Rechtsextremismus: Landtag in SH setzt ein Zeichen

Stand: 26.01.2024 09:33 Uhr

Einigkeit gibt es im Landtag in Kiel nicht so häufig. Bei der aktuellen Sitzung aber zeigte sich ein anderes Bild: Beifall, zustimmende Rufe, fraktionsübergreifende Einigkeit.

von Friederike Hoppe

Immer wieder unterbricht zustimmender Beifall die Reden, einige Passagen erhalten besonders viel Anerkennung. "Das Grundgesetz ist kein Mahnmal, sondern politische Notwendigkeit", "jedes der Demokratie zur Verfügung zustehende Mittel nutzen", "Nie wieder ist jetzt".

Nachdem in den vergangenen Tagen die Pläne von Rechtsextremen und AfD Funktionären zur Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland durch das Recherchezentrum Correctiv aufgedeckt wurden, wollen die Parteien Demokratiefeinden und Vertreibungsplänen entschieden entgegentreten. Die Initiative passt zu den Entwicklungen am vergangenen Wochenende, an dem tausende Menschen gegen Rechtsextremismus demonstrierten.

Dringlichkeitsantrag einstimmig beschlossen

In einem parteiübergreifenden Schulterschluss haben alle Fraktionen im schleswig-holsteinischen Landtag dafür ein deutliches Zeichen gesetzt. Einstimmig wurde ein Dringlichkeitsantrag entschieden, in dem der Landtag erklärt, er werde "sich mit voller Kraft gegen die Pläne der Rechtsextremen stellen".

In dem gemeinsamen Antrag, den die Parteien für die Plenarsitzung erarbeitet haben, heißt es: "Der schleswig-holsteinische Landtag verurteilt die durch das Recherchemedium Correctiv aufgedeckten Pläne von Funktionären der AfD, Identitärer Bewegung und anderen Rechtsextremen, wonach Millionen Menschen aus Deutschland vertrieben werden sollen, sogar wenn es sich um Staatsbürgerinnen und Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland handelt."

"Gefährliche politische Entwicklung"

Weiter heißt es darin: "Die von den Deportationsplänen betroffenen Menschen gehören zu unserer Gesellschaft und werden vor jeder Bedrohung, Willkür und Gewalt geschützt. Die Demokratinnen und Demokraten sind wehrhaft und werden die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen Demokratiefeinde und ihre Vertreibungspläne verteidigen."

Die jüngsten Enthüllungen zeigen eine "gefährliche politische Entwicklung". "Dieser Hass und die Gewalt gehen nicht von kleinen Splittergruppen, sondern politischen Akteuren aus, die in Parlamenten vertreten sind und erheblich von öffentlicher Parteienfinanzierung profitieren", schreiben die Parteien.

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Politikwissenschaftlerin: Dringlichkeitsantrag symbolisch wichtig

Dringlichkeitsanträge haben eine Sonderstellung. Ein Dringlichkeitsantrag ist ein Antrag, der erst nach Einberufung des Ältestenrates auf die Tagesordnung gesetzt wird. Das Parlament bestimmt dann, ob der Dringlichkeit stattgegeben wird.

Aus Sicht der Politikwissenschaftlerin Paula Diehl von der Universität Kiel symbolisiert der Dringlichkeitsantrag eine wichtige Dimension in der politischen Diskussion. Auch solche Symbolpolitik wie am Donnerstag im Landtag sei wichtig: Die Abgrenzungen zur AfD sowie zu rechter Politik sei in den letzten Jahren nicht mehr deutlich genug gemacht worden, so Diehl.

Innenministerin: "Niemand darf schweigen"

Niemand dürfe schweigen, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU). Sie beobachte "eine besorgniserregende Entwicklung", und eine immer rauer werdende Stimmung in der Gesellschaft. Auch der Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel wirke sich auf die derzeitige Sicherheitslage im Land aus. Daher sei jeder einzelne Bürger gefordert, Courage zu zeigen. "Wir müssen alle als Demokraten zusammenstehen. Dass das geht, zeigt der gemeinsame Antrag dieses hohen Hauses. Wir dürfen die Augen vor den Gefährdungen unserer Demokratie niemals verschließen", so Sütterlin-Waack. "Extremismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit dürfen keinen Platz in der Gesellschaft haben", so die Innenministerin.

