Eine Karikatur von Kanzler Olaf Scholz als einäugiger Kapitän mit Fernglas neben anderen Karikaturen in Mainz beim Carneval-Verein © Arne Dedert/dpa +++ dpa-Bildfunk Foto: Arne Dedert

Nachgedacht: Die Macht des Lachens

Stand: 09.02.2024 07:31 Uhr

Warum Karneval und die Narren in diesen seltsamen Zeiten den Ernst der Lage besser erkennen als die Ernsten. Worüber man lacht, verliert seinen Schrecken und seine Macht.

von Lena Bodewein

Da sind se wieder, die tollen Tage, alaaf, es ist Karneval. Und damit Sie es direkt wissen: Isch bin jeck, ich liebe die "Session". Aber in diesem Jahr habe ich das Gefühl, dass die Normalität viel verrückter geworden ist, als die Tage zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch. Denn eigentlich ist es ja der Job der Narren, die Welt ein wenig außer Rand und Band geraten zu lassen - aber das macht die Welt momentan schon ganz alleine, weil sie bis zum Platzen gefüllt ist mit Kriegen, mit Hetze, mit machthungrigen Lumpen ohne Moral. So gerät sie aus den Fugen, die Welt, und der Karneval wird beinahe seiner Kernkompetenz beraubt. Beinah.

Witze können nur von unten nach oben funktionieren

Lena Bodewein © Lena Bodewein
Das, worüber man lacht, verliert seinen Schrecken und seine Macht, meint Lena Bodewein.

Denn was ist die? Ursprünglich mal den Mächtigen ins Gesicht zu lachen, sie fratzenhaft verzerrt, überzeichnet darzustellen, ihnen ihre Macht zu nehmen, indem man sich über sie lustig macht. Witze können nur von unten nach oben funktionieren, nur von der Position der Schwächeren aus, die sich über die Mächtigeren lustig machen.

Wie Charlie Chaplins Film "Der große Diktator", diese fantastische Hitler-Parodie: Wenn ein Mann, der einen Führerkult bedient, wie ein Hanswurst dargestellt wird, albern einen Globus balancierend, in Fantasiesprache Silben ausstoßend, dann ist das, bei allem Schrecken bester Slapstick. Das Erheben von Personen zu Ideologien, wie auch im Stalinismus oder Maoismus - wenn erstmal gelacht wird, bricht das Kartenhaus aus Angst und Schweigen zusammen. Nicht erstaunlich also, dass Chinas Staatspräsident Xi Jinping verboten hat, trotz großer Ähnlichkeit mit Pu dem Bären verglichen zu werden - zu niedlich, zu harmlos, zu lustig, diese Figur.

Charlie Chaplin, 1931 © Ronald Grant Archive / Mary Evan Foto: Mary Evans Picture Library
AUDIO: 1940: Uraufführung "„Der große Diktator"“ (15 Min)

Angst vor dem Lachen in Umberto Ecos Erfolg "Der Name der Rose"

Denn das, worüber man lacht, verliert seinen Schrecken und seine Macht. Kein Wunder, dass in Umberto Ecos Welterfolg "Der Name der Rose" der greise Mönch Jorge de Burgos nichts mehr fürchtet als das Lachen; er mordet und legt Feuer, damit eine verschollen geglaubte Schrift des Aristoteles über die Komödie verschollen bleibt, da Lachen gotteslächerlich sei - und womöglich die Macht der Kirche untergrabe.

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Cover der Jubiläumsausgabe von "Der Name der Rose" des Autors Umberto Eco © Carl Hanser Verlag

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Die Macht des Lachens ist also groß, und jemand, der das leidlich erfahren musste, ist Armin Laschet: Der Aachener war Kanzlerkandidat, als er lachend während einer bewegenden Rede nach der Jahrhundertflut abgebildet wurde. Danach war jeglicher Wahlerfolg ausgeschlossen. Er, der als alberner Tropf in Karnevalsuniform und mit Narrenkappe gezeigt und reichlich lächerlich gemacht wurde, dieser Jeck nun wird sehr, sehr ernst und dafür gefeiert: Denn Laschet erkennt und beschwört den Ernst der Lage - in seiner Rede bei einer Demo gegen Rechts zeichnete er nach, wie schnell Hitler und die NSDAP nach der Reichskanzlerwahl die Demokratie abschafften - Anti-Demokraten dürften darum nicht in staatliche Positionen kommen, so warnte der "Ritter wider den tierischen Ernst" vor der AfD.

Karnevalisten sind keineswegs nur kalauernde, feiernde Quatschköppe. Narren wissen sehr wohl, wann Handeln angebracht ist, wann Mächtige vorgeführt werden müssen und ihrer Macht beraubt. Das wird uns von klein auf in die Wiege geschmissen: Denn Konfetti ist bunt, nicht braun.

Umberto Eco (1932-2016), italienischer Schriftteller und Philosoph, auf einer Aufnahme von 1995. © picture alliance / ROPI Foto: Antonio Pisacreta
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | NachGedacht | 09.02.2024 | 10:20 Uhr

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