Blick auf ein Gästehaus in Potsdam, in dem AfD-Politiker nach einem Bericht des Medienhauses Correctiv im November an einem Treffen teilgenommen haben sollen. © dpa-Bildfunk Foto: Jens Kalaene

Geheimtreffen mit Rechtsextremist: Auch AfD in MV sucht seine Nähe

Stand: 11.01.2024 14:45 Uhr

Die Berichte über Gespräche von Neonazis, Unternehmern und AfD-Funktionären feuern die Debatte um ein AfD-Verbot neu an. Die Fraktionen von SPD und Linke sehen Anlass zur Prüfung eines Verfahrens. Die AfD-Fraktion wiegelt ab und meint, an den Berichten sei nichts dran.

von Stefan Ludmann

Potsdam im vergangenen November: In einer edlen Villa treffen sich Neonazis, Unternehmer und AfD-Funktionäre. Es geht nach einem Bericht des Medienhauses "Correctiv" um eine Art Masterplan zur sogenannten "Remigration" - also zur Ausweisung und Rückführung von zugewanderten Menschen, offenbar auch solche, die längst einen deutschen Pass haben. Mit dabei war der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, früher an der Spitze der Identitären Bewegung (IB). Die IB ist ein Sammelbecken von Rechtsextremen, das vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Sellner gefragter Gesprächspartner

Führende Vertreter der AfD beteuern, aus dem Landesverband sei niemand in Potsdam dabei gewesen. Landeschef Leif-Erik Holm sagte auf Anfrage, er habe "keine Informationen zu diesem privaten Treffen". Der Rechtsextremist Sellner ist für die Parteispitze in Mecklenburg-Vorpommern allerdings kein Unbekannter, sondern ein gefragter Gesprächspartner und Berater. Erst im vergangenen Oktober - also kurz vor dem Treffen in Potsdam - trat er in einem Podcast mit AfD-Fraktionschef Nikolaus Kramer auf. Die beiden diskutierten ganz offen über einen Systemwechsel, einen "Regime-Change von rechts" und entwickelten Umsturzphantasien.

Weitere Informationen
AfD-Fraktionschef Nikolaus Kramer © dpa-Bildfunk Foto: Jens Büttner

AfD-Fraktionschef Kramer sucht Nähe zu Rechtsextremisten

In seinem Podcast applaudiert er dem Ex-Chef der Identitären Bewegung - und steht damit im Widerspruch zur offiziellen Haltung der AfD. mehr

Kramer teilt Sellners Meinung

Sellner meinte, die Rechten außerhalb der Parlamente und die AfD müssten "getrennt marschieren und vereint schlagen". Sein Feindbild ist die Bundesrepublik. Die deutsche Demokratie verunglimpfte Sellner als "Demokratie-Simulation", er wiederholte rechtsextreme Verschwörungserzählungen von einem "Bevölkerungsaustausch". Verbote rechtsextremer Gruppen nannte er "Repression", es brauche eine "echte demokratische Wende" und eine "echte Volksherrschaft". AfD Fraktionschef Kramer meinte, er habe dem nichts hinzuzufügen, "außer, dass ich jedes einzelne Wort unterschreiben könnte". Kramer erklärte in dem Podcast auch, Gewalt sei kein Mittel, "um unsere Ziele zu erreichen und bei einem Systemchange Erfolg zu haben."

AfD ein Fall für den Verfassungsschutz

Der AfD-Fraktionschef distanzierte sich nicht von seinen Äußerungen, erklärte aber, er stehe fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Es gilt als sicher, dass der Verfassungsschutz des Landes seine Aussagen mindestens registriert hat. Allerdings darf der Inlandsgeheimdienst über eine mögliche Einstufung der AfD als Verdachtsfall nicht öffentlich berichten - das untersagt das Verfassungsschutzgesetz. In Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt wird die Partei von den Landesämtern für Verfassungsschutz dagegen bereits als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft.

