Ein Jahr Schwarz-Grün in SH: Von der Hochzeit in den Krisenmodus

Stand: 26.06.2023 15:49 Uhr

Eine Regierung in Krisenzeiten: Schwarz-Grün zieht nach einem Jahr eine positive Bilanz und schwört die Menschen im Land auf weitere Herausforderungen ein. Die Opposition vermisst Akzente.

von Constantin Gill

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So ausgelassen wie am Wahlabend ist die Stimmung inzwischen nicht mehr. "Es war eine herausfordernde Zeit", stellt Daniel Günther (CDU) nach einem Jahr Schwarz-Grün fest. Der Ministerpräsident sagt, 2017 sei man als Jamaika-Regierung noch "mit Elan in eine fröhliche Zeit" gestartet. Nun stattdessen "mit Elan in eine herausfordernde Zeit."

Günther: Alles wie geplant auf den Weg gebracht

Man habe sich sofort um die wichtigen Themen im Land gekümmert. Um die Dinge, "die notwendig waren." Als Beispiel nennt Günther etwa den Energiegipfel und Unterstützungsprogramme im Zuge des Krieges in der Ukraine. "Alles, was wir uns vorgenommen haben, haben wir auf den Weg gebracht", sagt Günther. Bei Lehrern und bei Polizei und Justiz habe man zusätzliche Stellen geschaffen, so Günther.

Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, und Monika Heinold (Grüne), Finanzministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, sitzen in einer Pressekonferenz im Landeshaus in Kiel. © picture alliance Foto: Marcus Brandt
In "herausfordernden" Zeiten unterwegs: Ministerpräsident Daniel Günther und Finanzministerin Monika Heinold.

Schleswig-Holstein sei das Land, das am schnellsten ein LNG-Terminal gebaut habe, um von der russischen Energieversorgung unabhängig zu werden. Man habe den schnellsten Zubau bei der Windkraft. "Also wir haben eine Rekordgeschwindigkeit und schaffen es aber gleichzeitig auch, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen."

Viel geschafft, findet Finanzministerin Heinold

Finanzministerin und Vize-Ministerpräsidentin Monika Heinold (Grüne) sieht das ähnlich, auch wenn das erste Jahr aufgrund der vielen Krisen "anstrengend" gewesen sei. Auf der anderen Seite sei es ein schönes Jahr gewesen, weil man in der Regierung "sehr gut, sehr konstruktiv und wirklich auch fröhlich" miteinander gearbeitet habe. "Und auch viel geschafft" habe, findet Heinold.

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NDR 1 Welle Nord Redakteur Stefan Böhnke. © NDR Foto: Janis Röhlig

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Karin Prien (l-r, CDU), Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Monika Heinold (Bündnis 90/Die Grünen), Finanzministerin von Schleswig-Holstein, und Aminata Touré (Bündnis 90/Die Grünen) unterschreiben den Koalitionsvertrag. © dpa-Bildfunk Foto: Frank Molter
Reif für die Unterschrift: Vertreter von Schwarz-Grün mit dem frisch ausgehandelten Koalitionsvertrag

Nach der Landtagswahl im Mai 2022 deutete erst vieles auf eine Fortsetzung von Jamaika hin. Zumal die Zustimmungswerte für diese Konstellation hoch waren - und Günther am Wahlabend auch angekündigt hatte, dass er mit Grünen und Liberalen nicht nur zusammen zu Ballermann-Hits tanzen, sondern auch regieren wolle. Doch nach einer langen Verhandlungsrunde in einem Kieler Hotel war die FDP raus. CDU und Grüne verhandelten alleine weiter, hielten ihren eng gesteckten Zeitplan ein. Ende Juni legten die Parteispitzen ihren Koalitionsvertrag vor.

