Sajad steht mit dem Rücken zur Kamera im Greifswalder Hafen. © Lea Eichhorn Foto: Lea Eichhorn

Drohende Abschiebung: Gut integriert - aber unerwünscht?

Stand: 13.10.2022 12:02 Uhr

Der Iraner Sajad lebt und arbeitet in Greifswald. Doch plötzlich steht die Polizei vor seiner Tür: Abschiebung. Aber eigentlich will die Bundesregierung Menschen wie ihm ein Bleiberecht auf Probe ermöglichen.

von Lea Eichhorn

Ein Nachmittag im Greifswalder Hafen: Sajad, der seinen Nachnamen lieber nicht öffentlich nennen möchte, schließt sein Fahrradschloss auf. Er trägt eine blaue Arbeitshose und eine dünne Daunenjacke gegen den Wind. Er kommt gerade aus der Frühschicht. Seit sieben Monaten arbeitet Sajad als Elektriker bei einem Bootshersteller. Das tue ihm gut, sagt er. Denn wenn er alleine zu Hause ist, denke er zu viel nach, über seine Probleme. "Aber die Arbeit hilft mir. Wenn ich bei der Arbeit bin, vergesse ich alles und ich bin bei meiner Arbeit sehr zufrieden."

Sajad findet Arbeit, lernt Deutsch

Sajad steht vor seinem Fahrrad. © Lea Eichhorn Foto: Lea Eichhorn
Sajad möchte unerkannt bleiben. Er befürchtet, dass seine Familie im Iran Probleme bekommt.

Sajad kommt im Januar 2015 nach Greifswald. Seinen Asylantrag hat die Ausländerbehörde abgelehnt. Er ist geduldet. Das bedeutet: Er hat kein Bleiberecht, kann jederzeit abgeschoben werden. Ein Schwebezustand, sieben Jahre lang. Erst nach mehreren Jahren bekommt er eine Arbeitserlaubnis. Seitdem steht der Iraner jeden Tag um 5 Uhr auf und beginnt um 6 Uhr mit der Arbeit. Außer in einer Nacht Ende August 2022. Er habe noch geschlafen, erzählt er: "Und dann ich habe gesehen, jemand hat geklopft." Er habe die Tür aufgemacht und acht bis zehn Polizisten gesehen. "Sie haben gesagt: 'Du musst mitkommen.'"

Die Bundespolizei bringt ihn zum Abschiebeflug

Es ist die Bundespolizei. Die Beamten fahren Sajad zum Flughafen Hamburg. Er soll abgeschoben werden. Am Flughafen bekommt Sajad große Angst. "Ich dachte, mein Leben ist vorbei." Denn Sajad ist konvertierter Christ. Im Iran befürchtet er, vom islamischen Regime verfolgt zu werden. Auch wegen der aktuellen Konflikte im Land hat er nicht mit einer Abschiebung gerechnet. Ebenso wenig seine Rechtsanwältin Ronja Ullrich. Die wird erst am Morgen informiert, als Sajad schon am Hamburger Flughafen ist. "Da hat die Bundespolizei hier beim Sekretariat angerufen und gesagt, dass ein Mandant von mir innerhalb von 30 Minuten jetzt in den Iran abgeschoben wird."

Der Gesetzentwurf liegt auf einem Tisch. © Lea Eichhorn Foto: Lea Eichhorn
Die Bundesregierung hat sich auf einen Gesetzentwurf für das "Chancen-Aufenthaltsrecht" geeinigt.

Vorher habe sie keine Anzeichen wahrgenommen, erzählt Ullrich. Und eigentlich müsste die Ausländerbehörde in Greifswald Sajad gar nicht mehr abschieben. Denn die Bundesregierung plant das sogenannte Chancen-Aufenthaltsrecht. Einen Gesetzentwurf gibt es schon: Er soll bisher geduldeten Menschen, die gut integriert sind, ein Aufenthaltsrecht auf Probe ermöglichen. Rechtsanwältin Ullrich ist sich sicher, dass Sajad die darin genannten Kriterien erfüllt. Er habe einen Arbeitsplatz, er werde gebraucht, schließlich gebe es kaum Elektriker im Land. Außerdem, betont sie, habe er als Geduldeter keinen Zugang zu Deutschkursen oder anderer Unterstützung gehabt und es trotzdem geschafft, sich zu integrieren.

