Befehl "Regenbogen": U-Boot-Versenkung in der Geltinger Bucht
Mit der Teilkapitulation für Norddeutschland vom 4. Mai 1945 ist auch der Befehl "Regenbogen" außer Kraft, die Zerstörung deutscher Kriegsschiffe durch eigene Truppen. Dennoch werden über 200 U-Boote in Nord- und Ostsee versenkt - allein rund 50 in der Geltinger Bucht.
Es ist ein imposantes Schauspiel, das sich in den ersten Mai-Tagen des Jahres 1945 in der Geltinger Bucht am Ausgang der Flensburger Förde abspielt: Mehrere Handelsschiffe, zwei Zerstörer, ein Frachtschiff, Schnellboote, Minensuchboote und mehr als 50 U-Boote der deutschen Marine fahren ab dem 3. Mai in die sonst so ruhige Bucht ein und gehen hier vor Anker. Die Bevölkerung strömt an den Strand, um das ungewöhnliche Treiben zu beobachten. "Meine Freunde und ich saßen auf der Steilküste - und auf einmal tauchte ein U-Boot auf. Zuerst sah man die Antenne, danach den Turm. Dann kamen Soldaten raus und fuhren mit Schlauchbooten zum Strand", erinnert sich Hans Niko Diederichsen, der das Geschehen als Achtjähriger erlebte.
Deutsche Soldaten verteilen Proviant an Dorfbewohner
Bereits seit Februar 1945 kommen zahlreiche Flüchtlinge aus den Ostgebieten in die Dörfer entlang der Geltinger Bucht. Nun werden zusätzlich Teile der Bootsbesatzungen hier einquartiert. Es wird enger - für manche aber auch angenehmer: Die Soldaten räumen am 4. Mai ihre Boote und verteilen Proviant und Material an die Dorfbewohner. "Es sprach sich schnell herum, was hier los war. Die Flüchtlinge kamen sofort, denn sie brauchten dringend Essen und Kleidung", erzählt Diederichsen. Waffen und Munition werden mit Pferdefuhrwerken nach Glücksburg gebracht.
Versenkung der U-Boote durch Sprengung oder Öffnen der Ventile
"Es war eine sternklare Nacht", erinnert sich Diederichsen an die Nacht vom 4. auf den 5. Mai. "Mein Vater war auf Flugwache und konnte vom Turm die Umrisse der unbeleuchteten Schiffe sehen. Dann knallte es hier und da, manchmal konnte er einen kleinen Feuerstrahl sehen. Am nächsten Morgen hat er uns davon erzählt." Gegen vier Uhr am Morgen des 5. Mai sinkt das erste U-Boot in der Geltinger Bucht. Die Angaben zu der Gesamtzahl der hier versammelten U-Boote variieren zwischen 48 und 52. In den folgenden Stunden versenken die Besatzungen ihre Boote durch Sprengungen oder Öffnen der Ventile. "Nur ein paar Schnellboote und Minensucher hatten sie nicht versenkt", berichtet Diederichsen.
Dönitz nimmt "Regenbogen"-Befehl zurück
Wie so viele andere Kommandanten von Schiffen in Nord- und Ostsee widersetzen sie sich damit dem Befehl von Großadmiral Karl Dönitz, der den sogenannten "Regenbogen"-Befehl zur Versenkung von Schiffen der Kriegsmarine am 4. Mai zurückgenommen hat. Die Rücknahme des Befehls gehört zu den Forderungen der Briten, mit denen Dönitz als Nachfolger Hitlers die Teilkapitulation Norddeutschlands aushandeln ließ.
Funkspruch vermeldet Waffenruhe und untersagt Versenkung
Ein Funkspruch aus Dönitz' Hauptquartier am 5. Mai um 1.45 Uhr verkündet die ausgehandelte Waffenruhe, die Schiffsversenkungen nun ausdrücklich untersagt. Die Teilkapitulation tritt am Morgen des 5. Mai um 8 Uhr in Kraft. Sie umfasst den norddeutschen Raum einschließlich Holland und Dänemark. Wie genau der Befehl "Regenbogen" doch noch ausgelöst wird, ist nicht bekannt. Es gibt Hinweise, dass Dönitz' Adjudant, Korvettenkapitän Walter Lüdde-Neurath, einige Kommandanten indirekt dazu ermutigt hat.
Befehl "Regenbogen": Über 200 U-Boote versenkt
Die Geltinger Bucht ist nur ein Schauplatz der Selbstversenkungs-Aktion zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Insgesamt versinken im Rahmen des "Regenbogen"-Befehls über 200 U-Boote in Nord- und Ostsee, unter anderem vor Flensburg, Cuxhaven, Bremerhaven, Wilhelmshaven und Eckernförde. Zwischen 1948 und 1953 werden die U-Boote vom Grund der Geltinger Bucht gehoben und anschließend in Flensburg verschrottet. Auch ein in der Geltinger Bucht ankerndes Frachtschiff, dass am 14. Mai 1945 durch eine Luftmine beschädigt worden war und infolgedessen sank, wird im Oktober 1950 gehoben. Lediglich ein U-Boot ist so tief im Grund eingesunken, dass es sich nicht mehr heben lässt.
Haftstrafen für U-Boot-Kommandanten
Mehrere deutsche Marineoffiziere werden in den folgenden Monaten wegen der Versenkung ihrer U-Boote von den Alliierten angeklagt und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie gegen die Kapitulationsbestimmungen verstoßen haben. Dennoch äußern viele britische Militärangehörige Verständnis für das Handeln der deutschen Offiziere, da die Selbstversenkung angesichts einer ausweglosen Lage damals der Marine-Tradition vieler Länder entspricht.
Hinrichtungen trotz Kapitulation
Aber auch das deutsche Militär vollstreckt kurz vor und sogar nach Kriegsende noch Urteile gegen seine eigenen Soldaten. Denn einige Kommandanten halten trotz Kapitulation am Kriegsrecht fest. Noch Anfang Mai und sogar nach der Gesamtkapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 werden junge Marine-Soldaten wegen relativ geringer Vergehen zum Tode verurteilt. Trotz der gleichzeitigen Versenkungsaktion werden am 5. Mai drei Soldaten wegen einer tags zuvor begangenen Sabotage am Kompass ihres Bootes auf einem Schnellboot in der Geltinger Bucht erschossen. Die Männer hatten befürchtet, nach der Aussetzung des "Regenbogen"-Befehls durch Dönitz doch wieder in den Kampf ziehen zu müssen. Und noch am 10. Mai lässt ein Kapitän drei junge Kadetten in Mürwik bei Flensburg hinrichten, die versucht hatten zu desertieren.
Ölkrise 1975: Tanker ankern in der Geltinger Bucht
Nachdem die U-Boote Anfang der 1950er-Jahre gehoben sind, kehrt wieder Ruhe ein in der beschaulichen Geltinger Bucht. Doch rund 30 Jahre nach den Ereignissen im Mai 1945 wird der Ort erneut zu einem Nebenschauplatz des Weltgeschehens - wenn auch längst nicht so dramatisch. Während der Ölkrise zwischen 1975 und 1979 legen Reeder aufgrund von fehlenden Aufträgen viele Schiffe still. In dieser Zeit ankern vorübergehend bis zu 14 große Tanker als sogenannte Auflieger in der Bucht, in der einst die U-Boote versenkt wurden.