Olympia-Attentat 1972: Trauma für Piloten aus Braunschweig
Am 5. September 1972 stürmen acht palästinensische Attentäter die Wohnungen israelischer Athleten im Olympischen Dorf in München. Den Augenzeugen gehen die Bilder auch Jahrzehnte später nicht aus dem Kopf.
Rund 7.000 Athletinnen und Athleten sind 1972 zu den ersten Olympischen Spielen nach der nationalsozialistischen Diktatur in die Bundesrepublik gereist, darunter auch Sportler aus Israel. Es sollen heitere und friedliche Spiele werden. Dann kommt der frühe Morgen des 5. September: Acht palästinensische Terroristen überwinden lediglich einen Zaun, um zu den Wohnungen israelischer Athleten im Olympischen Dorf zu gelangen. Sie sind mit Maschinengewehren und Handgranaten bewaffnet. Einige Sportler leisten den Attentätern an der Tür Widerstand und werden dabei angeschossen.
Elf Geiseln und ein Polizist getötet
Die Terroristen nehmen elf Israelis als Geiseln und fordern die Freilassung unter anderem der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof und palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. Einen Tag später sind alle elf Israelis und ein Polizist tot. Drei der acht Attentäter überleben. Es ist ein Desaster, das bis heute Fragen aufwirft. Die Angehörigen der Opfer fordern bis heute mehr Aufklärung und haben sich erst 2022 mit der Bundesregierung auf eine Entschädigung geeinigt.
Ehemaliger Polizist aus Niedersachsen im Einsatz
Zur Zeit des Überfalls schläft der inzwischen verstorbene Klaus Bechler aus Braunschweig noch in einer Kaserne in den Außenbezirken von München. Er ist damals Polizist beim Bundesgrenzschutz und mit seinen 30 Jahren einer der jüngsten Co-Piloten der Hubschrauberstaffel in Gifhorn. Gemeinsam mit seinen Kollegen verbringt er zunächst elf lockere Tage beim Einsatz in München - bis zum Attentat. Bechler erinnert sich auch Jahre später genau, wie er in der Kaserne geweckt wurde: "Um halb sieben: Alarm! Alarm! Ihr könnt kommen, wie ihr wollt. Das kannten wir gar nicht, dass wir im Schlafanzug zur Befehlsausgabe kommen konnten. Dann sagte unser Kommandeur: Da hat jemand Mist gemacht im Olympischen Dorf. Da ist geschossen worden." Die genaue Lage scheint zu diesem Zeitpunkt also noch völlig unklar zu sein.
Verhandlungen enden in einem Desaster
Stunde um Stunde gibt es immer wieder neue Ultimaten. Vertreter der Bundesregierung, darunter auch der damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP), verhandeln mit den Geiselnehmern direkt vor der Haustür des Mannschaftshauses, mitten im Olympischen Dorf vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Denn Kamerateams zeigen live, was geschieht - und damit auch unbeholfene Befreiungsversuche der Polizei. Die Terroristen sehen die mit Stahlhelm und bunten Sportanzügen sowie Gewehren ausgestatteten Beamten im Fernsehen, während sie sich auf dem Dach des Hauses anschleichen.
Der Befreiungsversuch muss abgebrochen werden. Menschenmengen sammeln sich vor Absperrungen im Olympischen Dorf, weil die Wettkämpfe auch während der Geiselnahme weiterlaufen. Erst am Nachmittag werden sie unterbrochen. Die Verhandlungen zwischen den Terroristen und der Bundesregierung scheitern. Dann wollen die Attentäter am Abend mit den israelischen Geiseln in ein arabisches Land ausgeflogen werden. Zum Schein geht die Bundesregierung auf diese Forderung ein.
Ein Fiasko: Das blutige Ende der Geiselnahme
"Dann kam der Innenminister und hat uns noch mal vorgewarnt: Die Sache hat auf deutschem Boden begonnen, die endet auch hier. Behaltet eure Helme auf, seid freundlich", erinnert sich der ehemalige Polizei-Co-Pilot Klaus Bechler. Vermutlich war das der Hinweis des damaligen Bundesinnenministers Genscher auf einen geplanten Befreiungsversuch.
Am späten Abend, so erinnert sich Klaus Bechler, müssen die Geiseln - gefesselt mit roten Schnüren und bedroht von den bewaffneten Attentätern - zwei Hubschrauber besteigen, darunter auch jenen, den er und sein Kollege fliegen. Das sei ein fürchterliches Bild gewesen, erinnert sich der ehemalige Polizist. Er und sein Kollege sollen die Sportler und Terroristen vom Olympischen Dorf zum nahe gelegenen Militärflugplatz Fürstenfeldbruck bringen. "Wenn man in der Maschine sitzt und hinter einem sitzt jemand mit der Maschinenpistole - die hatten alle eine Kalaschnikow mit 150 Schuss Munition und Handgranaten. Das war furchtbar, als deutscher Polizist auf deutschem Boden zu sein und nicht helfen zu können."
Inferno auf dem Rollfeld
Auf dem Flugplatz steht wie vereinbart eine Boeing der Lufthansa bereit, allerdings ohne Besatzung. Als Airline-Personal verkleidete, spärlich ausgerüstete und für einen solchen Einsatz nicht ausreichend ausgebildete Polizisten hatten ihren Einsatz kurz vor der Ankunft der Geiseln und der Terroristen abgebrochen. Die Scharfschützen eröffnen das Feuer. Eine Schießerei beginnt und Hubschrauber-Co-Pilot Klaus Bechler springt auf den Boden vor seine Maschine. Etwa anderthalb Stunden lang stellt sich der junge Polizist tot. Die Hubschrauber fangen Feuer, einen der Sportler hört Bechler noch in der Maschine schreien. "David Berger, der schrie, der hatte auch noch Ruß in der Lunge, der hat also noch lange gelebt." Dann sei der Tank des Helikopters explodiert. Mit Glück schafft es Bechler bis zum Tower und überlebt.
Schreie, die er nie vergisst
Aber an die Schreie des jungen Israelis muss er auch nach Jahrzehnten immer wieder denken. "Das kann man nicht vergessen, das geht nicht. Die ersten vier Jahre waren wirklich sehr hart. Da habe ich kaum eine Nacht durchgeschlafen. Denn ich habe ja keine Hilfe gekriegt - das war damals eben so." Neun Jahre fliegt Klaus Bechler weiter. Dann muss er aufhören wegen der Spätfolgen eines unbehandelten Knalltraumas nach der Schießerei. Aber am schlimmsten sei es für ihn gewesen, das betont Bechler immer wieder, dass er - als Polizist - die elf Israelis nicht retten konnte.
Klaus Bechler stirbt am 16. Juli 2023. Er wird 81 Jahre alt.