Annemarie Dose bei der Premiere der neuen Spielzeit im Hansa-Theater Hamburg am 8. Oktober 2015 © picture alliance / Eventpress Foto: Eventpress MP

Annemarie Dose: Hamburgs weiblicher Robin Hood

Stand: 29.08.2023 05:00 Uhr

1994 hat Annemarie Dose die Hamburger Tafel gegründet. Lebensmittel, die niemand mehr will, gehen an die, die sie brauchen. Am 29. August 2023 wäre die Pionierin 95 Jahre alt geworden.

"Ami" nennen sie ihre Freunde und Mitarbeiter der Hamburger Tafel. Annemarie Dose hilft immer mit - auch noch im hohen Alter. Tonnenweise Lebensmittel müssen gelagert und verteilt werden: zum Beispiel Dosenwürstchen, Nudeln, Süßigkeiten, Joghurt. Auch viel Obst und Gemüse aus dem Handel ist normalerweise im Angebot - wie etwa Äpfel, Blumenkohl und Möhren, welche häufig verschrumpelt sind oder andere optische "Fehler" haben. "Die sind alle aussortiert, weil die dem Handel nicht ins Regal passen und nicht besonders aussehen. Und da haben wir ständig frisches Gemüse, bisschen schief und krumm, aber frisch, frisch aus Norddeutschland", sagt Dose 2012 dem NDR.

Dose ist voller Energie

Die Augen blitzen, für ein Lachen ist die am 29. August 1928 im sächsischen Sörnewitz geborene Dose immer zu haben. Jeden Satz unterstreicht sie mit lebhaften Gesten: Annemarie Dose sprüht vor Energie - und wundert sich manchmal selbst über den Erfolg dieser einfachen Idee, überschüssige Lebensmittel an Bedürftige weiterzureichen. "Es ist nach wie vor eine Faszination, was machbar ist. Also ich find das irre."

Die Tafel hat sie gerettet

1994 hat sie damit angefangen, ist selbst mit dem Korb in der Hand losgezogen, um unverkauftes Brot bei Bäckereien einzusammeln und es an Obdachlose weiterzugeben. "Ich musste mich selbst retten", erklärt sie Jahre später den Entschluss. Denn nach dem Tod ihres Mannes 1993 ist sie mit einer Frage konfrontiert: "Und was machst du mit dem Rest des Lebens? Ich wurde 66. Das muss doch einen Sinn haben. Es gibt Leute, die sind damit zufrieden, Kaffee zu trinken oder zu golfen, oder was weiß ich - aber das ist nicht mein Leben."

Tausende Menschen leben von der Hamburger Tafel

Mitarbeiter der Hamburger Tafel sortieren gespendete Lebensmittel. © Axel Heimken/dpa
Mitarbeiter der Hamburger Tafel sortieren gespendete Lebensmittel.

Mit ihrer zupackenden Art und viel Mut zum Improvisieren baut sie die Hamburger Tafel auf - und trägt maßgeblich dazu bei, dass sich die Idee, die sie aus Berlin übernommen hat, in ganz Deutschland durchsetzt. Sie schafft sich ein Netzwerk an Ehrenamtlichen. Rasch müssen Kühlfahrzeuge und Hallen beschafft werden. 2012 versorgt die Hamburger Organisation jede Woche 20.000 Menschen: ein Erfolg, der undenkbar wäre ohne die inzwischen über 100 ehrenamtlichen Helfer, sagt Annemarie Dose damals. "Jeder bringt seine Beziehungen ein, jeder bringt sein Wissen ein. Manchmal läuft das auch schief, aber aus diesen Sachen kann man ja nur lernen."

2023 versorgen die 31 Ausgabestellen bereits 30.000 Bedürftige pro Woche. 90 Tonnen Lebensmittel werden nach Angaben der Tafel wöchentlich verteilt. Mehr als 120 Ehrenamtliche kümmern sich um den Ablauf. So fahren 16 Fahrzeuge mehr als 200 Betriebe über 600 Mal an, um Essen zu besorgen.

Gleichnamige Stiftung gegründet

Bereits 2002 gründet "Ami "die Annemarie-Dose-Stiftung für die Hamburger Tafel. Sie unterstützt die Tafel und andere gemeinnützige Organisationen in der Hansestadt, die sich für hilfsbedürftige Menschen engagieren. Zweck der Stiftung ist - so die Beschreibung auf der Website - "die Beschaffung von Mitteln zur Unterstützung hilfsbedürftiger Personen durch eine andere gemeinnnützige Organisation". Der Tafel selbst ist es als gemeinnützigem Verein nicht gestattet, Rücklagen zu bilden. Die Stiftung hingegen ist in der Lage, solche finanzielle Spielräume zu schaffen und zu nutzen.

"Im Alter sowas zu erreichen - ein herrliches Gefühl"

2012 gibt Annemarie Dose den Vorsitz der Hamburger Tafel ab. Sie macht Zugeständnisse an das Alter. Ist sie stolz auf das Erreichte? "Nee, das ist ja das Komische, was ist Stolz? Ich bin sowas von zufrieden und bin so mit meiner Welt im Reinen wie nie zuvor. Also sehen Sie mal, wenn man im Alter noch etwas machen kann, und das anderen dient - das ist doch ein herrliches Gefühl", sagt sie dem NDR.

Für ihr Engagement wird Annemarie Dose 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Die Tafel-Gründerin lebt von 1952 an in Hamburg-Volksdorf. Sie stirbt am 28. April 2016 im Alter von 87 Jahren.

Annemarie-Dose-Preis wird jährlich verliehen

Seit 2019 zeichnet der Hamburger Senat Engagement-Projekte mit dem Annemarie-Dose-Preis aus. Damit werden Personen und Einrichtungen geehrt, die das Leben anderer Menschen verbessern. Dabei geht es auch darum, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Hamburg zu stärken. Der Preis wird Jahr für Jahr um den Geburtstag der Namensgeberin am 29. August verliehen.

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Situation der Tafel ist schwieriger geworden

Die Hamburger Tafel steht inzwischen jeden Tag vor neuen Problemen, denn die Zahl der Hilfesuchenden steigt und die Zahl der Lebensmittel-Spenden geht zurück. Seit Monaten habe die Hilfsorganisation zu kämpfen, sodass sie um Hilfe bitten müsse, sagt Frank Hildebrandt, Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Schleswig-Holstein und Hamburg, im Sommer 2023. An einigen Standorten brauchten doppelt so viele Menschen Lebensmittel, Gleichzeitig hätten sich die Spenden halbiert.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 29.08.2022 | 19:30 Uhr

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