Haushalt: Heinold sieht "riesige finanzielle Herausforderungen"

Bis 2040 soll Schleswig-Holstein das erste klimaneutrale Industrieland werden - dieses zentrale Ziel formulieren die Parteien in ihrem Vertrag. Planungsverfahren sollen beschleunigt, der Fachkräftemangel bekämpft werden. Vor allem aber werden die die Koalitionspartner mit Krisenbewältigung beschäftigt sein. Ob es nun um Gaspreise, Inflation oder Flüchtlinge geht. "Wir haben riesige Herausforderungen, auch finanziell", sagt Finanzministerin Heinold. Noch bevor das erste Jahr schwarz-grün vorbei ist, hat sie vorübergehend das Portemonnaie geschlossen: Wegen einbrechender Steuereinnahmen verhängte das Land eine Haushaltssperre. Eine Sparliste wurde erstellt.

Ein Politiker im Interview. © Constantin Gill Foto: Constantin Gill
Vermisst die Antworten auf die großen Fragen der Zeit: der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Losse-Müller.

Für 2024 erwartet Heinold einen "schwierigen Haushalt." Auch wegen zusätzlicher Belastungen durch den Bund. Deshalb sei es gut, dass die Koalition so "vertrauensvoll" und "pragmatisch" zusammenarbeite, sagt Heinold.

Losse-Müller: Unklar, was Günther den ganzen Tag macht

Die Opposition stellt den Regierungsparteien ein deutlich schlechteres Zeugnis aus. "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was Herr Günther eigentlich macht den ganzen Tag. Außer Fotos bei Instagram", sagt SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller. Er vermisst Antworten auf die "großen Fragen der Zeit." Etwa die Frage, wie man den Fachkräftemangel bekämpft, für mehr Wohnungen und niedrigere Mieten sorgt. Und die Regierung "reißt ihre eigenen Ziele beim Klimaschutz", sagt Losse-Müller.

Vor allem aber kritisiert er, dass Schwarz-Grün nicht dafür sorge, dass der Klimaschutz sozial gerecht ablaufe. "Dafür brauchen wir mehr Busse und Bahnen, dafür braucht es den Ausbau von Wärmenetzen, und die Regierung hat keinen Plan." Seit zehn Jahren sei das Energieministerium in grüner Hand - und es sei völlig unklar, wie die Klimaziele erreicht werden sollen.

Das liegt aus Losse-Müllers Sicht auch an der mangelnden Einigkeit der beiden Parteien. Denn einig, sagt der SPD-Mann, seien sich CDU und Grüne nur darin, "dass sie die Macht erhalten wollen."

SSW-Politiker Harms befürchtet "fünf verschenkte Jahre"

Ein Politiker im Interview. © Constantin Gill Foto: Constantin Gill
SSW-Fraktionschef Lars Harms bemängelt: Viele Prüfaufträge und fehlende klare Ansagen

Und so sucht die Opposition sich gerade bei Landtagsdebatten regelmäßig die Themen aus, die zwischen CDU und Grünen strittig sind. Die Migrationspolitik etwa. Oder der Autobahnbau. "Die sind sich nicht grün und auch nicht schwarz", sagt Lars Harms vom SSW. Für ihn hat ein Jahr schwarz-grün "Stillstand" bedeutet. Das Wohnraumschutzgesetz der Koalition sei viel zu spät gekommen. Ansonsten gebe es viele Prüfaufträge. Und keine klaren Ansagen in Krisenzeiten, meint Harms. "Wenn das so weitergeht, sind das fünf verschenkte Jahre."

Neues Bündnis schalten auf Angriff

In der Opposition scheint sich derweil schon fast eine zweite Koalition gebildet zu haben: Zwar ist man sich nicht bei allen Themen einig, doch häufig machen SPD, FDP und SSW bei Anträgen gemeinsame Sache. "Wir können gut miteinander", sagt Lars Harms. Manchmal sei man auch "gemeinsam entsetzt" über die Regierung, sagt SPD-Fraktionschef Losse-Müller.

