Ausgeblendet: Der Holocaust in alliierten Medien
"Bitterste journalistische Niederlage des Jahrhunderts", so nennt die "New York Times" die eigene Berichterstattung während des Holocaust. Und zwei Forscher sind sich sicher: Tausende Menschenleben hätten durch eine deutlichere Berichterstattung über den Holocaust gerettet werden können. Zu dieser These kommen die US-amerikanische Wissenschaftlerin Laurel Leff und ihr britischer Kollege James Jordan.
Holocaust nur kleines Thema in der "New York Times"
Die Professorin Laurel Leff untersuchte die Ursachen für die zurückhaltende Berichterstattung vieler US-Medien, allen voran der "New York Times": Dort sei zwar über den Holocaust berichtet worden, allerdings nur auf den hinteren Seiten und meist nur in kleinen Artikeln. 1942 gab es bereits Berichte von geflohenen Juden über den Massenmord an den europäischen Juden. Aber, so Leff im Interview mit ZAPP: "Die erste Geschichte der 'NYT' über den größten Massenmord, so nannten sie das in dem Artikel, erschien auf Seite 6." Und ergänzt, dass das Thema in amerikanischen Medien nicht als wichtig angesehen wurde.
Prominentere Berichterstattung hätte Handlungsdruck erhöht
Erst im Dezember 1942 hob die "New York Times" das Thema auf ihre Titelseite. Der Anlass: Zwölf alliierte Regierungen hatten eine Erklärung über die Vernichtung der Juden veröffentlicht. Danach verschwand die Berichterstattung über den Holocaust aber wieder auf den hinteren Zeitungsseiten. Während des gesamten Krieges hatte die "New York Times" nur sechs Artikel auf der Titelseite über den Massenmord an den Juden in Europa, so Leffs Befund. Und: Der Holocaust habe sich in dem amerikanischen Leitmedium allenfalls auf den Zeitungsseiten 5-9 abgespielt. Leff folgert daraus: "Man kann nicht sagen, dass der Holocaust hätte verhindert werden können. Aber wenn die Berichte auf der Frontseite der Zeitungen und damit Aufmacher gewesen wären, hätte das die Regierung früher unter Druck gesetzt, etwas zu tun, was erst 1944 geschehen ist".
Latenter Antisemitismus auch in der BBC
Der britische Historiker James Jordan zieht eine ähnliche Bilanz. Ebenso wie die "New York Times" hatte die britische BBC eher zurückhaltend über den Holocaust berichtet. Der Journalist Denys Blakeway recherchierte dazu. Er war der erste Journalist, der die Berichterstattung der BBC über den Holocaust aufarbeitete und mit seinen Recherchen 1993 eine Radio-Dokumentation für die BBC produzierte. Im Interview mit ZAPP sagt Blakeway, dass Antisemitismus in England damals weit verbreitet gewesen sei, auch in der BBC. Er meint: "Die Leute fanden es ganz normal, abfällig über die Juden zu sprechen."
BBC erhielt Anweisung von der Regierung
Als eine wesentliche Ursache sieht Blakeway das Verhältnis der BBC zum Außenministerium: "Die BBC erhielt Anweisung von der Regierung. Sie hat ihren Ton und Vorgehensweise vom Außenministerium und vom Informationsministerium übernommen. Es war keine völlig freie Organisation außerhalb der Regierung." Und diese Regierung verfolgte eine klare Linie, so Blakeway: Man habe befürchtet, dass die Nazis BBC-Berichte über den Massenmord europäischer Juden als Propaganda gegen England hätten verwenden können.
Der Historiker James Jordan lässt hinsichtlich der BBC-Berichterstattung über den Massenmord an Juden keinen Zweifel, dass die BBC mehr wusste als sie veröffentlichte.