Nach Blockade der Fähre mit Habeck: Fünf Strafanzeigen

Stand: 10.01.2024 21:03 Uhr

Bei den Protesten gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Schlüttsiel (Kreis Nordfriesland) ist es zu mehreren Straftaten gekommen. Fünf Anzeigen sind inzwischen eingegangen, erklärte die leitende Staatsanwältin Stephanie Gropp im Innen- und Rechtsauschuss.

von Friederike Hoppe

Das Interesse an der Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses im Kieler Landtag an diesem Mittwochnachmittag ist groß. Die knapp 50 Plätze im Saal sind fast vollständig belegt mit Zuhörern aus Medien, Politik und Verwaltung. Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) sowie Vertreter von Polizei und Staatsanwaltschaft beleuchten in den folgenden zwei Stunden, was am vergangenen Donnerstag in Schlüttsiel (Kreis Nordfriesland) passiert ist. Landwirte hatten Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und seine Familie nach seiner Rückkehr von einer Reise zur Hallig Hooge bedrängt und daran gehindert, eine Fähre zu verlassen.

Proteste seien "massive Grenzüberschreitung"

"Uns alle haben die Bilder aus Schlüttsiel erschreckt, Schleswig-Holstein hat an diesem Tag kein gutes Bild abgegeben", sagt Niclas Dürbrook (SPD). Er spricht von einer "massiven Grenzüberschreitung" und fordert Konsequenzen für die Initiatoren.

Der Innen- und Rechtsausschuss tagt im Kieler Landeshaus in Anwesenheit der Presse. © NDR Foto: Friedericke Hoppe
Der Innen- und Rechtsausschuss arbeitet den eskalierten Protest in Schlüttsiel auf.

Auch Sütterlin-Waack äußert Entsetzen und Unverständnis. "Die Blockade der Fähre in Schlüttsiel ist nicht zu rechtfertigen. Aktionen, die sich gegen Politiker und deren Umfeld richten, haben nichts mit legitimem Protest zu tun, ich verurteile dies aufs Schärfste", so die Innenministerin. Knapp zehn Prozent der bis zu 350 Menschen hätten sich "emotional und aggressiv verhalten", berichtet Sütterlin-Waack. Dennoch macht sie klar: "Auch der Teil der Teilnehmer, der sich friedlich verhielt, hat eindeutig eine Grenze überschritten", denn es war eine Privatreise des Vizekanzlers, so die Innenministerin.

Polizei: "Situation stand auf der Kippe"

Die meisten Fragen richten sich an diesem Nachmittag an Axel Behrends, leitender Polizeidirektor in Kiel. Warum wurden keine Personalien ermittelt? Warum hat die Polizei keine weiteren Maßnahmen ergriffen? Wie gefährlich war die Lage in der Nacht?

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"Die Situation stand auf der Kippe", berichtet Behrends. Sieben Polizeiwagen mit zunächst 14, dann bis zu 20 Polizeibeamte waren demnach in der Nacht am Fähranleger vor Ort. Weitere Verstärkung konnte laut Behrens nicht durchdringen. "Es waren 20 Beamte gegen 350 Menschen, ich bin froh, dass niemand verletzt wurde". Aus Sorge um die Sicherheit der Beamten wurden die Personalien der Teilnehmer in der Nacht nicht aufgenommen. Während der Einsatz der Polizei in der Sitzung gelobt wird, fordert Bernd Buchholz (FDP) ein härteres Vorgehen. "Es geht um die Durchsetzung des Rechtsstaates, das muss die Polizei deutlich machen."

Weitere Tatbestände werden ermittelt

Inzwischen sind nach Angaben der leitenden Staatsanwältin Stephanie Gropp erste Versammlungsteilnehmer identifiziert, fünf Anzeigen sind eingegangen. Dennoch wird klar: Die Ermittlungen stehen am Anfang. Noch immer werden Hinweise aufgenommen und offene Fragen geklärt. "Wo sich die Versammlungsteilnehmer befunden haben, muss noch mühsam geklärt werden. Das geschieht mit Zeugenbefragungen, Auswertungen der Videosequenzen", so Gropp. Aber das allein reiche nicht. "Wir brauchen eine strafbare Handlung, darauf liegt der Fokus der weiteren Ermittlungen". So sei derzeit noch unklar, ob die Polizeikette von acht Beamten bewusst durchbrochen wurde oder ob der Druck von den Demonstranten von hinten zu groß war.

Rechtsradikale nutzen Proteste

Hintergrund der Proteste waren die Kürzungspläne der Bundesregierung. Viele Landwirte fürchten um ihre Existenz und äußern ihren Unmut. Doch auch weitere Akteure nutzen die aufgeheizte Stimmung. Rechtsradikale instrumentalisieren die Proteste der Landwirtschaft für sich und verbreiten Symbole wie die Landvolkflagge, ein Zeichen für Gewaltbereitschaft. So sei beispielsweise der Demo-Aufruf in Schlüttsiel in den sozialen Netzwerken geteilt worden.

Dies seien "beunruhigende Nachrichten", sagt Bina Braun (Grüne), Sprecherin für Kommunales und ländliche Räume. Stattdessen sei es "wichtig, dass Menschen rechte Symbole, wie zum Beispiel die Landvolkflagge, erkennen und über die Ziele und Methoden dieser Gruppierungen informiert sind", so Braun. Auch die Kommunalpolitik dürfe mit dem Thema nicht alleingelassen werden. In welchem Umfang rechtsextreme Gruppierungen die Proteste in Schlüttsiel genutzt haben, das wird in den kommenden Monaten untersucht.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Schleswig-Holstein Magazin | 10.01.2024 | 19:30 Uhr

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