VIDEO: NDR Retro: Erinnerung an Luftangriffe auf Hamburg 1943 (1963) (13 Min)

Juli 1943: Bombennacht in Hamburg fordert 30.000 Tote

Stand: 27.07.2023 00:00 Uhr

Im Juli 1943 starten die Alliierten massive Luftangriffe auf Hamburg. Sie beginnen in der Nacht zum 25. Juli. Ihren Höhepunkt erreichen sie in der Nacht zum 28. Juli, in der 30.000 Menschen sterben. Ganze Stadtteile werden völlig zerstört.

von Bettina Lenner und Thomas Luerweg

"Operation Gomorrha": Unter diesem Codenamen im Zweiten Weltkrieg starten Briten und US-Amerikaner in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 eine Reihe von schweren Luftangriffen auf Hamburg. Zunächst trifft es die westlichen Stadtteile Altona, Eimsbüttel und Hoheluft, die durch Flächenbrände verwüstet werden. Am 27. Juli 1943 um 23.40 Uhr ertönt erneut Fliegeralarm. Die Einwohner der 1,5-Millionen-Stadt reagieren sofort und suchen die vermeintlich schützenden Keller und Bunker auf. Doch was die Menschen in der Nacht zum 28. Juli erleben, übertrifft alles bislang Vorstellbare. Das Inferno des Feuersturms zerstört weite Teile im Osten der Elbmetropole - die Spuren sind bis heute sichtbar.

Spreng- und Brandbomben auf Arbeiterviertel

Luftaufnahme: Amerikanische Bomber bombardieren 1943 die Hamburger Hafenanlagen © picture alliance
Rauchschwaden über dem Hamburger Hafen: An der Operation "Gomorrha" war auch die US-Luftwaffe beteiligt.

739 britische Flugzeuge brechen am 27. Juli abends in Richtung Hamburg auf. In den folgenden Stunden werfen sie mehr als 100.000 Spreng- und Brandbomben ab. Orientierungspunkt für die Piloten: die Nikolai-Kirche. Der dichte Bombenteppich trifft die dicht besiedelten Arbeiterviertel Hohenfelde, Hamm, Billbrook, Borgfelde, Rothenburgsort, Hammerbrook und das östliche St. Georg. Mehr als 400.000 Menschen halten sich zum Zeitpunkt des zweiten Großangriffs in diesem Gebiet auf, etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung. In der Innenstadt brennt die Alstertarnung, ein Netz aus Drahtgeflecht und kleinen Blechplättchen. Eine Fläche von 250.000 Quadratmetern steht in Flammen.

Flächenbrände vereinen sich zum Feuersturm

Britische Experten hatten bereits in den 1930er-Jahren umfangreiche Untersuchungen angestellt und die Brennbarkeit der ortsüblichen Bauweise untersucht, um die Bombentechnologie immer weiter zu perfektionieren. Sprengbomben durchschlagen Dächer, Wände und Mauern und machen den Brandbomben den Weg frei. Begünstigt durch wochenlange Hitze und Trockenheit taucht am 28. Juli erstmals im Luftkrieg das Phänomen eines Feuersturms auf, der über fünf Stunden tobt und dessen Zentrum in Hammerbrook liegt: Zehntausende Brände vereinen sich minutenschnell zu riesigen Flächenbränden. In den schmalen Straßen wird die Luft wie in einem riesigen Kamin angesogen. Die fünfstöckigen Wohnblocks und die Speicher entlang der Kanäle bieten den Flammenwalzen, in deren Zentrum bis zu 1.000 Grad herrschen und die zeitweise Orkanstärke erreichen, reichlich Nahrung.

Berliner Tor nach dem Feuersturm 1943 © GEKV
AUDIO: Als der "Feuersturm" über Hamburg fegte (3 Min)

Bunker und Keller als Todesfalle

Der Feuersturm reißt Menschen zu Hunderten in die Flammen, fängt sich in den schmalen Terrassen und Hinterhöfen der Wohnblocks und lässt kein Entrinnen zu. Schutzräume werden zur Todesfalle: "Wir mussten rohe Gewalt anwenden, um die Leute zu bewegen, die Keller zu verlassen", sagt Hans Brunswig, damals Feuerwehrhauptmann. In den Kellern und Bunkern wird die Hitze schließlich unerträglich, es gibt zu wenig Wasser. Viele reißen ahnungslos die Türen auf und geben den Weg für die reißenden Flammen frei, anderen versperren Trümmer die Kellerausgänge. Die Menschen ersticken in ihren Kellern, verbrennen und verglühen auf der Straße, werden von umherfliegenden Holzteilen und herabstürzenden Dächern erschlagen. "Als wir aus dem Bunker kamen, hatte ich das Gefühl, die Flammen schlagen", sagt die Zeitzeugin Elfriede Sindel.

