Zeitreise: ADAC - mehr Mitglieder als die katholische Kirche
Die Pannenhelfer kamen erst per Motorrad, dann mit dem Käfer. Der ADAC hat in seiner Geschichte alle Zeiten und Krisen überstanden. In Schleswig-Holstein gibt es ihn seit 100 Jahren.
Wie Engel aussehen, darüber lässt sich je nach Religion und persönlicher Überzeugung streiten. In Deutschland sind sie gelb, wenn man dem Allgemeinen Deutschen Automobil-Club e. V., kurz ADAC, Glauben schenkt. Und: Sie kommen stets in menschlicher Gestalt. Wolfgang Schäfer war einer von ihnen.
28 Jahre lang hat Schäfer, heute 86 Jahre alt, auf den Straßen von Schleswig-Holstein gestrandeten Autofahrenden aus der Klemme geholfen. "Die Technik war damals viel einfacher", erinnert er sich, "die Benzinpumpe haben wir damals einfach auseinandergeschraubt, aus Portemonnaies fix Membrane zurechtgeschnitten und fertig war die Laube."
"Aus Damenstrümpfen, da machte ich damals Keilriemen. Damals konnte man alles selbst machen, sie durften dann natürlich nicht schnell fahren. Für uns war das Wichtigste: Das Auto musste laufen, egal wie", sagt Schäfer heute. Er hat bis zu 30 Autos repariert - täglich. Rund um die Uhr gab es Schichten, auch an Feiertagen.
Gründung als Motorradfahrer-Interessenvertretung
Heute ist jedes ADAC-Fahrzeug eine eigene Werkstatt auf vier Rädern. Die Pannen-Ausrüstung wiegt mehr als eine halbe Tonne, dazu ein Laptop für die Fehlersuche. Vor 100 Jahren begann alles aber auf zwei Rädern, und zwar mit Motorradfahrern, die sich im Straßenverkehr nicht ernstgenommen fühlten. Deswegen gründeten sie 1903 die Deutsche Motorradfahrer-Vereinigung als ihre eigene Interessenvertretung.
Als im Laufe der Jahre immer mehr Autofahrer dazukamen, gab sich der Verein den Namen "Deutsche Motorfahrer Vereinigung e.V.". Von 17.000 Mitgliedern fuhren damals 12.000 ein Auto. Das Motorrad rückte immer weiter in den Hintergrund und musste schließlich auch aus dem Namen des Vereins weichen. 1911 bekam der Club den Namen, den er bis heute trägt: "Allgemeiner Deutscher Automobil-Club", kurz ADAC.
Erste Landes-Geschäftsstelle 1924 in Kiel
Der ADAC wächst schnell. In Kiel eröffnet der Verein 1924 seine erste Landes-Geschäftsstelle, in der Holstenstraße. Danach geht es Richtung Sophienblatt und schließlich in die Saarbrückenstraße. Über reine Pannenhilfe wächst der ADAC hinaus: Der Verein simuliert Notfälle, um Autofahrende darauf vorzubereiten, wie sie Leben retten oder Unfälle vermeiden können.
Airbags sind noch lange nicht erfunden. Immer mehr Autofahrer - immer mehr Verkehrsopfer. Von 16.000 Toten und 500.000 Verletzten spricht der Vorsitzende des ADAC Schleswig-Holstein, Wolfgang Jenne, im Jahr 1968.
Deswegen setzt sich der Verein vehement auch für die damals umstrittene Anschnallpflicht ein, bis sie 1976 eingeführt wird. Sogar in Modefragen redet er mit und empfiehlt Frauen kurze Röcke statt Maxis beim Autofahren, natürlich auch aus Sicherheitsgründen.
Auf dem Land gab es für "gelbe Engel" Frühstück
Wer Wolfgang Schäfer und seinen Geschichten mit dem Käfer zuhört, bekommt einen Einblick in eine andere Welt, in der Erfindergeist und ein Funken Mut von den erleichterten Klienten auch schon mal mit einer Einladung zum Sonntagsbraten belohnt wurden.
Schäfer ist immer gern zur Arbeit gefahren: "Am besten war es auf dem Lande, wenn wir da gefahren sind. Da haben sie immer gefragt: 'Haben Sie schon gefrühstückt? Komm, wir laden sie ein.' Dann haben wir über Funk Bescheid gesagt, dass es etwas länger dauert. Dann hat die Zentrale gesagt: 'Ja, kein Problem Wolfgang, iss du in Ruhe und dann meldest du dich wieder.'"
Für den gelernten Kfz-Meister war es ein Traumjob, denn er wurde deutlich besser bezahlt als seine Kollegen in der Werkstatt. Sein erster ADAC-Gehaltszettel aus dem Jahr 1969 weist 940 DM aus. Damals ein guter Monatslohn.
Tempo-Limits mochte der ADAC schon vor 50 Jahren nicht
Doch der ADAC ist auch umstritten. Seine Kampagne "Freie Bürger fordern freie Fahrt" richtet sich in den 70er-Jahren gegen Fahrverbote, mit denen die Bundesregierung auf die Ölkrise reagiert. Und der Automobilclub stellt sich schon damals strikt gegen dauerhafte Tempo-Limits.
ADAC-Sprecher Alfred Max Dörfler erklärt 1971: "Falls wir nur mit Tempo 120 auf unseren Autobahnen fahren können, würde der Verkehr bestimmt zum Erliegen kommen, wir werden nur in Kolonne fahren, es wird zu Staus kommen. Der Fahrer ist nervlich überlastet und es gibt die berüchtigten Auffahrunfälle."
Das ist eine Position, an der die Jahre nichts verändert haben. Während Umweltschützer heute ein Tempolimit als Mittel zur Verringerung des Schadstoff-Ausstoßes sehen, sagt ADAC-Pressesprecher Rainer Pregla: "Wir müssen festhalten, dass wir auf den Autobahnen die sichersten Strecken haben für Autofahrende. Die meisten Unfälle passieren eher auf Landesstraßen oder Bundesstraßen oder in den Städten - und da spielt Tempo 130 sicherlich keine Rolle. Außerdem kann man feststellen, dass es in den Ländern, in denen es schon dieses Tempolimit gibt, auch nicht weniger Unfälle gibt."
Mehr als 21 Millionen Mitglieder
Vor zehn Jahren macht der Gesamt-ADAC große Schlagzeilen. Der Vorwurf: Der ADAC-Präsident würde den Rettungshubschrauber für private Zwecke nutzen. Dazu kommen Berichte über Manipulationen des Autopreises "Gelber Engel", den Autokonzerne jahrelang gern für Werbung nutzten.
Es kommt zu einer Vereinsreform: Der ADAC unterteilt sich seitdem in Verein, gemeinnützige Stiftung sowie eine nicht-börsennotierte Aktiengesellschaft. Er hat heute mit mehr als 21 Millionen Menschen so viele Mitglieder wie noch nie - und mehr als die katholische Kirche in Deutschland.
Für Wolfgang Schäfer gehört der gelbe Käfer der Vergangenheit an. Aber seine Leidenschaft für Autos und die hunderte Dankesbriefe - das verspricht der 86-Jährige - wird er für immer behalten.