blauhilde", die "Einlochbohne Hause" - ich brauche ein Namens-Schambeet: "Rüsselrettich" und "Elefantenrüssel", bei mir könnt ihr wachsen!

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Rasch durch den Garten | 08.04.2024 | 21:00 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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