Fast vergessen: Blütezeit der Wohldorfer Kleinbahn war nur kurz
Anfang der 1900er-Jahre fahren viele Hamburger gern zur Erholung ins Grüne. Eine Kleinbahn bringt sie bis in den Wohldorfer Wald. Heute sind von ihr nur noch wenige Spuren zu finden.
"Vor dem Aussteigen bitte rechtzeitig an die Tür gehen. Man halte sich an den Handgriffen fest." Hinweisschild in einem Wagen der Kleinbahn
Erholung im Grünen, ein feines Picknick, gepflegte Speisen im Waldrestaurant: Die Hamburger fahren Anfang des 20. Jahrhundert gern raus aus ihrer Stadt. Von Altrahlstedt aus bringt sie ab 1904 eine elektrische Kleinbahn zunächst bis nach Volksdorf, ab 1907 bis nach Wohldorf. Die Reisenden sitzen dabei zum Teil in Doppelstockwagen, deren Bauart vom Jugendstil beeinflusst ist. Die Wagen werden unter anderem von den Waggonfabriken Falkenried in Eppendorf und W.C.F. Busch in Eimsbüttel gebaut.
Wohldorfer Kleinbahn für Ausflügler und Güter
Außerdem wird die Bahn mit ihrer Oberleitung auch für den Gütertransport von den Dörfern in die Stadt und zurück genutzt. In Wohldorf entsteht ein großer Endbahnhof mit Güterabfertigung, einer großen Wagenhalle und einer Rangiergleisanlage - ein in Vergessenheit geratenes Stück Hamburger Geschichte.
Mit der Kleinbahn Altrahlstedt-Volksdorf-Wohldorf haben die Bewohner der Walddörfer endlich ihren lang ersehnten Verkehrsanschluss, um in die Stadt zu kommen. Zuvor fühlen sie sich regelrecht abgeschnitten in ihren Exklaven. Mit dem Pferdeomnibus brauchen sie vor der Jahrhundertwende noch rund zweieinhalb Stunden von Wohldorf nach Barmbek. Dies sei kein akzeptabler Zustand für die auf dem Land ansässige Oberschicht gewesen, die wirtschaftlich eng mit Hamburg verknüpft ist, so Harald Elsner vom Nahverkehrsmuseum Kleinbahnhof Wohldorf. Viele Geschäftsleute hätten unter anderem regelmäßig zur Börse in der Innenstadt fahren müssen.
Eigens gebaute Kraftwerke liefern damals den Strom für die Kleinbahn - und die Ortschaften selbst. Zunächst gibt es zwei Triebwagen, die etwa stündlich in Richtung Rahlstedt fahren. Von dort geht es weiter nach Hamburg oder Lübeck. "Das lief gut an", erzählt Elsner weiter. In den folgenden "fetten Jahren" verkehren bis zu sechs Triebwagen auf der knapp 13 Kilometer langen Strecke. Dazu gibt es zehn der doppelstöckigen Anhänger - "etwas völlig Exotisches damals", so Elsner. Die Oldenfelder Rampe wird als Umschlagsplatz für Güter aller Art rege genutzt.
Walddörferbahn läuft Kleinbahn den Rang ab
Allerdings ist die Blütezeit der Kleinbahn nur kurz. Bereits 1912 entscheidet sich die Stadt Hamburg für eine weitere Bahn in dieser Gegend. Die Walddörferbahn als Teil der neuen Hochbahn soll vom Bahnhof Barmbek aus Farmsen, Volksdorf, Schmalenbeck, Großhansdorf und Ohlstedt erschließen. Und so kommt es auch. Die Walddörferbahn wird zu einer ernsthaften Konkurrenz für die zuvor stark genutzte Kleinbahn - zumal einige Haltestellen identisch sind. In der Folge wird der Betrieb immer weiter reduziert. Auf dem Teilstück Altrahlstedt-Volksdorf wird der Personenverkehr bereits am 15. April 1923 eingestellt. Als der Bau der Walddörferbahn bis Ohlstedt am 1. Februar 1925 abgeschlossen ist, wird auch dort der Personenverkehr der Kleinbahn aufgegeben. Nur die kleine Reststrecke Ohlstedt-Wohldorf bleibt vorerst bestehen. Für den Güterverkehr auf der Strecke Altrahlstedt-Wohldorf ist - auch bedingt durch die Weltwirtschaftskrise - am 1. Mai 1934 Schluss.
