Migration und Sturmflut: SH drängt den Bund zum Handeln

Stand: 22.11.2023 13:14 Uhr

So euphorisch wie der Kanzler bewertet die Landesregierung die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz vor zwei Wochen nicht: Die Einigungen zu Migration und Sturmflut-Schäden seien nicht mehr als "ein wichtiges Signal".

von Julia Schumacher

Für Olaf Scholz war es ein "sehr historischer Moment". Gemeint sind die Einigungen zwischen Bund und Ländern zu Migration und Sturmflut-Hilfen. Die Landesregierung in Schleswig-Holstein bleibt da nüchterner: "Wir sind vorangekommen." So fasst es die stellvertretende Ministerpräsidentin Monika Heinold (Grüne) in einer Regierungserklärung zusammen. Es sei wichtig, dass Bund und Länder gemeinsam etwas geschafft haben. Nun komme es entscheidend auf die Umsetzung an: Die Beschlüsse zu Steuerung und Finanzierung von Migration müssten sich zeitnah in konkreten Maßnahmen und Gesetzen wiederfinden, so Heinold.

Unter Erwartungen der Landesregierung geblieben

In einigen Punkten seien die Beschlüsse unter den Erwartungen geblieben - wie bei der Summe, die der Bund den Kommunen pro Geflüchtetem gibt. "Da hätten wir deutlich mehr erwartet", so Heinold, die für den erkrankten Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) sprach. Der Bund habe keinerlei Bereitschaft gezeigt, sich angemessen an den finanziellen Herausforderungen zu beteiligen.

"Positiv bleibt festzuhalten, dass die vom Bund zu tragenden Kosten sich nun - wie von den Ländern gefordert - an der Anzahl der Asylantragsteller orientiert." Die festgelegte Pro-Kopf-Pauschale von 7.500 Euro läge aber niedriger als von den Ländern gefordert. "Das ist immerhin ein erster Schritt und es ist gut, dass diese Zusage jetzt unter Dach und Fach ist. Denn einfacher wird das bei den Debatten um Geld mit dem Bund ja nicht werden", sagt Heinold mit Blick auf die vorangegangene Debatte zur aktuellen Haushaltsnotlage. In den nächsten Wochen gebe es Gespräch mit den Kommunen, wie diese Vereinbarung in Schleswig-Holstein umgesetzt werde, so Heinold.

Weitere Informationen
Menschen stehen Schlange bei der Essenausgabe in der Landesunterkunft der Gemeinde Seeth im Kreis Nordfriesland. © picture alliance/dpa | Frank Molter Foto: Frank Molter

Bund-Länder-Hilfen laut Kommunen nicht ausreichend

Geplante Maßnahmen gingen zwar in die richtige Richtung, reichten aber nicht aus. Wohnungsmangel sei das größte Problem. mehr

Menschen mit Anspruch auf Asyl helfen - irreguläre Migration begrenzen

Wie vereinbart werde auch Schleswig-Holstein seine Kapazitäten in den Erstaufnahmen weiter aufstocken, erklärte Heinold. Am Montag habe bereits eine neue Unterkunft in Kiel die Arbeit aufgenommen. Menschen ohne Bleiberecht würden nicht auf die Gemeinden verteidigt verteilt werden, so sei es mit den Kommunen vereinbart worden. "Es werden nicht alle Menschen zu uns kommen können. Es geht um Ordnung und Humanität. Es geht nicht um Populismus", so Heinold. Es müsse das klare Signal geben, dass man denen, die Anspruch auf Asyl haben, helfen wird - irreguläre Migration aber sei zu begrenzen.

Land für "Wiederaufbaufonds für länderübergreifende Katastrophenfälle"

Kritik hat die Landesregierung auch an den Einigungen zu den Stumflut-Hilfen: "Aus unserer Sicht wäre eine hälftige Kostenteilung die gerechteste Lösung. Das ist unsere Grundlage für die anstehenden Gespräche." Grundsätzlich bliebe die Frage, ob betroffene Länder in Zeiten zunehmender Wetterextreme immer wieder als Bittsteller auftreten müssen - oder ob vorausschauend vorgesorgt werden könnte. "Deshalb werden wir auch anregen, dass Bund und Länder dauerhaft einen gemeinsamen 'Wiederaufbaufonds für länderübergreifende Katastrophenfälle' einrichten.

