Nord-Stream-Anschläge: Russisches Schiff in Tatortnähe fotografiert
Die dänische Marine hat ein für Sabotageakte geeignetes russisches Hebeschiff mit Rettungs-U-Boot vier Tage vor den Explosionen der Nord-Stream-Pipelines in Tatortnähe fotografiert. Das bestätigte das dänische Verteidigungskommando dem NDR. Experten sprechen von einem "ersten Beweis", dass zur fraglichen Zeit tatsächlich russische Spezialschiffe an den Anschlagsorten operierten.
Wie das dänische Verteidigungskommando dem NDR in MV am Freitag auf Anfrage bestätigte, befand sich vier Tage vor den Anschlägen das russische Spezialschiff "SS-750" in der Nähe der späteren Explosionsorte. Das dänische Patrouillenboot "Nymfen" habe dort am 22. September vorigen Jahres 26 Fotos von dem mit einem Rettungs-U-Boot ausgerüsteten Hebeschiff gemacht, bestätigte eine Sprecherin des dänischen Verteidigungskommandos. Laut Geheimdienstexperten ist ein Schiff wie die "SS-750" technisch in der Lage, solche Sabotageakte unter Wasser auszuführen.
Verdächtiges Schiff wurde auf Neptunwerft in Rostock gebaut
Das knapp 100 Meter lange Schiff "SS 750" gehört zu einer Serie von Hebeschiffen, die in den 1980er-Jahren auf der Rostocker Neptunwerft für die Sowjetunion gebaut wurden. "Das ist der erste echte Beweis, dass sich in den Tagen vor den Anschlägen ein russisches Spezialschiff am Ort der späteren Explosionen aufhielt", sagte der dänische Open-Source-Datenanalyst Oliver Alexander am Freitag dem NDR in MV. Zuvor hatten Recherchen von Alexander und dem Nachrichtenportal "t-online" auf Basis von Schiffstracker-Daten und Satellitenfotos ergeben, dass mehrere russische Schiffe - darunter die "SS-750" - wenige Tage vor den Explosionen den Flottenstützpunkt in Baltiysk bei Kaliningrad verlassen hatten und Kurs auf Bornholm genommen hatten. Dass sie tatsächlich zu den späteren Anschlagsorten fuhren, konnte ihre damalige Recherche noch nicht belegen.
Datenanalyst: Bald mehr Einzelheiten publik
Alexander geht davon aus, dass in den kommenden Wochen weitere Einzelheiten zu anderen Schiffen, die ebenfalls zur fraglichen Zeit in dem Seegebiet operierten, publik werden könnten. Bisher hatten sich offizielle Stellen mit Informationen über eigene Erkenntnisse zum Hergang der Anschläge bedeckt gehalten. Dänemark, Schweden und Deutschland führen unabhängig voneinander Untersuchungen dazu durch. Wann abschließende Ergebnisse veröffentlicht werden, ist noch unbekannt.
Diskussion um kritische Infrastruktur: "Da geht es heiß her"
Der dänische Historiker und Geheimdienstexperte Thomas Wegener Friis von der Universität Odense sieht die nun erfolgte, scheibchenweise Veröffentlichung von Erkenntnissen seitens offizieller Stellen im Kontext mit der jüngst entbrannten Diskussion in skandinavischen Ländern über die Verwundbarkeit der kritischen Infrastruktur. "Da geht es gerade heiß her", sagte Wegener Friis dem NDR in MV.
Historiker: "Nord Stream war ein Wake-up-call"
Eine Recherche der öffentlichen Rundfunkanstalten Skandinaviens hatte publik gemacht, dass russische Schiffe verstärkt westliche kritische Infrastruktur in Nord- und Ostsee ins Visier nehmen. "Wir hatten gerade letzte Woche mehrere Tage das Spezialschiff 'Admiral Wladimirsky' diskutiert. Das angebliche Forschungsschiff hat dänische Journalisten verscheucht mit vermummten Seeleuten mit Kalaschnikows", so der Historiker. "In Dänemark wird das nicht vor allem als Nord-Stream-Diskussion, sondern eher in einem viel größeren Rahmen gesehen:" Eine Diskussion über kritische Infrastruktur und russische nachrichtendienstliche Tätigkeiten sei in vollem Gange. "Das ist der Gesamtrahmen. Nord Stream war eher so etwas wie der Wake-up-call, dass man sieht: Seht mal, das kann auch schief gehen."
"Es gibt hier kaum noch Gewinner"
Für Wegener Friis bedeutet die Existenz der 26 Fotos, dass man bei der Aufklärung der Angelegenheit erneut "ein kleines Stück weiter" gekommen sei. Aber hinsichtlich schneller weiterer Aufklärung seitens offizieller Stellen ist Wegener Friis zurückhaltend: "Man sollte nicht auf Schnelligkeit in dieser Frage hoffen. Wir haben es hier mit internationaler Politik zu tun. Egal, wie die Schlussfolgerungen ausfallen - es gibt hier kaum noch Gewinner. Von daher gibt es auch in Dänemark keine Erwartung, dass die Regierung jetzt sofort und in wenigen Monaten ihre Schlussfolgerungen darlegt. Da setzt man eher auf Gründlichkeit und wartet die Ergebnisse ab."