Flüchtlingsunterkunft in Mehrzweckhalle: Kisdorfern fehlt Sporthalle

Stand: 19.04.2023 07:39 Uhr

Während 14 Geflüchtete seit über einem Jahr in der Mehrzweckhalle in Kisdorf ohne Privatspähre leben, haben die anderen Menschen aus Kisdorf seitdem keine Sporthalle mehr. Viele treten aus dem Sportverein aus.

von Ole ter Wey

Seit mehr als einem Jahr leben nun 14 Geflüchtete in Kisdorf (Kreis Segeberg) in einer Mehrzweckhalle. Hintergrund: Vor mehr als einem Jahr begann der Krieg in der Ukraine. Viele Menschen mussten fliehen, einige davon kamen auch nach Schleswig-Holstein: Rund 31.000 Menschen. Aus anderen Staaten nahm das nördlichste Bundesland weitere 8.000 Menschen auf.

Mehrzweckhalle umfunktioniert

Um die vielen Flüchtlinge unterbringen zu können wurde allen Kommunen ein Kontingent zugeteilt, auch Kisdorf. Die Gemeinde hat einige Geflüchtete in Mietwohnungen einquartieren können. Für alle war aber so schnell kein Platz. Deshalb wurde die kommunale Mehrzweckhalle "Ole Vogtei" umfunktioniert. Insgesamt können hier maximal 60 Personen untergebracht werden - als Übergangslösung, betont Bürgermeister Wolfgang Stolze (WKB).

Deckenlicht ist für alle an - oder aus

"Provisorisch ist das ja nach wie vor hier", sagt er. "Wenn man sich die einzelnen Kabinen für die Flüchtlinge anschaut: Die sind nur an den Seiten abgehängt und von oben ist alles offen. Man kann hier nicht von einem Ausbau der Halle sprechen, das ist wirklich nur vorübergehend." Im Moment leben hier 14 Geflüchtete, zeitweise waren es etwa doppelt so viele. Das sei sehr belastend, sagt einer der Bewohner. Privatsphäre gebe es keine, man höre jedes Wort. Und das Deckenlicht in der Halle ist entweder für alle an - oder für alle aus.

Stefan Schmidt, Flüchtlingsbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein, führt aus, dass eine solche Art der Unterbringung in einer Notlage für einen kurzen Zeitraum manchmal unumgänglich sei. Auf lange Sicht sei sie jedoch menschenunwürdig.

Sportangebote fallen aus

Unzufrieden sind in Kisdorf inzwischen auch immer mehr Anwohnerinnen und Anwohner. Und das nicht nur aus Empathie, sondern auch, weil sich die besetzte Mehrzweckhalle unmittelbar auf ihr Leben auswirkt. Die Mehrzweckhalle wird normalerweise für verschiedene Sportangebote genutzt - im Breitensport und im Sportunterricht der benachbarten Schule. Noch kann die nahegelegene "Kleine Halle" einiges auffangen, doch sie ist marode und wird im Sommer abgerissen. Immer wieder muss beispielsweise auch das Eltern-Kind-Turnen in der lokalen Kita stattfinden. Viele Trainingseinheiten im Handball, Basketball oder Badminton werden auf Turnhallen in benachbarten Gemeinden verlegt. Und weil die auch von anderen Vereinen genutzt werden, müssen immer mehr Sportangebote ersatzlos gestrichen werden, wie der Vorsitzende des Breitensportvereins Kisdorf, Bernd Schenkel, erklärt.

"In den letzten Wochen sind 20 Kinder ausgetreten"

720 Mitglieder hat der Verein, doch wegen der schwierigen Umstände mit der belegten Halle und den verlängerten Anfahrten beziehungsweise den ausgefallenen Trainingseinheiten nehme die Zahl der Mitglieder ab, so Schenkel. "In den letzten Wochen sind etwa 20 Kinder wieder ausgetreten", sagt er. Und sobald die "Kleine Halle" im Sommer abgerissen wird, "werden circa 60 weitere Kinder austreten und das Eltern-Kind-Turnen und das Kleinkindturnen ist nicht mehr", rechnet er vor. Die Forderungen nach einer anderen Unterbringung der Geflüchteten wird aus verschiedenen Richtungen lauter.

Teil-Haushaltssperre verbietet es, Wohncontainer anzuschaffen

"Wir als Gemeinde haben natürlich das Ziel, diese Unterkunft so schnell wie möglich wieder aufzulösen", bekräftigt Bürgermeister Wolfgang Stolze. Im Moment fehlten dafür aber schlicht die Mittel. Die Gemeinde verfügt seit mehr als zwei Jahren nur über einen vorläufigen Haushalt. Grund hierfür sind jahrelang ausgebliebene Jahresabschlüsse. Diese Teil-Haushaltssperre verbietet es jetzt der Gemeinde, Wohncontainer oder auch Festbauten anzuschaffen. Und obwohl es durchaus noch Leerstand in Kisdorf gibt, können die Geflüchteten dort nicht einziehen: Die Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer sind nicht bereit, die Wohnungen zu vermieten.

Als kurzfristige Lösung sieht die Gemeinde nun vor, Shuttlebusse einzurichten, um Schulsport in benachbarten Gemeinden zu ermöglichen. Und auch das Wetter soll helfen: Bei steigenden Temperaturen könne wieder vermehrt draußen Sport getrieben werden, so der Bürgermeister.

Situation in ganz Schleswig-Holstein

Im Rest des Landes sei die Situation aktuell weniger angespannt, sagt der Vorsitzende des Städtebundes Schleswig-Holstein, Hanno Krause. Die Überlegung, Geflüchtete in Übergangslösungen wie Turnhallen unterzubringen, sei keine Seltenheit. Das liege in erster Linie daran, dass viele Gemeinden schlicht nicht die wirtschaftlichen Ressourcen hätten, um adäquate und nachhaltige Unterbringungen zu bauen. "Und da der Bund für die Zuwanderung für Deutschland zuständig ist, erwarten wir als Städte und Gemeinden auch eine Durchfinanzierung, eine Vollfinanzierung der Unterbringung der Flüchtlinge in den Städten und Gemeinden", so Hanno Krause. Aktuell sieht er sich als Vertreter der Städte und Gemeinden des Landes vom Bund im Stich gelassen.

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 18.04.2023 | 19:30 Uhr

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