Zeitreise: Mensch und Natur ringen um Sylter Sand

Stand: 21.10.2022 13:23 Uhr

Bunen, Tetrapoden und Mauern: Auf Sylt haben sie viele Maßnahmen ausprobiert, um die Insel gegen die Sturmfluten zu schützen. Vor 50 Jahren feierten die Sandaufspülungen ihre Premiere.

von Frank Goldenstein

Kein flaches Watt, das die Wellen bremst. Sylt hat 40 Kilometer Sandstrand. Es gibt nur wenige Stellen an der deutschen Nordsee, an denen das Meer mit so großer Gewalt auf die Küste trifft. Seit dem 19. Jahrhundert hatten die Insulaner Wanderdünen mit Strandhafer bepflanzt. Die Gräser sollten den kostbaren Sand mit ihren Wurzeln halten, um so die Küstenlinie im Westen sichern. Später setzten die Küstenschützer auf Beton. Strandmauern, Bunen und Tetrapoden sollten Sylt vor der nagenden Nordsee retten. Aber das hatte nur bedingt Erfolg. Immer wieder stürzten Gebäude an den Abbruchkanten zwischen List und Hörnum ab.

Auf zu neuen Ufern

1972 dann die Revolution: Zum ersten Mal wird am Westerländer Strand Sand aufgespült. 900.000 Kubikmeter, durch Schläuche gepumpt und zu einer Art Sandbank geformt. Das Experiment wird wissenschaftlich begleitet. Als Volker Hoppe 1976 in Westerland zum Bürgermeister gewählt wird und sein Amt antritt, ist die Auswertung des ersten Spülversuchs noch nicht abgeschlossen. Aber schon damals ist klar: Es muss nachgebessert werden. 1978 folgt die Wiederholung.

Vom Versuch zur regelmäßigen Maßnahme

Von 1983 an wird jedes Jahr im Sommer auf Sylt gespült, um die Küstenlinie zu halten. Die Sandmenge bleibt bis in die 1990er zwar relativ konstant. Aber: Der Sand wird auf immer mehr Abschnitte verteilt. Die Kosten: mehrere Millionen D-Mark.

Wer zahlt die Zeche?

Der Bund lässt in den 1980er-Jahren eine Vorteilsanalyse erstellen. Mit dem Ergebnis: Die Inselgemeinden würden immens von den Sandaufspülungen profitieren, sollen sich deshalb mit zehn Prozent an den Kosten beteiligen. 600 bis 700 000 D-Mark - damals viel Geld für die Gemeinden. "Wir waren entsetzt", sagt der damalige Bürgermeister Volker Hoppe rückblickend. Die Insulaner wehrten sich und machten klar, der Bund von Sylt profitiert: kaufkräftige Touristen, hohe Umsätze und damit auch große Steuereinnahmen für den Staat. Mit Erfolg: Als Volker Hoppe 1991 aus gesundheitlichen Gründen sein Amt aufgibt und die Insel verlässt, sind die dortigen Gemeinden von einer Kostenbeteiligung befreit.

Die Jahrtausendwende

Das Ringen zwischen Mensch und Natur um die Insel geht Jahr für Jahr weiter. An vorderster Front verantwortet Wolfgang Siegfriedt 20 Jahre lang die Sandaufspülungen, als Bauleiter für den Landesbetrieb für Küstenschutz auf Sylt. Das Verfahren hat sich in fünf Jahrzehnten nur geringfügig verändert: Spülschiffe entnehmen Sand vom Meeresgrund und pumpen ihn mit Wasser vermischt durch Rohre an den Strand. Ein Nachteil der Maßnahme: In den Löchern der Entnahmestellen vor Westerland lagert sich Schlick ab. Der hat laut Wissenschaftlern eine Schadstoffkonzentration wie im Hamburger Hafen. Inwiefern das problematisch ist, sei noch nicht untersucht. Am Meeresboden bleiben sozusagen zurück.

Zeit, Bilanz zu ziehen

In 50 Jahren hat Sylt 58 Millionen Kubikmeter Sand erhalten. "Wir konnten die Küstenlinie mit Ausnahme der Spitzen List und Hörnum in all den Jahren halten", sagt der ehemalige LKN-Mitarbeiter Wolfgang Siegfriedt. Bei steigendem Meeresspiegel muss aber auch die jährliche Menge weiter steigen. Sandaufspülungen sind auch teuer: Bis heute haben sie insgesamt 260 Millionen Euro gekostet. Damit sichert der Mensch aber das Leben auf Sylt - und Sachwerte von mehr als dreieinhalb Milliarden Euro. Die Sandaufspülungen sind deshalb für Volker Hoppe und Wolfgang Siegfriedt die nachhaltigste Möglichkeit, die Insel zu schützen.

Weitere Informationen
Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

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Schleswig-Holstein Magazin | 23.10.2022 | 19:30 Uhr

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