Zeitreise: Als an der Westküste die Angst umging

Stand: 19.01.2024 14:21 Uhr

Hunderttausende Beutel mit Pflanzenschutzmittel gerieten bei einem Schiffsunfall in die Nordsee. Als sie an die Strände der Westküste trieben, kam es zu einer Krise im Tourismus.

von Karl Dahmen

Heute erinnern sich nur noch Wenige an die Ereignisse, bei denen die Menschen an der Westküste Angst hatten, dass ihre Strände gesperrt werden und die Touristen nicht mehr nach Dithmarschen oder Nordfriesland kommen wollen. "Gift-Angst an der Westküste", "Alarm im Wattenmeer": Das waren damals nur einige Schlagzeilen der Zeitungen, die Schleswig-Holstein in Atem hielten. Rund zwei Wochen lang berichteten Medien intensiv aus dem Norden. Interviews und Berichte in der Tagesschau und in den Tagesthemen zeigten eine Region, die zutiefst verunsichert war.

"Apron plus" im Meer

Der Grund für die Stimmung an der schleswig-holsteinischen Westküste war das Pflanzenschutzmittel "Apron plus". In der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 1993 verlor der französische Frachter "Sherbro" im Ärmelkanal bei schwerer See 88 Container. Ein Unfall, der in Deutschland kaum Erwähnung fand, denn was sollte das für eine Auswirkung für unser Land haben? Einige Container beinhalteten Pflanzenschutzmittel, das für Nigeria bestimmt, aber in Europa verboten war. Einer dieser Container konnte nicht geborgen werden und brach im Sturm auseinander. Hunderttausende von Beutelchen mit dem Pflanzenschutzgift drifteten nach Norden in Richtung Schleswig-Holstein.

Mit Atemschutz auf Beutel-Suche

In einer Petrischale befindet sich ein lila Pulver. © NDR
Das Pflanzenschutzmittel "Apron plus", das für viel Unruhe an der Westküste sorgte.

Als am 21. Januar 1994 die ersten silbrig glänzenden Beutelchen an der Küste des Landes angetrieben wurden, wusste niemand im Land, wie gefährlich das rötliche Pulver wirklich war. Die Unsicherheit war groß, erinnert sich Norbert Bies, der damals im ABC-Trupp der Husumer Feuerwehr Dienst hatte. Zunächst wurde sogar angeordnet, mit Atemschutz die Beutel zu bergen. Wenig später reichten zwar Handschuhe aus, aber man blieb äußerst vorsichtig. In den Dörfern und Städten an der Nordseeküste machten sich nun Freiwillige Helfer und Gemeindevertreter auf, die Beutel einzusammeln.

Schock für den einheimischen Tourismus

Ein älterer Mann bringt ein Schild an mit der Aufschrift "Achtung! Strände gesperrt." © NDR
Verbotsschilder weisen auf die Gefahr an der Nordsee hin.

Hans von Wecheln war damals Pressesprecher der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste und erzählt vom Schock für die Westküstenbewohner, als "Apron plus" angeschwemmt wurde. Touristische Zentren wie St. Peter-Ording hatten Buchungseinbrüche. Landespolitiker wollten damals die Strände zwischen Sylt und der Elbe sperren lassen. Der zuständige Landwirtschaftsminister Hans Wiesen war selbst vor Ort, um die Landräte und Gemeindevertreter davon zu überzeugen. Letztlich war es nur St. Peter-Ording, das Verbotsschilder aufgestellt hatte, den Zugang zum Strand verbot, aber das auch nur für eine sehr kurze Zeit.

Die Menschen gehen wieder zur Tagesordnung über

Ein älterer Mann mit Cappy steht an einem Hafen. © NDR
Hans von Wecheln, ehemaliger Pressesprecher der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste.

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigten aber schnell, dass "Apron plus" gar nicht so giftig war, wie Anfangs gedacht. Untersuchungen ergaben, dass sich das Pflanzenschutzmittel relativ schnell abbaute. Das hatte zur Folge, das die Aufmerksamkeit schnell abnahm. Diskutierte man eben noch, ob man Nordseefisch überhaupt noch essen könne und ob Urlaub an der Nordsee noch möglich sei, verflog das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien rasant. Ab dem 9. Februar verschwand "Alpron plus" von der Tagesordnung.

Aber es begann nun eine Diskussion, wie man den Seeverkehr sicherer machen könne. Fachleute sprachen sich für die Möglichkeit der Ortung auf See verlorener Container aus - europaweit. Seitdem hat es Verbesserungen beim Schutz des Seeverkehrs gegeben. Man solle bedenken, sagt Hans von Wecheln, "jedes Stückchen Verschmutzung, das in die Nordesse gelangt, ist ein Stückchen zu viel." Man habe aber 1994 auch gesehen, "so geht es nicht und hat reagiert", die Verantwortlichen seien lernfähig gewesen.

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Dampflokomotive aus dem 19. Jahrhundert. © dpa - report Foto: Votava

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 21.01.2024 | 19:30 Uhr

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