2022: 1.220 Personen in SH aus rechtsextremer Szene

Der Verfassungsschutzbericht zeigt eine Bandbreite der Angriffe auf die Demokratie. In Schleswig-Holstein gehören 1.220 Personen zur rechtsextremistischen Szene, das geht aus dem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 hervor. Im Vergleich zum Vorjahr ist das eine Erhöhung um etwa 1,7 Prozent. Während im Jahr 2022 "Rechtsextremisten der neonazistischen Szene nicht in der Lage waren, das aktuelle politische Geschehen mit eigenen Positionen öffentlich wahrnehmbar zu begleiten, zu instrumentalisieren oder gar zu beherrschen", zeigt sich nun eine neue Dynamik. So steht es im Resümee des Verfassungsschutzberichts.

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Spätestens jetzt sei klar, dass die "AfD mitnichten eine Protestpartei, sondern eine rechtsextreme Partei ist", sagte Birte Glißmann (CDU). Das betonte auch der Grünen-Abgeordnete Jan Kürschner. "Die AfD spielt im Verfassungsschutz nur eine untergeordnete Rolle, die Zeiten haben sich geändert. In den Kommunalwahlen war sie deutlich erfolgreicher und aggressiver." Das sei ein Nährboden.

Über die besondere Gefahr von Rechtsextremen gibt der Verfassungsschutzbericht keine Auskunft. "Ein Monitoring der Einstellung in der Bevölkerung ist nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes." Dennoch gebe es ein "weites Hineinreichen rechter Ideologieelemente in das, was wir die Mitte der Gesellschaft nennen", so Kürschner.

SPD-Fraktionschefin Serpil Midyatli mit emotionaler Rede

Die emotionalste Rede an diesem Vormittag kam von SPD-Fraktionschefin Serpil Midyatli. Für sie ist unmissverständlich, dass es sich um einen Angriff auf die gesamte Gesellschaft handelt. "Menschen, die einen Migrationshintergrund haben, Feministinnen, Menschen mit Behinderungen, all diejenigen, gegen die die AfD schon seit Jahren hetzt spüren das schon viel länger". Diese Debatten werden nun das erste Mal laut geführt, so Midyatli. Der Hass und die Hetze der Rechtsextremen sei jetzt in der Mitte der Gesellschaft angekommen, so die Fraktionschefin.

Sie berichtet auch von privaten Erlebnissen. So habe ihr Sohn eine gelbe Karte beim Fußball erhalten, weil er sich beschwerte, nachdem einer seiner Mitspieler lautstark diskriminiert wurde. "Ich war sehr stolz auf meinen Sohn und auf das gesamte Team, das sich gewehrt hat", so die Fraktionschefin. "Rassismus tötet und er tötet zuerst diejenigen die angegriffen werden, im Netz erleben wir das. Jetzt ist die Zeit zu handeln", so Midyatli.

Der Fraktionsvorsitzende der FDP Christopher Vogt sagte, er sei "dankbar, dass wir erneut interfraktionell das unmissverständliche Signal senden, dass wir uns für Rechtsstaatlichkeit und Weltoffenheit einsetzen." Er habe kein Verständnis mehr für Menschen, die die AfD aus Protest wählen. Stattdessen müssten die politischen Parteien ihre Unterschiede zur AfD deutlich machen. SSW-Fraktionschef Lars Harms mahnte: Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen. Auch wenn Schleswig-Holstein neben Bremen das einzige Bundesland ist, in dem die AfD nicht mehr im Landtag sitzt, so Harms.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Schleswig-Holstein Magazin | 25.01.2024 | 19:30 Uhr

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