Der Bahnhof Wohldorf im Wandel der Zeit: 1907 und 2017 (Schieberegler nach rechts bzw. links bewegen)
Teilstrecke bis nach Wohldorf noch bis 1961 betrieben
Die Hochbahn betreibt die Kleinbahn dann als Verlängerung der Walddörferbahn von Ohlstedt nach Wohldorf - mitten durch den idyllischen Wald. Dort habe man "nicht auf Hochbahn umstellen wollen", erklärt Experte Elsner. Allerdings ist diese Trasse nicht einmal zwei Kilometer lang. 1953 wird die Strecke offiziell als Straßenbahn deklariert. Immerhin dauert es noch bis zum 29. Januar 1961, bis auch dieser Bahnbetrieb eingestellt wird. Hauptgrund: zu hohe Kosten für dringend notwendige Instandsetzungsarbeiten. 500.000 D-Mark werden veranschlagt. So sind etwa Schienen abgefahren und viele Schwellen defekt. Von Ohlstedt nach Wohldorf geht es seither mit Bussen - heute der Linie 276. Das Aus der Kleinbahn führt zu viel Kritik, besonders aus den Walddörfern. Aber der finanzielle Aspekt wiegt zu schwer.
Auch die Idee des eigens gegründeten Kleinbahnvereins Wohldorf, dass eine Museumsbahn auf der Reststrecke fahren und den Betrieb etwa abends und am Wochenende wieder aufnehmen könnte, wird letztlich nicht umgesetzt. Die Kosten sowie rechtliche Probleme sprechen damals laut Elsner hier ebenfalls dagegen. "Es würde sich auch heute nicht lohnen." So existieren von den damaligen Ausflugslokalen, die früher die Menschen in Scharen anlocken, nur noch sehr wenige. Die Gleise werden um 1965 endgültig demontiert. Die große Wagenhalle in Wohldorf wird 1968 abgerissen.
Nur wenige erkennbare Reste
Es gibt heute nur noch wenige Überbleibsel der Kleinbahntrasse. In Meiendorf etwa lässt sich nur aufgrund der mancherorts breiteren Gehwege und Gräben die alte Strecke erahnen. Ansonsten gibt es so gut wie keine erkennbaren Relikte zwischen Rahlstedt und dem Volksdorfer Wald. Dort hingegen kann man bei genauem Hinschauen die überwucherte Trasse inmitten von Bäumen entdecken. Von der Oldenfelder Rampe existieren nur noch ein paar steinerne Reste. Ein drittes Gleis an der U1-Trasse zeugt ebenfalls von der damaligen Güterstrecke. Die Hochbahn hat in diesem Bereich Ende 2019 eine neue U1-Haltestelle namens Oldenfelde eröffnet. Sie liegt zwischen den Stationen Farmsen und Berne.
Weichen sind längst gewichen
Das ehemalige Kleinbahnhofsgebäude in Volksdorf gibt es heute noch. Es steht am Rande des Wochenmarktplatzes, nebenan befindet sich das Kino "Koralle". Dass auf dem heutigen Marktplatz einmal Gleise mit zwölf Weichen lagen, erkennt man nicht mehr. Auch von weiteren damaligen Bahngebäuden ist nichts mehr zu sehen.
Gedenksteine und Museum erinnern an frühere Zeiten
Die Trasse von Volksdorf bis zum Wohldorfer Wald ist inzwischen ein Rad- und Wanderweg entlang der heutigen U1-Strecke. Dort findet man einige Gedenksteine, die an die ehemaligen Haltestellen erinnern. Erhalten geblieben ist zudem ein Teil des Endbahnhofs Wohldorf: das Gebäude der ehemaligen Güterabfertigung, das seit 1999 das Nahverkehrsmuseum beherbergt. Im von Spenden finanzierten Museum sind neben einer Modelleisenbahn viele historische Fotos, interessante Dokumente und seltene Originalteile der Züge zu sehen.
Die meisten Wagen werden nach der Stilllegung verschrottet, so etwa alle "Anton"-E-Loks. Im Eisenbahnmuseum Lokschuppen Aumühle sind zumindest noch ein Triebwagen von 1905 und ein Doppelstockbeiwagen von 1906 zu sehen. Vor dem alten, bis 2022 aufwendig sanierten Bahnhof Wohldorf steht ein weiterer Triebwagen von 1928, leider in keinem guten Zustand, da er der Witterung bis auf eine Plane fast schutzlos ausgesetzt ist. Wo vor 100 Jahren die Gleisanlagen und ein Wartehäuschen waren, ist heute ein einfacher Parkplatz. Ausflügler und Spaziergänger kommen immer noch, um sich im Grünen zu erholen.