Schauspielerin Lotti Huber sitzt mit einem Vecher in der Hand und lächelt in die Kamera. © Heinrich/BriganiArt

Zeitreise: Erinnerungen an Schauspielerin Lotti Huber

Stand: 14.10.2022 13:23 Uhr

Energiebündel, schrille Diva, Gesamtkunstwerk: Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Lotti Huber passte in keine Schublade, so haarsträubend verrückt und unglaublich war ihr Leben. Am 16. Oktober vor 110 Jahren wurde sie in Kiel geboren.

von Carsten Prehn

Familie von Lotti Huber. © NDR
Ein Bild aus frühen Zeiten: Lotti Huber mit ihrer Familie in Kiel.

1912, noch am Abend vor der Geburt, hatte ihre hochschwangere Mutter im Wohnzimmer Walzer getanzt. "Deshalb konnte aus Lotti nur eine Tänzerin werden!", wie sie immer erzählte. Charlotte Goldmann kam als Tochter großbürgerlicher, jüdischer Eltern zur Welt. Ihr Vater hatte ein Textilkaufhaus, sie wuchs mit zwei Brüdern mitten in der Stadt auf, am Kleinen Kiel, neben dem Opernhaus (damals Stadttheater). Als Kind war sie ein Wildfang und schwärmte früh für Tanz und Schauspielerei.

Aufbruch, Haft und Flucht

Nach dem Abitur am Oberlyzeum (heute Käthe-Kollwitz-Schule) ging sie mit ihrer Jugendliebe, dem Sohn des Kieler Oberbürgermeisters, nach Berlin. Doch 1937 wurde der junge Mann von den Nationalsozialisten wegen "Rassenschande" verhaftet und ermordet, und die Jüdin Lotte Goldmann kam ins KZ. Inzwischen war ihre Kieler Verwandtschaft ins Ausland geflohen. Ihrem jüngeren Bruder gelang es, sie mit Hilfe einer US-amerikanischen Organisation freizukaufen und nach Palästina zu holen.

Naher Osten, Zypern, Ehemänner

Lotte studierte Tanz und Pantomime, heiratete einen britischen Offizier, zog mit ihm durch den Nahen Osten und arbeitete als Tänzerin in Nachtclubs und Varietés, bis sie mit ihrem Mann auf Zypern ein Hotel eröffnete. Nach der Scheidung heiratete sie wieder einen britischen Offizier, Norman Huber mit Namen. Mit ihm betrieb sie im Norden der Insel ein Restaurant, bis er versetzt wurde. So gelangte sie über London schließlich zurück nach Berlin.

Plötzlich Witwe - Überlebenskampf, späte Karriere, Kultfigur

Nachdem ihr zweiter Ehemann überraschend verstorben war, musste Lotti Huber sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen, denn ihre 6-Zimmer-Wohnung in Charlottenburg wollte sie auf keinen Fall verlieren. Sie übersetzte englische Liebesromane ins Deutsche, verkaufte Kräuterlikör in Warenhäusern und gab zu Hause Tanzunterricht. Und: "Sie war die Königin der Statisten!", sagt Rosa von Praunheim.

Filmemacher Rosa von Praunheim. © NDR
Er brachte Lotti Huber auf die Leinwand: Regisseur Rosa von Praunheim erinnert sich noch immer gern an die schrille Diva.

Der Regisseur war durch ihre kleinen Filmauftritte auf sie aufmerksam geworden. Und fortan drehte sie mit ihm, Neben- und Hauptrollen in Filmen wie "Anita - Tänze des Lasters" und "Affengeil!". Zur Premiere von "Unsere Leichen leben noch" nahm er sie mit nach Kiel - in ihre Geburtsstadt - wohin sie nie wieder zurück wollte: "In Kiel wurde sie vom Bürgermeister empfangen, sie kriegte viel Presse, man hat ihr da einen roten Teppich ausgerollt, das war natürlich sehr schön." Lotti Huber wurde bundesweit berühmt und besonders in der Schwulen- und Lesbenszene zum Star. "Sie hatte eine tolle Phantasie, und wir passten einfach zusammen", schwärmt von Praunheim.

Bühnenshow und jähes Ende

Aus der fruchtbaren Zusammenarbeit entwickelte sich ein Soloprogramm: Lebenserinnerungen mit Tanz, Kabarett und Chanson. Damit trat sie bis zum Tode auf. Ihre Autobiografie "Diese Zitrone hat noch viel Saft" wurde zum Bestseller und Lotti Huber ein gerngesehener und vielgebuchter Talkshowgast. Ihre Erscheinung mit wallenden Gewändern, Hüten und klirrendem Schmuck, dazu die extrovertierte Art und ihre erstaunlichen, oft frivolen Geschichten: All das war überhaupt nicht altersgemäß und daher ein garantiertes Spektakel. Die 1,50 Meter große Diva mit ihrer mitreißenden Lebensfreude starb mit 85 Jahren überraschend an Herzversagen. In Kiel erinnert das Lotti-Huber-Haus an sie, ein Senioren- und Therapiezentrum.

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Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 16.10.2022 | 19:30 Uhr

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