Zeitzeugen berichten

Alwin Bellmann war im Sommer 1943 Flakhelfer bei einer Batterie auf der Alster

"Der Anflug, das Brummen in der Luft, dann diese Leuchtfontänen, die schier nicht erlöschen wollten und die Stadt beleuchteten. Und dann diese Ohnmacht an den Flakgeschützen ... Die Engländer hatten ja einen Trick angewandt, sie haben schon von Stade an Stanniolstreifen abgeworfen und damit unsere damaligen Funkmessgeräte, ähnlich wie Radargeräte, außer Gefecht gesetzt. Als die ersten Bomben fielen und überall die Brände auftauchten, waren auch die optischen Geräte, diese Kommandogeräte nicht mehr einsatzbereit. Das heißt also - man darf es heute ruhig sagen - wir haben in die Luft geschossen ohne eine Ortung."

Die Feuerwehr ist machtlos

Rettungskräfte können weder löschen noch bergen. Die Straßen in den betroffenen Ortsteilen liegen begraben unter Trümmern, Telefonleitungen sind unterbrochen. Wolken aus Rauch, Staub und Asche ziehen über die Stadt, erst gegen Mittag sickert Tageslicht durch. Am Tag setzen amerikanische Flugzeuge das Bombardement fort. Zurück bleibt eine glühende Trümmerlandschaft, aus der 900.000 Menschen fliehen. Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge bergen Zehntausende Leichen und bringen sie zum Ohlsdorfer Friedhof, um sie dort in Massengräbern zu begraben.

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Rund 35.000 Menschen sterben im Inferno

Zerstörte Gebäude in Hamburg-Eilbek nach den alliierten Luftangriffen im Sommer 1943. © picture-alliance / dpa
Eine einzige Trümmerlandschaft: So wie hier in Eilbek sahen viele Stadtteile nach den Bombenangriffen aus.

Zehn Tage und Nächte dauert das Inferno in der zweitgrößten Stadt des Deutschen Reiches. Siebenmal zwischen dem 25. Juli und dem 3. August werfen 2.592 britische und 146 US-Bomber 8.344 Tonnen Spreng- und Brandbomben auf die Stadt. Die Anzahl der Todesopfer ist nicht genau festzustellen. Von vielen ist nichts als Asche und Staub übrig geblieben. Man schätzt, dass etwa 35.000 bis 40.000 Menschen ums Leben kommen, darunter rund 22.500 Frauen und 7.000 Kinder. Allein in der Nacht auf den 28. Juli kommen rund 30.000 Menschen um, wie es im Buch "Hamburg im Feuersturm" heißt. Rund 750.000 Hamburger werden nach den Angriffen obdachlos. Fast genau die Hälfte aller 357.360 Wohnungen ist zerstört. Die "Operation Gomorrha", als Verweis auf die Geschichte im Alten Testament, in der zwei Städte am Toten Meer durch Feuer und Schwefelregen vernichtet wurden, hat die Elbmetropole in Schutt und Asche gelegt.

"Operation Gomorrha"

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Plan der Alliierten scheitert: Rüstungsproduktion geht weiter

Ziel der Alliierten war es nach den Beschlüssen Roosevelts und Churchills, "die deutsche Wirtschaft, Industrie und Wehrmacht zu zerstören sowie die Moral des deutschen Volkes so weit zu brechen, dass seine Fähigkeit zum bewaffneten Widerstand entscheidend geschwächt wird". Dieser Plan geht nicht auf. Der letzte Angriff findet am 3. August statt, doch schon am Monatsende kehrt ein Großteil der Hamburger zurück und beginnt mit dem Wiederaufbau. Am Ende des Jahres hat die Produktion in der Rüstungsindustrie wieder 80 Prozent erreicht. Das Ziel, das Kriegsende durch Flächenbombardements zu beschleunigen, verfehlen die Alliierten.

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Ganze Stadtteile ausradiert

Die Zerstörungen des Feuersturms sind in Hamburgs Stadtbild noch immer sichtbar. So gibt es im ehemaligen Arbeiterstadtteil Hammerbrook heute kaum noch Wohngebäude, stattdessen dominieren Bürobauten. In Barmbek, Hamm und Eilbek ersetzten in den 1950er-Jahren eilig errichtete Wohnblocks die zerstörten Häuser und prägen das heutige Aussehen der Stadtteile. Ein gefährliches Erbe der Bombennächte schlummert außerdem im Boden unter der Stadt und im Schlick der Fleete: Dort lauern noch immer unzählige Blindgänger.

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 23.07.2023 | 19:30 Uhr

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