NachGedacht: Abtreibungsurteil in den USA ist eine Rolle rückwärts
Der Oberste Gerichtshof in den USA hat das Recht auf Abtreibung gekippt. Dass ein solcher Rückschritt im Jahr 2022 möglich ist, wundert nicht nur Kolumnistin Claudia Christophersen.
In dieser Woche waren sie wieder zu sehen: Atemberaubende Bilder vor blauweißer bayerischer Bergkulisse. Der amerikanische Präsident, bestens gelaunt mit überschwänglichen Komplimenten gegenüber Olaf Scholz: Gut gemacht in Sachen Ukraine, gut gemacht in vielerlei Hinsicht. Heißt so viel wie: Wir ziehen gemeinsam an einem Strang.
Sieben Männer sitzen an einem Tisch, Hemdsärmel hochgekrempelt, Krawatten entknotet und beiseitegelegt. Klare Botschaft: Wir sind unter uns, es wird Tacheles geredet, Sieben gegen den Rest der Welt, gemeinsam gegen die Feinde der Demokratie und damit auch gegen Putin. Wer die Bildsprache zu deuten weiß, sieht: Deutschland und die USA sind sich nah, sehr nah. Biden und Scholz - ein Präsident, ein Kanzler, lange waren sie nicht so vereint wie in diesen Elmau-Stunden.
Trotz Elmauer Bilderbuch-Event auch Uneinigkeit bei G7-Treffen
Einig in den großen Themen der Weltlage mit dem Appell: still work to do: Neue Sicherheitsarchitektur, Waffenlieferungen an die Ukraine, Sanktionen gegen Russland und ja, ein internationaler Klimaclub soll gegründet werden, um das 1,5-Grad-Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Also, Scholz und Biden, Deutschland und USA: große Freundschaftsbekundung mit "you did a great job".
Bei allen gesungenen Lobes-Hymnen dieser Tage, kurz vor dem Elmauer Bilderbuch-Event gab es auch Punkte der Uneinigkeit. Nicht zwischen Biden und Scholz, wohl aber in der Auslegung von grundlegenden Rechtsfragen in den USA und in Deutschland.
USA rollen in der Abtreibungsfrage rückwärts
Vor einer Woche wurde eine gravierende Entscheidung in den USA getroffen, die nicht nur Deutschland zumindest irritiert. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde ein zentrales Recht gekippt, das Frauen betrifft. Rückblick: 1973, die legendäre Grundsatzentscheidung im Fall Roe gegen Wade. Das Abtreibungsrecht wurde liberalisiert, Schwangerschaftsabbrüche waren nicht mehr illegal. Perdu seit letzter Woche, zumindest in konservativ regierten Bundesstaaten. Ein Erdbeben. Linksliberale Frauen sind entsetzt, zornig, wütend. Andere können ihr Glück kaum fassen, weil endlich mindestens in dieser Hinsicht wieder Zucht und Ordnung herrscht.
Während also in Deutschland, auch das passierte in der letzten Woche, Paragraf 219a, der das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen regelt, gestrichen wurde, rollen die USA in der Abtreibungsfrage rückwärts. Was für ein Signal, das andernorts in der großen Weltgemeinschaft auch nicht unbeachtet bleibt.
Beobachtet und kriminalisiert "Zyklus-App" Frauen in den USA?
Hardliner in Polen, Brasilien werden sich in ihrem Kurs bestätigt fühlen. Israel und Frankreich haben schon reagiert: Israel will Schwangerschaftsabbrüche künftig erleichtern und streicht bislang notwendige Auflagen wie Vorabgespräche. Frankreich zieht mit dem Präsidenten an der Spitze womöglich gesetzgeberische Konsequenzen und will das Recht auf Abtreibung unter Verfassungsschutz stellen.
Und natürlich Rumoren im weltweiten Netz: Frauen werden in der digitalen Community gewarnt. Benutzerinnen einer sogenannten Zyklus-App sollen ihre Daten löschen. "Zyklus-App"? Was ist das? Ein digitaler Kalender, in den Frauen Beginn und Ende ihrer Menstruation eintragen oder Stimmungsschwankungen, Schmerzen, sexuelle Aktivität, eben sehr persönliche Anmerkungen notieren. Eine digitale, sehr intime Langzeitstudie ihres Körpers. Aus Datenschutz-Gesichtspunkten schon lange auch als sehr fragwürdig eingestuft. Dennoch: Viele Frauen in den USA nutzen die App. Und genau sie sind jetzt alarmiert. Denn: Die Daten könnten dazu verwendet werden, Frauen zu identifizieren, die möglicherweise abtreiben wollen. Also: Per App unter Beobachtung? Per App kriminalisiert? Frauen sollten sich gut überlegen, ob sie sich diese digitale Fessel freiwillig anlegen wollen.