Munition in der Lübecker Bucht: Geologen kartieren Altlasten

Stand: 18.10.2023 05:00 Uhr

In der Lübecker Bucht liegen schätzungsweise 50.000 Tonnen Munition aus dem Zweiten Weltkrieg. Seit 2018 kartieren die Geologen vom Kieler Geomar die Altlasten. Mit neuer Technik bekommen sie immer genauere Angaben.

von Phillip Kamke

Es ist ein trüber Morgen in der Lübecker Bucht, immer wieder regnet es leicht. Auf dem Wasser ist kaum etwas los, nur vereinzelt sieht man Boote. Etwas weiter draußen, etwa zwei Seemeilen vor Neustadt (Kreis Ostholstein) , treibt das blaue Forschungsschiff "Alkor". An Bord: Mitarbeiter vom Kieler Geomar, ausgestattet mit modernster Technik.

An Deck öffnet sich ein Rolltor. In der Garage stehen Luise und Anton, zwei autonom fahrende Unterwasserdrohnen. Sie machen hochauflösende Fotos vom Meeresboden. Daraus entsteht eine sogenannte fotogrametische Rekonstruktion. "Die vielen Fotos werden nachher digital zusammengeklebt, so dass ein großes Bild entsteht von einem Munitionsfeld. Das Foto ist dann etwa 100 mal 100 Meter groß", erklärt Jens Greinert. Der Geologe leitet die mehrtägige Forschungsreise in der Lübecker Bucht.

Munition auf zehn Quadratkilometern

Vom Forschungsraum im Schiffsinneren aus können die Experten die Aufnahmen vom Meeresgrund in Echtzeit beobachten. Gerade ist das ROV, das "remotely operated vehicle", ins Wasser gelassen worden. Anders als die Drohnen bleibt es dauerhaft mit einem Kabel und der Alkor verbunden. Ein Mitarbeiter steuert das Fahrzeug mit einem Controller. Das ROV, an Bord auch liebevoll "Blaubär" genannt, hat ein 360 Grad Sonar, kann auf 40 Meter Objekte orten. Das Livebild der Kamera läuft auf zwei großen Monitoren.

Professor Jens Greinert guckt konzentriert darauf und sieht schon nach kurzer Zeit die ersten Bomben. "Es wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Versenkungsgebiete von den Alliierten ausgewiesen, mit vier Koordinaten. Wir reden über eine Fläche von zehn Quadratkilometern, die wir kartieren", sagt Greinert. Kurz darauf bittet er seinen Kollegen den "Blaubären" langsamer zu fahren, er taucht jetzt in 23 Metern Tiefe. Zu sehen sind mehrere große Bomben direkt nebeneinander, sie stecken kopfüber im Sediment.

Wasserproben direkt an den Bomben

Bildmaterialien von Unterwasseraufnahmen werden sich auf einem Monitor angeschaut. Zu sehen ist Munition auf dem Grund des Wassers. © NDR Foto: Philipp Kamke
Professor Jens Greinert und sein Kollege werten die Unterwasseraufnahmen in Echtzeit aus.

Immer wieder tauchen auf den Monitoren große Bomben auf, bei einigen sind die Leitwerke am hinteren Teil zu erkennen. Geologe Jens Greinert schätzt, dass jede Bombe etwa 500 Kilogramm wiegt. Zünder haben sie nicht, dennoch sind sie gefährlich. Denn viele sind schon an- oder durchgerostet. Seit 2018 nehmen die Kollegen vom Geomar immer wieder Wasserproben - und weisen in jeder Wasserprobe Sprengstoff nach, wenn auch in geringen Mengen.

Mit dem Unterwasserfahrzeug "Blaubär" können sie jetzt das Wasser direkt neben offenem Sprengstoff untersuchen und damit ermitteln, wie schnell sich der Sprengstoff löst. "Wir wollen hochrechnen können, was passieren würde, wenn fünf Prozent der Munitionskörper plötzlich offen sind und ihr TNT abgeben. Was uns aber fehlt ist der Quellterm. Also wieviel kommt wirklich aus so einem Munitionsobjekt raus. Das versuchen wir mit Daten zu unterfüttern", sagt Greinert.

Mehr Munition in der Lübecker Bucht als gedacht

An Bord der "Alkor" wird rund um die Uhr gearbeitet. Nachts werden etwas gröbere Messungen gemacht, tagsüber, wenn die Sicht besser ist, setzen sie die Drohnen mit Foto- und Filmkameras aus. An diesem Tag haben Jens Greinert und seine Kollegen einen Munitionshaufen kartiert, den sie bislang so noch nicht kannten. Er ist 70 Meter lang und 20 Meter breit. In diesem Gebiet liegen unzählige Bomben.

Dieses Feld ist nur eines von mehr als 250 in der Lübecker Bucht. In den kommenden Tagen wollen die Forscher hier noch Sedimentproben nehmen, um zu prüfen, ob sich auch dort TNT abgelagert hat. "Wir machen das schon eine ganze Zeit, aber heute Morgen, als wir auf die neusten Bilder geguckt haben, mussten wir wieder den Kopf schütteln. Da liegt nämlich noch mehr als wir dachten. Man hat das Gefühl es nimmt kein Ende. Wir haben schon viel kartiert, aber es wird irgendwie immer mehr", sagt Jens Greinert und blickt dabei auf seinen Monitor. Denn wieder fährt die Kamera über eine große Bombe. Im kommenden Jahr sollen in der Lübecker Bucht die ersten Teile der Munitionsaltlasten aus dem Zweiten Weltkrieg geborgen werden.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 17.10.2023 | 19:30 Uhr

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