Stand: 03.04.2019 17:16 Uhr

Polizei in Bremen: Eigene Videos statt Pressearbeit?

von Tim Kukral und Sabine Schaper
Blick in eine Halle mit etwa 2000 Cannabispflanzen, die von der Polizei beschlagnahmt wurden. © dpa
Die Polizei Bremen hat soziale Netzwerke genutzt, um die Öffentlichkeit über eine Razzia zu informieren. Vernachlässigte sie vorher ihre Auskunftspflicht gegenüber den Medien?

In den frühen Morgenstunden des 26. März ahnt Gerrit Schröder, dass da etwas Größeres läuft. Etwas, bei dem er und seine Mitarbeiter dabei sein sollten, um zu filmen. "Wir haben einen Anruf bekommen, von einem Anwohner hier um die Ecke in Delmenhorst: 'Hier laufen Vermummte rum!'", erzählt Schröder. "Wir haben dann vor Ort gesehen, dass da eine Razzia läuft."

Blaulichtreporter fahren zu einer Razzia

Warum es diesen Polizeieinsatz gibt, weiß Schröder zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er ist ein sogenannter "Blaulichtreporter". Er und seine Mitarbeiter der Firma "Nonstop News" sind mit der Kamera bei Unfällen, Bränden und Straftaten im Einsatz. Sie verkaufen ihr Bildmaterial an die Sender, da kein Kamerateam, egal ob von NDR oder RTL, Tag und Nacht verfügbar ist. Die Blaulichtreporter hingegen fahren auch spontan um 2 Uhr morgens zum Einsatz. Oder um 6 Uhr, wie am 26. März bei der Razzia in Delmenhorst.

"Nonstop News" möchte Details von Polizei - bekommt keine

Ab 8 Uhr ruft er immer wieder die Pressestelle der Polizei an, erzählt Schröder, um zu erfahren, worum es beim Einsatz genau geht. Die teile ihm lediglich mit, dass es sich um eine größer angelegte Maßnahme handle: Mehrere Objekte in Bremen und mehreren Städten Niedersachsens würden durchsucht, zuständig seien die Kollegen in Bremen. Um 9.10 Uhr setzt die Bremer Polizei einen Tweet mit ersten Informationen ab.

Beamte informieren Öffentlichkeit selbst über soziale Netzwerke

Darüber hinaus, so Schröder, sollen er und andere Reporter keine Informationen erhalten haben - bis kurz nach 13 Uhr. Dann geht es Schlag auf Schlag. Um 13.10 Uhr veröffentlicht die Polizei Bremen auf ihrer Facebook-Seite ein professionell produziertes, geschnittenes Video. Inklusive Interviewausschnitte, sogenannte O-Töne, vom Leiter des Bremer Landeskriminalamts, Daniel Heinke. Titel des Videos: "Erfolgreicher Schlag gegen Clankriminalität".

Um 13.15 folgt auf ihrer Internetseite eine öffentliche Pressemitteilung mit dem Titel: "Erfolgreicher Schlag gegen Organisierte Kriminalität".

Und wenige Minuten später folgt noch ein Tweet, der auf die Pressemitteilung hinweist und wesentliche Informationen daraus zusammenfasst.

Erst Polizei-PR, dann die Presse?

Schröder ärgert das. Er hat zum einen mögliche Einnahmen verloren, doch er sagt, es ginge ihm auch um "die Notwendigkeit, dass man auch kritische, schwierige Einsätze der Polizei vor Ort begleiten muss, um sich ein eigenes Bild zu machen, um sich nicht nur auf das zu verlassen, was die Polizei sagt". Den Deutschen Journalisten-Verband hat er dabei auf seiner Seite: "Eigentlich muss die Polizei zuerst die Anfragen der Journalisten bedienen, danach kann sie ihr eigenes Material erstellen", sagt Regine Suling vom DJV Bremen. Es liege der Eindruck nahe, dass in diesem Fall zuerst eigene Bilder und Videos produziert und verbreitet wurden, bevor auf Presseanfragen reagiert wurde. "Das ist sehr, sehr kritisch zu bewerten", so Suling.

Polizei weist Vorwurf der Pressebenachteiligung zurück

Die Polizei Bremen möchte nicht mit ZAPP vor der Kamera über diese Vorwürfe sprechen. Sie reagiert mit einem Statement: "Die Polizei Bremen nimmt die geäußerte Kritik ernst. Den Vorwurf, dass Presseanfragen zunächst nicht bedient wurden, weisen wir jedoch von uns. Allen Presse- und O-Tonanfragen wurde wie bei vergleichbaren Einsätzen, unabhängig von den eigenen Veröffentlichungen, nachgekommen. So wurden über den gesamten Tag O-Töne an diverse Rundfunk- und TV Medien am Polizeipräsidium gegeben."

Fall werde Polizei-intern geprüft

Tatsächlich haben der NDR und andere Medien später selbst Interviews mit dem Bremer LKA-Chef führen können. Auch den sogenannten "Blaulichtreportern" wie Schröder stand der für Interviews zur Verfügung. Aber, das betonen die Reporter: Eben erst nach der Veröffentlichung des Polizei-eigenen Videos. Zu dieser entscheidenden Frage möchte sich die Bremer Polizei auf Nachfrage von ZAPP nicht äußern, auch nicht zu weiteren Fragen: Der Vorgang werde gerade intern geprüft.

Machart des Videos ähnelt denen von Journalisten

ZAPP hätte die Polizei auch gern zur Machart des 45-sekündigen Clip befragt. Denn auch der ist in den Augen der Bremer DJV-Vorsitzenden Suling problematisch, wegen seiner Ähnlichkeit zu journalistischen Web-Videos: "Der Nutzer kann nicht mehr wirklich unterscheiden, ob das von Journalisten gemacht ist oder nicht." Das sieht Christiane Germann anders. Sie berät Behörden in Sachen Social Media. In ihren Augen ist das aktuelle Bremer Polizeivideo ein gutes Beispiel für moderne Öffentlichkeitsarbeit: "Das ist ein Beitrag, der ein modernes Medium bedient. Dass jemand in eine Kamera spricht, ist ja nicht dem Journalismus allein vorbehalten."

Polizei lädt ein zu einem "konstruktiven Austausch"

Germann teilt den Vorwurf nicht, die Polizei kopiere hier die Arbeit eines journalistischen Mediums: "Also wenn sie jetzt ein Fake-Tagesschau-Logo in der Ecke hätten - aber das haben sie nicht, sondern es ist ein Polizei-Logo. Es ist ein Polizist, der in ein Mikrofon spricht. Das ist meiner Meinung nach kein Nachspielen von Journalismus." Wichtig sei dennoch, dass Behörden die reguläre Pressearbeit nicht vernachlässigten. Die Polizei Bremen hat nun nach eigenen Angaben zwei der "beschwerdeführenden Agenturen" zu einem "konstruktiven Austausch" eingeladen. Gerrit Schröder hat eine solche Einladung allerdings noch nicht erhalten.

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ZAPP | 03.04.2019 | 23:20 Uhr