Deutschlandweit schieben Ausländerbehörden gut integrierte Menschen ab

Das Bundesgesetz ist zwar noch nicht in Kraft. Doch das Land Mecklenburg-Vorpommern erlaubt es seinen Ausländerbehörden, die Personen, die davon voraussichtlich profitieren werden, nicht mehr abzuschieben. Einige nutzen diese Gelegenheit aber nicht. Juristin Ullrich berichtet, sie beobachte bei Behörden in mehreren Landkreisen, "dass sie jetzt noch einmal besonders aktiv werden und versuchen zu verhindern, dass Aufenthaltstitel erteilt werden".

Der für Sajad zuständige Landkreis-Vorpommern-Greifswald antwortet auf Fragen des NDR, dass man sich zu Einzelfällen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht äußere. Im Allgemeinen teilt die Sprecherin des Landkreises schriftlich mit:

"Es wurden keine Personen in den letzten drei Monaten abgeschoben, bei denen eine Prüfung des geplanten Chancen-Aufenthaltsrechts erfolgt ist und diese im Ergebnis alle geforderten Erteilungsvoraussetzungen zweifellos vollumfänglich erfüllt haben."

Im April 2022 spricht das Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern einen Hinweis an die Ausländerbehörden im Land aus. Darin verbietet es dieses Vorgehen nicht ausdrücklich. Auch in anderen Bundesländern haben Behörden in den vergangenen drei Monaten Menschen abgeschoben, die womöglich vom Chancen-Aufenthaltsrecht profitiert hätten. In Freiburg holten die Behörden eine Altenpflegerin dafür aus ihrer Nachtschicht heraus. Im bayrischen Dachau sorgte die Abschiebung einer gut integrierten nigerianischen Familie für Proteste.

Pro Asyl: "Das sind keine Einzelfälle"

Der Geschäftsführer der NGO Pro Asyl, Günther Burkhardt, schaut in die Kamera. © Pro Asyl/Philip Eichler Foto: Philip Eichler
Günther Burkhardt ist Geschäftsführer der NGO "Pro Asyl".

Das seien keine Einzelfälle, sagt Günter Burkhardt von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Es falle auf, dass gerade diejenigen, bei denen es auf der Hand liege, dass sie unter das Chancen-Aufenthaltsrecht fallen, abgeschoben werden sollen. Burkhardt erklärt: "Das sind Menschen, die sind lange hier, die sind Teil der Gesellschaft, haben zum Teil auch Jobs und da ist es völlig unverständlich, dass Ausländerbehörden noch versuchen sie abzuschieben."

Das Gesetz muss noch durch den Bundestag

Dabei hatte die Ampel-Regierung schon im Koalitionsvertrag versprochen, diesen Menschen eine Bleibeperspektive zu ermöglichen. Doch Burkhardt sagt, er habe nicht den Eindruck, dass die zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sich um eine rasche Umsetzung bemühe. Bis das neue Gesetz in Kraft tritt, kann es noch mehrere Monate dauern.

Sajad hatte sich geweigert, ins Flugzeug zu steigen. In solchen Fällen liegt es im Ermessen der Behörden, ob sie die Abschiebung mit Gewalt durchsetzen. Die Bundespolizisten ließen ihn wieder zurück nach Greifswald fahren. Im Oktober 2022 beschließt der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern, Menschen aus dem Iran nicht mehr abzuschieben. Sajad schützt das vor einem neuen Abschiebeversuch. Alle anderen, die aus anderen Staaten kommen und auch Chance auf das neue Bleiberecht haben, können jedoch weiter abgeschoben werden.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | 13.10.2022 | 08:20 Uhr

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