SPD: "Schrille Alarmzeichen für Gefährdung"

Nach Ansicht von SPD-Fraktionschef Julian Barlen rückt der AfD-Landesverband dieser Kategorie immer näher. Er spricht angesichts der Berichte über das Potsdamer Treffen von schrillen Alarmzeichen für eine Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch die AfD. Das Treffen in Potsdam sei dafür ein weiterer Beleg, auch dafür, dass die AfD strategisch ganz gezielt die Nähe zum Rechtsextremismus suche. Wer einen Systemwechsel anstrebe, so Barlen, der steht nicht auf dem Boden des Grundgesetzes, sondern habe ein Demokratie-Problem.

Kramer hat eigene Ansicht der "Remigration"

AfD-Fraktionschef Kramer hält den "Correctiv"-Bericht für an den Haaren herbeigezogen. Er meinte, die Ideen der "Remigration" - der Ausweisung und Abschiebung von Zugewanderten - verfechte seine Partei schon lange und ganz offen. Es gehe um eine "Umkehr der Migrationsströme und klare Kante gegen diejenigen, welche das Gastrecht missbrauchen." Sein Fraktionskollege Jan-Philipp Tadsen geht noch weiter und bringt eine "vereinfachte Ausbürgerung von Menschen, die trotz Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft eine echte Integration verweigern" ins Spiel. Das müsse beispielsweise für Personen gelten, "die nachweisbar in der Organisierten Kriminalität beheimatet sind". Ähnlich soll sich auch Rechtsextremist Sellner in Potsdam geäußert haben. Tadsen ist erst Anfang Dezember in den Landesvorstand der Jungen Alternative (JA) gewählt worden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Jugendorganisation als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft.

Noetzel: Menschenvertreibung zentrales Thema der AfD

Eine von Tadsen vorgeschlagene Ausbürgerung wäre grundgesetzwidrig. In Artikel 16 heißt es: "Keinem Deutschen darf die Staatsangehörigkeit entzogen werden". Diese Grundrechtsgarantie ist auch eine Reaktion auf das Ausbürgerungsunrecht der Nationalsozialisten gegen Juden und NS-Gegner. Für den Linksabgeordnete Michael Noetzel ist auch deshalb klar: "Die AfD arbeitet aktiv am autoritären Umbau des Staates." Die massenhafte Vertreibung von Menschen - "ob mit deutschem Pass oder ohne" - sei dabei ein elementarer Baustein. Ein Verbot der AfD müsse in letzter Konsequenz in Erwägung gezogen werden. Ähnlich hatte sich bereits in der vergangenen Woche sein SPD-Kollege Barlen geäußert.

Weitere Informationen
ARD-Verfassungsrechtsexperte Christoph Kehlbach vom SWR im Gespräch bei NDR MV Live am 17.01.2024 © Screenshot

Debatte um AfD-Verbot: Wie realistisch ist ein solches Verfahren?

"Die Hürden insgesamt sind relativ hoch", sagt ARD-Verfassungsrechtsexperte Christoph Kehlbach im Interview bei NDR MV Live. mehr

Die Abgeordneten im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern wählen im Plenarsaal ein neues Mitglied des Landesverfassungsgerichts. © dpa Foto: Jens Büttner

SPD-Landtagsfraktionschef: AfD-Verbot muss geprüft werden

Julian Barlen sieht "Demokratieprobleme" bei der AfD, weist aber auf hohe Hürden für ein Verbot hin. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 11.01.2024 | 12:00 Uhr

Mehr Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern

Urlauber gehen über den Strand an der Ostseeküste in Warnemünde. © dpa

Pfingsten in MV: Mühlen, Kunst und Urlauberandrang

Ob historische Mühlen oder Kunst in außergewöhnlicher Vielfalt. An Pfingsten gibt es in Mecklenburg-Vorpommern viel zu erleben. mehr

Die neue NDR MV App

Ein Smartphone zeigt die Startseite der neuen NDR MV App © NDR Foto: IMAGO. / Bihlmayerfotografie

Mecklenburg-Vorpommern immer dabei - die neue NDR MV App

Artikel, Podcasts, Livestreams: Die NDR MV App ist ganz neu: übersichtlich, kompakt, benutzerfreundlich, aktuell. mehr