Ein Eisberg in Grönland © Picture Alliance / NurPhoto | Ulrik Pedersen Foto: Ulrik Pedersen

Klimakrise: Geomar-Chefin wünscht sich mehr Mut und Taten

Stand: 15.06.2022 15:26 Uhr

Außen glänzt die Fassade silbern, innen befinden sich die Labore und Büros noch im Rohbau. NDR Schleswig-Holstein trifft die Geomar-Direktorin, Professorin Katja Matthes, in der künftigen Bibliothek des sogenannten Erweiterungsneubaus am Kieler Ostufer. Gerade werden dort Stromleitungen verlegt. 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erforschen am Geomar die Rolle des Ozeans, vom Meeresgrund bis zur Atmosphäre.

Porträt von der Zentrumsleiterin Prof. Dr. Katja Matthes © NDR Foto: Malin Girolami
Die Zentrumsleiterin Prof. Dr. Katja Matthes gibt ein Interview zum zehnjährigen Jubiläum des Geomar in der Helmholtz-Gemeinschaft.

Seit zehn Jahren gehört Geomar zur Helmholtz-Gemeinschaft, mit einem Budget von 80 Millionen Euro pro Jahr. Es wird zu 90 Prozent vom Bund gefördert und hat dadurch eine hohe Planungssicherheit. Mittlerweile zählt Geomar in den Meereswissenschaften zu den fünf renommiertesten Instituten weltweit. Katja Matthes ist seit anderthalb Jahren Direktorin. Ihr Ziel: Vom Wissen ins Handeln kommen - besonders beim Thema Klimawandel.

Wir sind hier in der künftigen Bibliothek, können von hier aus auch auf die Förde schauen. Frau Matthes, wenn Sie auf das Meer gucken, sehen Sie da mehr Probleme oder mehr Lösungen?

Katja Matthes: Ich sehe beides. Ich sehe Probleme und Lösungen. Aber viel von den Problemen ist unter dem Wasser versteckt und nicht so leicht sichtbar. Unsere Welt hier am Geomar ist der Ozean. Wir sind auf und im Ozean unterwegs, um Probleme erstmal zu verstehen. Erforschen, was der Ozean uns sagt und wie wir zu Lösungen kommen können.

Das Geomar ist seit zehn Jahren Teil der Helmholtz Gemeinschaft, in der Zeit ist aus dem Klimawandel eine Klimakrise geworden. Was hat das Geomar da konkret geschafft?

Matthes: Wir haben ganz viel geschafft. Erwärmung, Versauerung, da wissen wir unglaublich viel. Jetzt sind wir dabei, uns nachhaltige Lösungen anzugucken. Wir haben ein riesiges Beobachtungssystem im Ozean. Da sind wir weltweit unterwegs, um Daten zu sammeln. Die bringen ein virtuelles Abbild des Ozeans und wir entwickeln daraus einen digitalen Zwilling - um Fragen stellen zu können: Was passiert zum Beispiel, wenn die Ostsee drei Grad wärmer wird? Das kann man in diesem Modellraum simulieren und gucken, wie sich die Fischerei entwickelt und wie sich die Sauerstoffzirkulation ändert. Damit können wir wieder an die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger herantreten.

Ein großes Problem ist die Erderwärmung durch Klimagase wie CO2. Was kann das Geomar da jetzt schon anbieten?

Matthes: CO2 ist in der Atmosphäre am schlechtesten aufgehoben. Der Ozean kann uns helfen beim Klimawandel, er nimmt schon jetzt viel CO2 auf. Und wir untersuchen im Rahmen von großen Forschungsprojekten, wie wir den Ozean befähigen können noch mehr CO2 aufzunehmen und uns sozusagen beim Klimawandel zu helfen.

Seegraswiesen sind ein hervorragender CO2-Speicher, ein Quadratmeter Seegraswiese nimmt etwa 30- bis 40-mal so viel CO2 auf wie ein Quadratmeter Wald an Land. Oder wir können uns auch vorstellen, Gesteinsmehl in den Ozean zu streuen, um einfach die CO2 Aufnahme zu erhöhen. All diese verschiedenen Lösungsoptionen gucken wir uns an und machen auch eine Bewertung der Chancen und Risiken. Es ist eigentlich jetzt schon klar, dass wir eine Vielzahl von Optionen austesten müssen.

Gehört dazu auch das Verpressen von CO2 kilometertief im Meeresboden, die sogenannte CCS-Technik?

Matthes: Das geht in Basaltkruste oder Sandstein, da haben wir auch verschiedene Forschungsprojekte, um das zu machen. Man kann CO2 aus der Atmosphäre filtern und dann sicher unter dem Meeresboden speichern. Das ist mir besonders wichtig: dass es sicher ist. Dass wir uns wirklich diese Chancen und Risiken angucken. Wir wollen ja nicht CO2 unter dem Meeresboden verpressen und dann kommt es wieder raus und dann kommen die nächsten Probleme, etwa eine Versauerung der Meere, die wir ja sowieso schon haben. Insofern gucken wir uns das sehr gut an.

Die Diskussion um den Einsatz von CCS (Carbon Capture and Storage) sorgte vor mehr als zehn Jahren für Proteste in der Öffentlichkeit. Damals ging es um die Speicherung von CO2 aus Kohlekraftwerken vor der Nordseeküste. Die Sorge: Sollte das CO2 über undichte Stellen austreten, könnte es Umwelt und Menschen gefährden. Seit 2012 gibt es ein Gesetz, das den Ländern erlaubt den Einsatz von CCS auszuschließen. In Schleswig-Holstein gibt es daher bisher keinen Einsatz von CCS-Technologien. In Norwegen und Dänemark dagegen wird die Technik bereits genutzt. Das Geomar startet dazu jetzt ein neues Forschungsprojekt mit einem Budget von fünf Millionen Euro.

Haben Sie den Eindruck, dass Politik und Gesellschaft die Dringlichkeit des Handelns erkennen?

Matthes: Ich glaube, so langsam ist es angekommen. Aber es ist manchmal sehr frustrierend, wie lange diese Aushandlungsprozesse dauern. Die Rolle des Ozeans ist auch auf der politischen Agenda angekommen. Aber jetzt konkret ins Handeln zu kommen, und wirklich zum Beispiel in der Kieler Region eine Modellregion schaffen und zu gucken, wie der Transformationsprozess gelingen kann und das dann hochzuskalieren - das dauert.

Was wünschen Sie sich da?

Matthes: Mehr Mut. Mut der Gesellschaft, den Klimawandel als Chance zu begreifen. Wenn wir unser Energiesystem und unseren ganzen Lebenswandel umstellen, können wir auch wieder zu einer guten Beziehung zwischen Mensch und Meer kommen.  

Und was das Thema CO2 angeht?

Matthes:  Da wünsche ich mir eine wirkliche Abwägung dieser Optionen, die wir haben, um CO2 im Ozean zu verstauen, ganz platt gesagt. Es gibt noch sehr viele Fragezeichen und auch rechtliche Schwierigkeiten und da wünsche ich mir mutige Schritte und wirklich ein Abwägen und Ins-Handeln-kommen.

Frau Matthes, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Malin Giroloami, NDR Schleswig-Holstein.

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 15.06.2022 | 19:30 Uhr

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