Michael Rediske © picture alliance/dpa Foto: Annette Riedl
Michael Rediske © picture alliance/dpa Foto: Annette Riedl
Michael Rediske © picture alliance/dpa Foto: Annette Riedl
AUDIO: Gewalt und Hetze im Netz: Pressefreiheit in Deutschland "angekratzt" (4 Min)

Gewalt und Hetze im Netz: Pressefreiheit in Deutschland "angekratzt"

Stand: 11.09.2023 15:34 Uhr

Wie steht es um die Pressefreiheit in Deutschland? Eine der Fragen mit der sich die 1. Hamburger Woche der Pressefreiheit beschäftigt. Ein Gespräch mit Michael Rediske, Vorstandssprecher bei Reporter ohne Grenzen.

Herr Rediske, in Sachen Pressefreiheit liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz 21 hinter Ländern wie der Tschechischen Republik oder Lettland. Woran liegt das?

Michael Rediske: Dass Deutschland da abgerutscht ist, liegt daran, dass wir im letzten Jahr mehr als hundert Übergriffe und Angriffe auf Journalisten und Journalistinnen verzeichnen mussten, die meisten davon auf rechtspopulistischen oder Corona-Demos. Ansonsten liegt Deutschland immer noch im stabilen Mittelfeld der EU-Länder. Strukturell haben wir immer noch eine stabile Pressefreiheit, die aber unter der Oberfläche ein bisschen angekratzt wird, weil zu viele Leute gegen angebliche "Systemmedien" oder "Lügenmedien" agieren und sich das in Hetze im Internet und manchmal auch in Gewalt umsetzt.

Weitere Informationen
Die Weltkarte mit farbig gestalteten Bereichen für Länder mit bedrohter Pressefreiheit. © Picture alliance Foto: F. Bökelmann - Grafik

Tag der Pressefreiheit: Deutschland im Ranking abgerutscht

Reporter ohne Grenzen zählte 2022 so viele Angriffe auf Journalisten wie nie. mehr

Hat das alles mit den Corona-Demos begonnen?

Rediske: Diese rechtspopulistische Ecke hat mit den Corona-Demos Fahrt aufgenommen - begonnen hat es aber eigentlich schon früher, indem die sozialen Medien, vor allen Dingen Facebook, angefangen haben, gegen Journalisten und Journalistinnen zu hetzen. Dass der öffentliche Diskurs so in Hetze und Hass umgeschlagen ist, hat schon deutlich vor Corona begonnen.

Welche Auswirkungen hat diese Hetze?

Rediske: Die physischen Angriffe, die Berichterstatter und Berichterstatterinnen gerade in Thüringen und in Sachsen, aber zum Teil auch in anderen Bundesländern erlebt haben, haben dazu geführt, dass sich Journalisten im letzten Jahr nur noch mit Sicherheitspersonal auf manche Demos gewagt haben. Das ist die unmittelbare Auswirkung. Aber das, was die Journalisten und Journalistinnen viel mehr betrifft, ist die Hetze im Netz. Da haben sich vor allen Dingen Frauen, die viel öfter bepöbelt und auch sexistisch angegriffen werden, zum Teil aus den sozialen Medien zurückgezogen, weil sie das einfach nicht mehr ertragen konnten.

Weitere Informationen
Can Dündar im Gespräch mit Ingo Zamperoni © Jann Wilken

1. Hamburger Woche der Pressefreiheit: Alle Infos

"Information ist ein Menschenrecht" - bei NDR Info startete die Woche der Pressefreiheit mit einem Livestream und verschiedenen Workshops. mehr

Was sind das für Menschen, die die Pressefreiheit im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen treten?

Rediske: Das ist unterschiedlich. Es gibt mittlerweile einen rechtsradikalen Bodensatz, Leute, die nicht mehr erreichbar sind, die nur noch in abgeschotteten Blasen auf Telegram oder anderen entsprechenden Kanälen agieren. Aber viele Leute haben einen Vertrauensverlust gegenüber den Medien oder auch der Politik - Politik und Medien werden da oft in einem Atemzug genannt und als zusammenhängend begriffen: Das sind die da oben, und wir sind hier unten und müssen uns irgendwie wehren. Das ist ein sehr vereinfachtes Bild von der Gesellschaft. Es ist schwer, da ranzukommen, aber man muss es immer wieder versuchen. Dem soll auch diese Woche der Pressefreiheit dienen.