Für den CDU-Fraktionsvorsitzenden Tobias Koch ist Lage ähnlich dramatisch wie in der Corona-Pandemie: "Bis Ende Oktober wurden in Deutschland 286.000 Asylanträge gestellt. Das waren zu diesem Zeitpunkt bereits 40.000 mehr als im gesamten Vorjahr." Die Aufnahmesituation für Flüchtlinge sei am Limit, die Kapazitäten vielerorts erschöpft, wenn nicht überschritten.

Opposition mit gemischten Gefühlen

"Der Bund-Länder-Konsens auf der Ministerpräsidentenkonferenz, gemeinsam Korrekturen an der Flüchtlings- und Migrationspolitik vorzunehmen, war wirklich überfällig", sagt Christopher Vogt, FDP-Fraktionsvorsitzender. Wenn die etablierten demokratischen Parteien diese große Herausforderung nicht angehen würden, profitierten die Falschen.

SSW: Leistungskürzungen sind Konjunkturprogramm für Rechtsextremisten

"Wenn man die Menschen länger als eineinhalb Jahre von sozialen Leistungen ausschließt, wie derzeit angedacht, ist das keine Lösung", so Lars Harms vom SSW. Die Menschen könnten sich dann wegen mangelnder Mittel noch schlechter integrieren als ohnehin schon. Es werde für diejenigen dann der Druck steigen, auf andere - nämlich illegale - Art und Weise ein Mindestmaß an Teilhabe erlangen zu können. Leistungskürzungen seien am Ende ein Konjunkturprogramm für Rechtsextremisten.

SPD: Land liefert nicht

SPD-Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer Thomas Losse-Müller kritisiert Sinn und Mehrwert dieser Regierungserklärung: "Was haben wir jetzt Neues nach Ihrer Regierungserklärung erfahren? Eigentlich nichts." Dennoch seien die gemeinsamen Beschlüsse von Ländern und Bund wichtig: "Weil sie einen Schlussstrich unter eine unsägliche Eskalation der Migrationsdebatte in den letzten Monaten gesetzt haben."

Losse-Müller kritisiert, dass einige der Themen in den Beschlüssen bereits beim Land liegen - und die Landesregierung nicht liefere. Wie beim Ausbau der Unterkünfte für Geflüchtete: "Sie haben trotz unserer Mahnungen viel zu spät angefangen, die Plätze in den Erstaufnahmen weiter aufzustocken. Und jetzt erleben wir, dass Sie selbst mit dem wenigen angekündigten Ausbau scheitern."

Weitere Informationen
Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, spricht während einer Aktuellen Stunde mit dem Titel "Solidarität mit Israel" im Kieler Landtag. © dpa Foto: Frank Molter

Günther sieht Bund beim Thema Migration in der Bringschuld

Vor der Ministerpräsidentenkonferenz hat Daniel Günther seine Erwartungshaltung an den Bund bekräftigt. mehr

Eurobanknoten liegen auf einem Tisch (Illustration). © dpa-Zentralbild/dpa Foto: Patrick Pleul

Faire Kostenverteilung in SH? Land und Kommunen einigen sich

Der Knoten sei durchgeschlagen, sagt Finanzministerin Heinold. Auch hinsichtlich flüchtlingsbedingter Kosten sei man sich einig geworden. mehr

Die MS Stadt Kappeln fährt übers Meer. © NDR Foto: Simone Mischke

Nach der Flut: Große Spendenbereitschaft in Schleswig-Holstein

Das Jahrhunderthochwasser hat unter anderem an der Schlei vieles zerstört. Die Menschen zeigen sich solidarisch. mehr

Eine Mole ist durch eine Sturmflut stark beschädigt. © NDR Foto: Stefan Böhnke

Hilfen nach der Ostsee-Sturmflut: Was klar ist - und was nicht

Es soll einen Wiederaufbaufonds und ein Darlehensprogramm geben. Wer davon profitieren könnte, wer was bezahlt und welche Fragen noch offen sind: Ein Überblick. mehr

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 22.11.2023 | 19:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Migration

Sturmflut

Nachrichten aus Schleswig-Holstein

Delfin "Delle" begeistert Passanten an der Promenade in Travemünde mit Luftsprüngen. © Daniel Friederichs

Delfin "Delle" in Travemünde: Sorge wegen Hauterkrankung?

Am Sonnabend lieferte der Delfin den Besuchern in Lübeck-Travemünde eine Show. Ein Besucher sorgt sich jedoch um den Delfin. mehr

Videos