Truppenabzug der Sowjetarmee
Im Sommer 1994 wurden über 500.000 russische Soldaten, Zivilangestellte und Familienangehörige aus der ehemaligen DDR zurück nach Russland transportiert. Nach über 49 Jahren war ihre Mission, im Osten Deutschlands für Ordnung zu sorgen, endgültig zu Ende. Der Grundstein für den vollständigen Truppenabzug wurde bereits am 12. Oktober 1990 gelegt: An diesem Tag einigten sich das frisch vereinigte Deutschland und die damals noch bestehende Sowjetunion auf einen vollständigen Truppenabzug für das Jahr 1994.
Abzug aus Neustrelitz
Auch in Neustrelitz packten die Soldaten 1994 ihre Koffer. Die kleine Stadt an der Mecklenburgischen Seenplatte wurde von den Russen stark geprägt: Mit über 20.000 Soldaten, Offizieren und Angehörigen stellten sie fast fünf Jahrzehnte lang die Hälfte der Bevölkerung. Nun brachen sie in ihre einstige Heimat auf, in eine für sie ungewisse Zukunft. Der Abzug verläuft hastig und ungeordnet.
Zehn Jahre später, im September 2004, ist die frühere Allgegenwärtigkeit der Russen im Stadtbild von Neustrelitz kaum noch sichtbar. Der Marktplatz wurde komplett umgestaltet: Wo früher das Denkmal des sowjetischen Soldaten stand, wo sich Gräber von gefallenen russischen Soldaten befanden, wurden ein Brunnen angelegt und Bäume gepflanzt. Doch in den Köpfen der Neustrelitzer lebt die Erinnerung an den Abzug der Russen weiter.
Altlasten und Neuanfänge
Frank Fechner von der Neustrelitzer Stadtverwaltung hat sich nach 1994 um die Hinterlassenschaften der russischen Truppen gekümmert. Das war zunächst nicht leicht: In der Stadt gab es nach dem Abzug der Soldaten etwa 2.000 sogenannte "Altlasten-Verdachtsflächen" mit Bergen von alten Ausrüstungsgegenständen und Schrott. Die Sanierung der Flächen verschlang mehrere Millionen Mark.
Der Abzug der russischen Truppen veränderte nicht nur die Stadt, sondern auch das Leben vieler einzelner Menschen. Zum Beispiel das des Stuttgarter Architekten Christian Peters. Sein Großvater hatte 1928 in Neustrelitz eine Villa gebaut. 1945 musste seine Familie innerhalb einer Stunde ihr Domizil verlassen. Kurz darauf zogen hier russische Offiziere und mit ihren Familien ein. Erst im Zuge der Wiedervereinigung, knapp 50 Jahre später, bekam Christian Peters das Haus rückübertragen und beschloss, die heruntergekommene Villa wieder herzurichten.
An den damaligen Zustand des Gebäudes erinnert er sich noch gut: "Da waren noch die Kartoffeln auf dem Tisch, die waren schon verschimmelt, es war ein halbes Jahr her. Es war, als ob da ein Abbruchbefehl um zwölf gekommen ist und Viertel nach zwölf waren alle weg. Die Türen standen offen, das ganze Haus war wie eingeschlagen. Räume waren einsturzgefährdet, alles war einfach durchgefault. Ich habe immer noch diesen säuerlichen Geruch in der Nase." Christian Peters steckte etwa 370.000 Euro in die Sanierung und wohnt heute mit seiner Familie in einer der drei Wohnungen des Hauses.
Restbestände in Pütnitz
Auch den Flugplatz in Pütnitz bei Ribnitz-Damgarten verließen 1994 die russischen Truppen völlig überstürzt. Mittlerweile geht es hier eher beschaulich zu. Seitdem keine Flugzeuge mehr starten, herrscht Stille. Nur die alte Landebahn und einige der Kasernen und Flugzeughallen sind noch da. Heute stehen sie unter Denkmalschutz. Bis der ganze restliche Militärschrott weggeräumt war, hat es lange gedauert: Batterien, Kühlschränke, alles, was die Truppen nicht mehr brauchten, haben sie dort liegen lassen. Die sichtbaren Altlasten sind mittlerweile entsorgt. Doch das ist längst nicht alles: Der Boden des Geländes ist noch immer verseucht. Mehrere Tanklager befanden sich einst auf dem Flugplatz, und das, was in den Boden eingesickert ist, hat noch niemand beseitigt.
Bis heute wird für das Gelände ein Nachnutzer gesucht. Zwar kursierten bereits zahlreiche Pläne, was auf dem riesigen Areal gebaut werden könnte: Windkraft- oder Solaranlagen, ein Kurbetrieb oder ein Hobelwerk. Doch letztlich scheiterten alle Vorhaben daran, dass sie nicht groß genug waren, um die damit verbundenen Erschließungen tragen zu können. Denn bislang fehlt auf dem Gelände fast alles, was man für funktionierende Konzepte braucht, ob Elektroanschlüsse oder eine Abwasserentsorgung. Und doch kommt allmählich Leben auf den einstigen Flugplatz: In zwei der fünf großen Hangars hat mittlerweile ein Technikverein sein Domizil.
Was bleibt?
Was bleibt, zehn Jahre nach dem Abzug der Besatzungsarmee in Mecklenburg-Vorpommern? Von den sowjetischen Ehrenmalen und Soldatenfriedhöfen, die nach 1945 und während der DDR-Zeit hier im Land errichtet und angelegt wurden? Sind sie verschwunden? Wie viele dieser Stätten gibt es noch? Wer hält die Erinnerungen wach?
Zurzeit gibt es in Mecklenburg-Vorpommern 30 bis 40 sowjetische Ehrenmale und etwa 200 Soldatenfriedhöfe. Sie befinden sich zumeist dort, wo die Truppen stationiert waren. Der Historiker Matthias Pfüller vom Schweriner Verein "Politische Memoriale" - ein Verein, der sich mit Geschichtsaufarbeitung und Erinnerung beschäftigt - hat vor Kurzem etwa 60 Orte in ganz Mecklenburg-Vorpommern bereist und sich den Zustand der Denkmäler und Friedhöfe angesehen. Insgesamt sei der Zustand der Erinnerungsstätten gut, so sein Fazit.
Deutschland hat Russland zugesichert, die Ehrenmäler auch weiterhin zu pflegen. Bei den kleineren Denkmälern sind hierfür die Kommunen zuständig. Die Bundesländer stellen finanzielle Mittel zur Verfügung. Viele Erinnerungsstätten sind mittlerweile so umgestaltet worden, dass sie mit weniger Aufwand gepflegt werden können. Beispielsweise liegen dort, wo früher Rasen war, jetzt Steinplatten, ohne dass die Würde des Denkens dadurch zerstört wird.
Neben den Kommunen fühlen sich auch andere Organisationen für den Erhalt der sowjetischen Ehrenmale verantwortlich. "Es gibt 'Restbestände’ der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft, die weiterhin agieren, die für die Pflege der deutsch-russischen Kulturbeziehungen eintreten. Es gibt örtliche, private oder in Vereinsform zusammengefasste Initiativen, die sich mit der Pflege befassen", erzählt Matthias Pfüller.
Dass es so etwas wie Feindseligkeit den Russen gegenüber gäbe, trotz der Vorfälle in Tschetschenien und anderenorts, kann der Historiker nicht bestätigen. "Dadurch hat sich bei den Einstellungen der Menschen gegenüber den Denkmälern nichts geändert", sagt er.