Podcast "Feel Hamburg" mit dem Musicalkomponisten Martin Lingnau
Seit 20 Jahren wird in dem Musical "Heiße Ecke" im Schmidts Wurst gegrillt und über das Leben auf dem Kiez gelacht und geweint. Der Komponist Martin Lingnau erzählt, wie dieses Juwel entstanden ist.
"Wir wollten eine Hommage an die Reeperbahn machen. Wir haben vorgehabt, das nur ein paar Mal zu spielen. Vielleicht 30 Mal oder so, über den Sommer als Special. Und wir haben das ja auch in einem Monat sehr, sehr schnell geschrieben", erinnert sich Martin Lingnau. Er kann bis heute gar nicht so richtig fassen, dass sich sein Musical zu so einem Dauerbrenner entwickelt hat. Unfassbare 2,8 Millionen Menschen haben inzwischen diese Liebeserklärung an St. Pauli gesehen - und der Erfolg reißt nicht ab.
Recherche rund um die Uhr
Um die echten Kiez-Vibes zu verinnerlichen, reicht es nicht, zu den normalen Bürozeiten einen Reeperbahnbummel zu machen, sondern man muss richtig eintauchen. Das haben Martin Lingnau und der Text-Autor Heiko Wohlgemuth auch getan. "Wir haben tatsächlich ganz viele Tage auf der Reeperbahn verbracht. Zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten haben wir recherchiert. Und das ist dieser Klassiker, wenn man da so gegen 22 oder 23 Uhr auf der Reeperbahn steht und alle Lichter sind an, alles blinkt, alles ist voller Menschen, da kommen einem die besten Ideen", erzählt Martin Lingnau. Die beiden haben sich dann einfach ohne Klavier vor Ort hingestellt und dort mal eben singend und textend den Refrain zu "Reeperbahn" erfunden.
Kinderzimmer voller Instrumente
Musik spielte für Martin Lingnau von Anfang an eine wichtige Rolle im Leben. Schon als kleines Kind bekam er Klavierunterricht und ist von seinen Eltern sehr gefördert worden. Sehr schnell habe er dann angefangen, einfach zu spielen. "Meine Mutter sagte, sie wusste immer, wie es mir geht, einfach dadurch, was ich dann da so gespielt habe für ein Zeugs." Martin Lingnau betont, dass er sein Klavierspiel durch sehr viel Übung gelernt hat und sich nicht auf irgendwelchen musikalischen Genen ausruhen konnte. Weil ihm das Klavier nicht reichte, hat er dann auch noch Klarinette, Saxophon, Schlagzeug und andere Instrumente gelernt. Das sei eine sehr "coole Zeit" für ihn gewesen.
Jüngster musikalischer Leiter eines Theaters in Deutschland
Dass er eines Tages Komponist werden würde, stand für Martin Lingnau außer Frage. Am liebsten wäre er als Teenager "Tatort-Komponist" geworden. Verfolgungsjagden untermalen, Spannung erzeugen, das stellte er sich "irre" vor. Statt Filmmusik für Tatorte zu komponieren, wurde der Abiturient nach dem Zivildienst beim Arbeiter-Samariter-Bund dann aber praktisch nahtlos zum musikalischen Leiter des Schlosstheaters in Celle und war damals der jüngste Deutsche in diesem Beruf. "Ich bin da gleich in die Praxis reingefallen. Ich sage immer, ich habe auf der Straße gelernt, obwohl das gar nicht stimmt. Ich habe Learning-by-doing gemacht. Das ist das Bessere", erinnert sich Lingnau und erklärt: "Wir haben zum Beispiel ein Stück von Offenbach gemacht. Dann habe ich mich hingesetzt und habe Unterricht genommen, dass ich alles über Offenbach weiß. Danach haben wir was von Brecht gemacht und ich habe mich wieder hingesetzt, bis ich alles von Brecht wusste. Und so hatte ich dann immer ein kleines Stückchen mehr von der Torte und nach und nach beim Machen gelernt."
Das Wunder von Bern
Ein Höhepunkt seiner bisherigen Karriere war der Auftrag, die Musik zu dem Stage-Musical "Das Wunder von Bern" zu schreiben. "Das war ein riesengroßer Auftrag. Dieses Theater wurde ja mit dem Musical eingeweiht, bzw. eröffnet. Und wenn dann ein Joop van den Ende da steht und sagt: Du, ich habe hier mal eben 70 Millionen ausgegeben. Jetzt schreibe auch mal ein paar schöne Melodien, dann geht der Puls", gesteht Martin Lingnau. Seine kompositorische Arbeit erledigt der kreative Kopf übrigens sehr diszipliniert zu festen Arbeitszeiten. Wie sich andere Menschen an den Schreibtisch setzen oder in die Fabrik gehen, setzt er sich ans Klavier und entwickelt dort neue Ideen. Diese Ideen führen aber nicht immer zum Erfolg. "Das ersten Lied von jedem Musical, das ich schreibe, taucht später gar nicht im Musical auf. Es ist so was wie die Eintrittskarte. Dann weiß ich, wie die Musikfarbe geht. Und ganz oft ist es so, dass es am Ende gar keinen Platz findet, weil man alles anders geschrieben hat."
Im Gespräch mit Daniel Kaiser erzählt Martin Lingnau auch, warum er heute keine Kreuzfahrten mehr machen würde, warum er so gerne in Winterhude wohnt und wie sich St. Pauli in den letzten dreißig Jahren verändert hat.
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