Forscher hebt mit Lilienthal-Doppeldecker ab
Erstmals sind Flüge mit einem historisch korrekten Nachbau des ersten Doppeldeckers des in Anklam (Landkreis Vorpommern-Greifswald) geborenen Flugpioniers Otto Lilienthal (1848-1896) gelungen. Ein Team des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) führte die Flüge in Kalifornien durch und räumte damit letzte Zweifel an der Flugtauglichkeit des Lilienthal-Gleiters aus, wie der Leiter des Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik am DLR, Andreas Dillmann, am Mittwoch in Anklam mitteilte. "Man kann nur den Hut ziehen, er hat ein vollwertiges Flugzeug hergestellt", sagte Dillmann.
Lilienthal erlag 1896 Verletzungen nach Absturz
Der Flugenthusiast und Maschinenbauingenieur Lilienthal gilt als erster Mensch, der erfolgreich und wiederholbar Gleitflüge mit einem Flugzeug absolvierte. Er hatte seine Leidenschaft für das Fliegen mit dem Leben bezahlt: Am 9. August 1896 stürzte Lilienthal bei seinem letzten Flug vom Gollenberg nahe dem Ort Stölln im Havelland ab. Am Tag nach seinem Absturz erlag er seinen schweren Verletzungen. Nach aktuellen Forschungen war ein Pilotenfehler die Ursache. Lilienthal soll trotz ungeeigneter Witterungsbedingungen in die Lüfte aufgestiegen und dann abgestürzt sein.
Beweis der Flugfähigkeit stand noch aus
Bislang stand der Beweis der Flugfähigkeit von Lilienthals Konstruktion noch aus. Wissenschaftler waren laut Dillmann immer wieder mit der Frage konfrontiert worden, ob der Lilienthal tatsächlich geflogen sei, oder ob es sich bei den Berichten um Fake News und Fotomontagen handeln könnte. Doch im Juli gelang es dem DLR- Hubschrauber-Aerodynamik-Experten Markus Raffel filmisch dokumentierte Flüge mit dem Doppeldecker-Nachbau. Raffel war dafür eigens an die kalifornische Pazifikküste gereist. Dort herrschen direkt am Wasser konstant günstige Windbedingungen. Außerdem sind Flugversuche mit nicht zugelassenen Geräten in Deutschland verboten.
"Als hätte man selbst Flügel bekommen"
Die Flüge mit dem Nachbau aus authentischen Materialien wie Weidenruten, Baumwollgewebe, Hanfseilen und Stahldraht dauerten laut DLR meist zehn bis 14 Sekunden und waren durch die Brandung auf Distanzen von etwa 100 Metern begrenzt. Der Doppeldecker erreichte Höhen von drei bis vier Metern. Er sei vom ersten Flug an sehr gut steuerbar gewesen, sagte Raffel. "Man hat den Kopf zwischen den Flügeln, als hätte man selbst Flügel bekommen." Doch das Fliegen sei anstrengend, Lilienthal müsse sehr fit gewesen sein.
In Göttingen nachgebaut und getestet
Raffel baute bei seinem Experiment auf wissenschaftlichen Untersuchungen auf. Vor drei Jahren hatte das Göttinger DLR den Gleiter originalgetreu nachgebaut und im Windkanal ausgiebig getestet. "Die Tests im Windkanal haben offen gelassen, wie der Gleiter bei Start und Landung und bei Windböen reagiert", sagte Raffel. Das sei jetzt in der Praxis erprobt worden. Der Doppeldecker war im Museum Anklam aus authentischen Materialien nach erhaltenen Plänen des Flugpioniers gebaut worden.
Nachbau kehrt als Dauerleihgabe nach Anklam zurück
Nun ist der Nachbau als Dauerleihgabe wieder an das Anklamer Lilienthal-Museum übergeben worden. Museumsleiter Bernd Lukasch will ihn später im Ikareum in der einstigen Nikolaikirche zusammen mit den Filmdokumenten zeigen, denn ein erster Nachbau hängt bereits im Museum. "Aber zu diesem gibt es nun eine Geschichte", sagte er. Der Doppeldecker gilt zudem als erste Serienproduktion eines Flugzeugs: Lilienthal verkaufte ihn neun Mal.