FDP vermisst gemeinsame Vision und neue Impulse

Ein Politiker im Interview. © Constantin Gill Foto: Constantin Gill
Kein gutes Wort über die Ex-Koalitionspartner: FDP-Fraktionschef Christopher Vogt sieht viel Uneinigkeit.

Eine besondere Rolle hat in dieser Konstellation die FDP: Als ehemaliger Regierungspartner scheint sie Schwarz-Grün besonders genau auf die Finger zu schauen. "Erstaunt" ist Fraktionschef Christopher Vogt, wie schlecht Schwarz-Grün regiere. Als Beispiele nennt er die Grundsteuerreform oder die Haushaltssperre. Eine gemeinsame Vision gebe es nicht. Jamaika-Projekte würden zwar fortgeführt, "aber es kommen eigentlich keine neuen Impulse von dieser Landesregierung."

Den Plan vom ersten klimaneutralen Industrieland sei "mit keinerlei Maßnahmen hinterlegt, das ist eigentlich nur eine PR-Nummer", findet Vogt. Der Koalitionsvertrag sei ohnehin schon dünn, "und jetzt kommt noch dazu, dass man kein Geld mehr hat." Auch Vogt sieht viel Uneinigkeit zwischen CDU und Grünen. Auch bei Jamaika habe es zwar heftige Diskussionen gegeben. Aber: "Wir hatten einen guten Koalitionsvertrag."

Monika Heinold dagegen meint, dass die Unterschiede nicht stärker sind als in der Jamaika-Zeit. Man wisse um die unterschiedlichen "Herangehensweisen." Die Diskussionen innerhalb der Koalition nennt Heinold "befruchtend." Auch der Ministerpräsident bezeichnet die Unterschiede als Stärke.

Politikwissenschaftler findet manches "nicht nachvollziehbar"

Politikwissenschaftler Dr. Wilhelm Knelangen guckt in die Kamera. © Dr. Wilhelm Knelangen Foto: Katrin Mainka
Von der "Liebesheirat" ist wenig übrig, findet der Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen

Der Kieler Politikwissenschaftler Wilhelm Knelangen erinnert daran, dass bei schwarz-grün anfangs die Rede von einer "Liebesheirat" war. "Gemessen an den euphorischen Anfängen, dass CDU und Grüne sich über die Klimapolitik zusammenfinden können, davon ist nach einem Jahr wenig übrig geblieben." Die Rahmenbedingungen würden schwieriger. Und: "Ereignisse wie beispielsweise die Haushaltssperre waren für viele Menschen nicht nachvollziehbar", so Knelangen.

Ministerpräsident Günther verteidigt die Haushaltssperre. Dass es finanziell nicht leichter wird, weiß aber auch er. Bei der Aufstellung des nächsten Haushaltes werde es darum gehen, den sozialen Zusammenhalt zu stärken und Vereine und Verbände zu unterstützen. Genau in diesem Sinne werde man im Haushalt "alle Ausgaben überprüfen." Und wo wird der Gürtel dann enger geschnallt? "Das beantworten wir dann zu dem Zeitpunkt, wo unser Einsparkonzept steht", sagt Günther.

"Wir regeln eine ganze Menge"

Den Vorwurf des Stillstandes will der Ministerpräsident so nicht stehen lassen: "Wir regeln wirklich eine ganze Menge, um unser Land voran zu bringen", sagt Günther.

Ob die Koalition am Ende erfolgreich sein wird, hängt aus Günthers Sicht davon ab, ob "wir den Weg Schleswig-Holsteins zum ersten klimaneutralen Industrieland glaubhaft mit entsprechenden Maßnahmen flankiert haben." Und bei alledem soll der soziale Zusammenhalt nicht gefährdet werden. "Genau daran werden wir uns auch messen lassen", sagt Günther.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 26.06.2023 | 17:00 Uhr

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