Sendedatum: 07.06.2020 19:30 Uhr

Zeitreise: Zwischen Kriegsende und Neubeginn

von Sofia Tchernomordik

Im Mai 1945 leben sie nur wenige Kilometer voneinander entfernt: die Brüder Erik und Sven Herfurth in Scharbeutz und die acht Jahre alte Ursula Brede in Haffkrug. Doch unterschiedlicher könnten ihre Erinnerungen an diese Zeit der britischen Besatzung nicht sein. Die Brüder Erik und Sven Herfurth sind acht und zehn Jahre alt, als der Krieg zu Ende geht. Sie sind gebürtige Hamburger. Mit ihrer englischen Mutter Eunice sind sie 1943 vor der Bombardierung an die Ostseeküste geflohen.

Heute, 75 Jahre später, erinnert sich Sven Herfurth, wie erstaunt er und sein Bruder waren, als die Anhänger Hitlers scheinbar über Nacht ihre Gesinnung änderten: "Man hat natürlich mitgekriegt, wie jetzt plötzlich all die kleinen Nazis (...) gegen Hitler waren, ihre Uniformen und Waffen versteckt und verbrannt haben. Und wie froh sie waren, als die Engländer kamen, während sie kurz vorher noch auf den Endsieg gehofft hatten."

Tauschgeschäft: Eine Fliegerkappe für einen Liedtext

Die Geschwister Erik und Sven Herfurth.
Die Brüder Herfurth erinnern sich an die britische Besatzung.

Sven Herfurth erinnert sich, wie er einmal seine kleine Schwester Sylvia in einen Bollerwagen gesetzt hat, um eine Musikerin der britischen Militärkapelle zu beeindrucken. "Mary stand an der Pauke, sie war begeistert von meiner kleinen Schwester, die 'Schnucki' genannt wurde. Das brachte uns eine Menge Schokolade und Cupcakes", erzählt er. Und es gab auch lohnende Tauschgeschäfte: "Wir konnten schon am Kriegsende ganz gut Englisch - das hat die Engländer beeindruckt, dass Kinder so gut Englisch konnten. Ich wurde von einem englischen Soldaten, mit dem ich mich angefreundet hatte, aufgefordert, ihm den Text des Liedes 'Lilly Marleen' zu besorgen. Dann bin ich nach Hause gegangen. Meine Mutter kannte den Text, hat ihn mir aufgeschrieben und dafür habe ich eine Fliegerkappe eingetauscht - eine deutsche Fliegerkappe mit Lammfell und Kopfhörern. Das war im Winter so meine Rettung. Ich hatte nie kalte Ohren."

Vieles verändert sich mit dem Einmarsch der Briten

Die Brüder Herfurth erleben, wie sich mit dem Einmarsch der Engländer an der Ostsee vieles ändert. So dürfen sie große Teile des Strandes nicht mehr betreten: Das ist jetzt englische Zone. Aus dem Kurhotel in Scharbeutz wird das Palm-Beach Hotel an der Promenade. Weitere Hotels und Häuser werden beschlagnahmt. Das sorgt für Unmut in der Bevölkerung. Und die Engländer haben ein weiteres Problem: Es gibt mehrere Tausend KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter aus 17 Nationen, die alle Wohnraum brauchen. Mitte Mai 1945 räumen die Engländer in einer Nacht-und-Nebel-Aktion für diese zwei ganze Dörfer: Sierksdorf und Haffkrug. Die Einheimischen müssen ihre Häuser verlassen.

Eine neue Zeit beginnt mit der Besatzung

Ursula Brede.
Ursula Brede wurde 1945 von Haffkrug nach Süsel umgesiedelt - ohne ihre Mutter.

In Haffkrug lebt damals die acht Jahre alte Ursula Brede mit ihrer Familie. Ihre Mutter hat einen kleinen Laden und muss daher im Dorf bleiben, während ihre kleine Tochter nach Süsel umgesiedelt wird. An ihrem achten Geburtstag läuft sie weg - zurück zu ihrer Mutter. "Ich kam zu der ersten Sperre in der Bahnhofstraße, da hab ich mich durchgeschummelt, dann kam ich zum Ellerkrug, einem Wäldchen, das heute nicht mehr da ist. Ich wusste als Kind, dass ich da hindurch zu meiner Mutter in den Laden kommen kann", erinnert sie sich an diese schwere Zeit.

Für die Herfurth-Brüder und Ursula Brede beginnt mit der englischen Besatzung eine neue Zeit. Ende der 40er-Jahre schlagen auch wieder Urlauber an der Ostseeküste ihre Zelte auf. Die Engländer bleiben neun Jahre, das Verhältnis zu den Einheimischen ist weiterhin gespalten. Es gibt Ablehnung, Neid, Zusammenarbeit, aber auch Demokratie. Auch heute leben die drei an der Ostseeküste, nur wenige Kilometer auseinander. Doch in ihren Erinnerungen sind sie meilenweit voneinander entfernt.

Ausstellung zum Kriegsende in Scharbeutz

Augenzeugenberichte aus dieser Zeit, Fotos und eine große Ansammlung von Erinnerungsstücken präsentiert jetzt das Museum für Regionalgeschichte der Gemeinde Scharbeutz in Pönitz in einer Sonderausstellung “1945 - Kriegsende und Neubeginn. Die Lübecker Bucht vor 75 Jahren“. Das Thema: Die Besatzung Ostholsteins durch die britische Armee.

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