Was müsste man tun, um diese Menschen überhaupt zu erreichen? Und was müsste man deren Aktionen entgegensetzen, damit die eingedämmt werden?

Rediske: So einfach ist das nicht. Es wird immer wieder gesagt, man solle den Dialog suchen mit denen, mit denen man noch Dialog führen kann. Die, die protestiert haben: "Merkel an den Galgen" - die wird man nicht mehr so leicht erreichen. Aber viele, die kein Vertrauen mehr in Medien oder Politik haben, weil die Politik im Moment nicht in der Lage ist, ihre Probleme zu lösen - mit denen kann man sicherlich in einen Dialog treten. Das versuchen viele, auch die Stiftungen, die diese Woche der Pressefreiheit zusammen mit dem NDR organisiert haben.

Das Interview führte Julia Westlake.

Weitere Informationen
Der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda © picture alliance/dpa Foto: Christian Charisius
7 Min

Kultursenator Brosda: Wir brauchen eine Debatte über Pressefreiheit

Die Pressefreiheit sei keine Selbstverständlichkeit, sagte Brosda auf NDR Info. Es brauche eine große Kraftanstrengung, um sie zu erhalten. 7 Min

Björn Höcke (links), der gewählte Landrat Robert Sesselmann (Mitte) und Tino Chrupalla (2.v.r.) stehen bei der AfD-Wahlparty in Sonneberg zusammen. © dpa-Bildfunk Foto: Martin Schutt
9 Min

Wie die AfD die Pressefreiheit missachtet

Die AfD verschließt sich den etablierten Medien. So lehnte Thüringens AfD-Landrat Robert Sesselmann alle Interviews bislang ab. 9 Min

Ein Holzstempel mit der Aufschrift "Pressefreiheit" auf einer Schieferplatte mit weiteren Stempeln unscharf dahinter. Foto mit Composing vor einem blauen Hintergrund. © picture alliance / SULUPRESS.DE Foto: Torsten Sukrow
5 Min

Zahl der Angriffe auf Journalisten im Norden so hoch wie nie

Medienskepsis ist mittlerweile weit verbreitet, doch manchmal bleibt es nicht dabei. Angriffe auf Journalisten häufen sich - auch im Norden. 5 Min

"Tagesthemen"-Moderator, Journalist und Autor Ingo Zamperoni zu Gast in der NDR Talk Show am 1. Juni 2018 © NDR/Uwe Ernst Foto: Uwe Ernst
7 Min

Ingo Zamperoni: Kampf für die Pressefreiheit lohnt sich

Pressefreiheit sei keine Selbstverständlichkeit mehr - auch in Deutschland nicht, sagte der tagesschau-Moderator auf NDR Info. 7 Min

Auf dem Bildschirm eines Smartphones sieht man die Hashtags Hass und Hetze in einem Twitter-Post. © picture alliance/dpa Foto: Fabian Sommer
4 Min

Das Netz als Radikalisierungsmaschine: Hassverbrechen nehmen zu

Radikale Inhalte und Verschwörungstheorien werden oft unter dem Deckmantel der Pressefreiheit "verkauft", sagt Extremismusforscherin Julia Ebner. 4 Min

Zwei Männer lesen in der Nachkriegszeit auf der Straße eine Zeitung, undatierte Aufnahme. © picture alliance / dpa Foto: dpa

Pressefreiheit nach dem Krieg: Der Neustart im Norden

Nach Kriegsende entwickelte sich unter Obhut der Alliierten eine neue Medienlandschaft. Ein Dossier zum Tag der Pressefreiheit. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 11.09.2023 | 16:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Medien

Pressefreiheit

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Eine Szene aus dem Film "The Fall Guy" © Universal

"The Fall Guy" mit Ryan Gosling: Hommage an die guten alten Film-Stunts

"The Fall Guy" ist vieles in einem: ein Meta-Film übers Filmemachen, eine Screwball-Komödie, eine Liebesgeschichte und ein Actionfilm. mehr