Wie ein Kieler Verein trauernden Kindern hilft
Wenn ein Elternteil, Bruder oder Schwester sterben, ist das für Kinder eine Ausnahmesituation. Sie trauern anders als Erwachsene. Ein gemeinnütziger Verein in Kiel hilft ihnen dabei.
"Ich zünde meine Kerze heute für meinen verstorbenen Vater an", sagt Joscha und stellt eine kleine blaue Kerze in die Sandschale vor sich. Sein Bruder Milo macht das Gleiche mit einer grünen Kerze. Die beiden sind zehn und zwölf Jahre alt. Ihr Vater ist vor sechseinhalb Jahren an Krebs gestorben. Neben den beiden Brüdern sitzen die zehnjährige Sophie und die fünfjährige Mathilda. Sie haben ihre Mutter vor dreieinhalb Jahren verloren. Mit dem Kerzen-Ritual startet jedes Treffen in den Räumen des Kieler Vereins "Trauernde Kinder Schleswig-Holstein". Die Kinder können ihre Kerze für ihre verstorbenen Angehörigen anzünden, aber auch für einen Wunsch oder sich selbst - je nachdem, wie sie sich fühlen.
"Kinder trauern in Pfützen"
Heute sind alle gut drauf und wollen nach der Begrüßung direkt mit einem Kartenspiel weitermachen. Dafür ziehen sie bunte Karten mit Fragen, die dann jeder im Kreis beantwortet. Nach ein paar Fragen zu Lieblingshobbys und Tieren, vor denen man Angst hat, zieht Sophie die Frage, was sie macht, wenn sie traurig ist und ihre Mutter vermisst. "Kuscheln", sagt die Zehnjährige, ohne zu zögern. Auch die anderen müssen nicht lange überlegen. Sie ziehen sich zum Beispiel in ihr Zimmer zurück oder schreien in ihr Kissen. Das Spiel suchen sich Kinder gerne aus, wenn sie über ihre Verstorbenen sprechen wollen, aber nicht wissen, wie, sagt Sozialarbeiterin Lara Kleiner-Schimmelpfennig: "Kindern trauern anders als Erwachsene, sie trauern eher in Pfützen. Das heißt, in einem Moment sind sie total traurig, aber im nächsten Moment sind sie vielleicht total fröhlich, und wir versuchen, all diesen Emotionen Raum zu geben."
Mehr als 40 Ehrenamtliche
Die Arbeit des Vereins ist fast ausschließlich spendenfinanziert. Lara Kleiner-Schimmelpfennig ist eine von drei pädagogischen Fachkräften, die beim Verein angestellt sind und die verschiedenen Gruppen begleiten. Außerdem gibt es mehr als 40 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die in den sechs Kinder- und Jugendgruppen unterstützen. Der Verein betreut aktuell 40 Kinder in den verschiedenen Gruppen gleichzeitig - alle Plätze sind belegt. Es gibt eine Warteliste.
Die Gruppen treffen sich alle zwei Wochen, die Eltern bleiben draußen. "Wir merken, dass die Kinder hier nicht so das Gefühl haben, jetzt für ihre Eltern verantwortlich zu sein. Es kann zum Beispiel sein, dass das Kind zu Hause das Gefühl hat, fröhlich sein zu müssen. Dann nutzt es hier den Raum, um traurig zu sein – oder auch andersherum", so Kleiner-Schimmelpfennig.
Auch Eltern bekommen Hilfe
Wenn die Kinder sie doch brauchen, sind die Eltern aber da. Sie sitzen während der zwei Gruppenstunden im Verein in einem separaten Raum und tauschen sich dort untereinander aus. "Habt ihr schon eine Trauerkur gemacht?", fragt Tobias Pustal, der Vater von Sophie und Mathilda. Jeannette Kulka kann ihm Tipps geben. Sie ist die Mutter von Milo und Joscha und war mit ihren Söhnen schon zwei Mal auf Trauerkuren. Danach sprechen sie im Elternzimmer darüber, wie schwierig Weihnachten und Silvester für beide Familien waren.
Spaß gehört dazu
Die Kinder können frei bestimmen, wie sie die zwei Stunden in den Vereinsräumen nutzen wollen. Inzwischen sind alle in den Toberaum gewechselt. Sie springen zwischen Sportmatten herum, machen Saltos und bauen Höhlen. "Ich bin gerne hier, weil ich einfach spielen und Spaß haben kann und dann an nichts anderes denke", sagt Sophie. "Und das Besondere hier ist auch, dass die anderen Kinder einen besser verstehen, weil sie auch so etwas erlebt haben wie man selbst", ergänzt Milo, bevor er seinen Bruder in einer besonders großen Mattenburg einbaut.
Kinder entscheiden, wie lange sie bleiben
Milo und Joscha sind inzwischen nicht mehr regelmäßig im Verein. Sie haben gelernt, mit ihrer Trauer umzugehen und brauchen nicht mehr so viel Unterstützung. "Ich habe irgendwann gemerkt, dass es für mich einfacher ist, über meinen Vater und meine Trauer zu reden", erklärt Joscha. Sophie und Mathilda sind noch nicht ganz so weit. Sie wollen weiterhin alle zwei Wochen in die Kieler Vereinsräume kommen, um zu spielen, zu malen oder über ihre Trauer zu reden – je nachdem, wie sie sich gerade fühlen.