Stand: 02.03.2015 15:00 Uhr

Avicenna: Ein Signal an junge Muslime

von Michael Hollenbach

Der persische Universalgelehrte Ibn Sina - oder in der lateinischen Form Avicenna - lebte vor rund 1000 Jahren und war einer der berühmtesten Wissenschaftler seiner Zeit. Avicenna ist der Namensgeber des Studienwerks, das seit diesem Semester zum ersten Mal rund 60 muslimische Studierende fördert. Die Stiftung, die ihren Sitz in Osnabrück hat, wurde 2013 gegründet und wendet sich speziell an Studierende islamischen Glaubens.

Hakan Tosuner © Younes Al-Amayra Foto: Younes Al-Amayra
Hakan Tosuner will die Anzahl der Stipendiate in den kommenden Jahren auf insgesamt 500 ausbauen.

Im vergangenen Jahr lud das Studienwerk Avicenna zum ersten Mal Studierende ein, sich um ein Stipendium zu bewerben. Der Geschäftsführer Hakan Tosuner war überrascht, dass sich mehr als 600 bei ihm meldeten: "Das war eine tolle Resonanz, das zeigt uns aber auch, dass ein großer Bedarf vorhanden ist und auch schon viele Muslime eine akademische Laufbahn anstreben." Dass sich nun ein muslimisches, staatlich gefördertes Studienwerk etablieren konnte, hat für Hakan Tosuner zwei Aspekte: "Einerseits als Anerkennung und Wertschätzung von Seiten des Staates. Das ist als Signal sehr wichtig. Und dieses Signal kommt dann auch bei den jungen Muslimen an, sie fühlen sich dadurch wertgeschätzt und sind noch mal motivierter in dem, was sie tun."

Ein Zeichen für das Potential muslimischer Mitbürger

Nur jeder zehnte Bewerber konnte als Stipendiat angenommen werden. Und die 60, die nun ideell und materiell gefördert werden, studieren alle möglichen Fächer: "Das ist manchmal so ein Missverständnis, dass man denkt, ein muslimisches Förderwerk, die fördern nur Personen, die Islamwissenschaften oder islamische Theologie studieren. Dem ist nicht so."

Canan Bayran hat Islamische Theologie studiert. Sie arbeitet nun an der Universität Hamburg an ihrer Doktorarbeit über islamische Rechtsmethodik. Die junge Muslima hatte sich für ein Promotionsstipendium auch bei anderen Studienwerken beworben, war aber glücklich, dass sie gerade bei Avicenna angenommen wurde: "Da ist sehr viel Herzblut mit eingeflossen, als ich mich beworben habe, insbesondere weil es ein Zeichen war, wieviel Potential muslimische Mitbürger hier in Deutschland haben und sich so in die Gesellschaft einbringen."

Bei der Auswahl der Bewerber spielen das soziale Engagement, die Auseinandersetzung mit dem Islam und überdurchschnittliche Leistungen eine Rolle, sagt Avicenna-Geschäftsführer Hakun Tosuner: "Wir gucken auf die Lebensleistung der Bewerber: Kommen sie aus einem bildungsfernen Elternhaus, können sie mit einer großen Lebensleistung aufwarten, in dem sie die ersten in der Familie sind, die Abitur machen? Das rechnen wir denen als eine große Lebensleistung an."

Aus der Verbindung verschiedener Kulturen entsteht Kreativität

Neben den politisch ausgerichteten Studienwerken gibt es auch die religiösen: das katholische Cusanuswerk, das evangelische Villigst-Werk, das jüdische Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerk. Das Avicenna falle da etwas aus dem Rahmen, meint Hakun Tosuner: "Einerseits dadurch, dass bei uns die Bewerber und Stipendiaten zu 95 Prozent einen Migrationshintergrund haben. Migration ist ja in Deutschland oft verbunden mit Arbeiterschicht, deswegen sind unsere Stipendiaten Menschen, die aus bildungsfernen Schichten kommen." Wie auch Canan Bayran. Ihre Eltern stammen aus Istanbul, ihr Vater war Arbeiter in Hamburg. Als Kind spürte Canan zwar den Unterschied zu ihren deutschen Schulkameraden, aber im Nachhinein sieht sie ihren Migrationshintergrund positiv: "Ich finde diese Kombination unterschiedlicher Kulturen und Identitäten einfach so wertvoll und kreativ. Ich sehe das nicht negativ besetzt. Im Gegenteil: daraus entsteht auch eine Kreativität, die mir auch Kraft gibt."

Nach religiösen Kriterien werde nicht ausgesucht, betont der Geschäftsführer. Er ist sich aber sicher, dass keine Salafisten unter den Stipendiaten seien: "Ich glaube, wenn solche Personenkreise sich unsere Webseite anschauen, die würden sich nicht angesprochen fühlen. Das sagt auch etwas über Salafisten oder diese Szene aus: Die sitzen eher woanders als in Hörsälen. Deren Milieu ist ein ganz anderes." In den kommenden Jahren will Avicenna, das wie die anderen Werke vom Bundesbildungsministerium gefördert wird, die Zahl der Stipendiaten kontinuierlich steigern - auf insgesamt 500 in fünf Jahren.

Die Sendung zum Nachhören
Canan Bayran, Avicenna Stipendiatin © Canan Bayran/Avicenna Foto: Valentin Paster
4 Min

Das Freitagsforum zum Nachhören: Studienwerk Avicenna

Avicenna, das ist nicht nur ein persischer Universalgelehrter, sondern auch der Name eines Studienwerks, das rund 60 muslimische Studierende fördert. Canan Bayran ist eine Stipendiatin. 4 Min

Überblick
Die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem © NDR

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Freitagsforum | 06.03.2015 | 15:20 Uhr

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Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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