Die Wartung findet jedes Jahr im Sommer statt. Geprüft werden das Sicherheitssystem, die Stromversorgung und Ventile. Auch der Brand- und Gasschutz wird überprüft und die Software wird aktualisiert. Nord Stream 1 ist seit 2011 in Betrieb, deshalb müssen in diesem Jahr auch die Turbinen gewartet werden. In der Pipeline gibt es fünf Turbinen, sie sitzen in der Kompressorstation in Portovaya (Russland). Jede Turbine schiebt 20 Prozent des Gases durch die Leitung. Zwei Turbinen wurden ausgebaut und zur Überholung nach Kanada geschickt, eine weitere wurde abgeschaltet. Aus diesem Grund kamen zuletzt nur noch 40 Prozent der Gasmengen in Deutschland an, so begründet es zumindest Russland. Die Bundesnetzagentur hält die Drosselung für technisch nicht begründet, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sogar für vorgeschoben. Inzwischen hat Kanada angekündigt, die erste Turbine zurückschicken zu wollen.
Bis zum 21. Juli - also für zehn Tage - soll kein Gas mehr fließen. Entsprechende Arbeiten dauerten laut Betreiber in den vergangenen Jahren zwischen 10 und 14 Tagen. Sie wichen dabei aber auch teilweise von der angesetzten Frist ab. In Modellrechnungen geht die Bundesnetzagentur von bis zu 14 Tagen aus, hat dabei allerdings schon einen zeitlichen Puffer eingerechnet. Die Arbeiten sollten unter normalen Umständen im geplanten Zeitraum fertiggestellt werden können, hieß es von der Behörde.
Derzeit weiß niemand, ob Russland dann wieder Gas liefern wird und wenn ja, in welchem Umfang. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, befürchtet einen Totalausfall der Gaslieferungen. Dann könnten die Gasspeicher nicht wie vorgesehen für den Winter befüllt werden. Gerade haben diese einen Speicherstand von knapp über 60 Prozent. Experten sind sich einig, dass dies nicht reichen würde, um einen erhöhten Bedarf im Winter zu decken und die Gasspeicher wahrscheinlich spätestens im Januar leer sein könnten. Sollte es zu einem Lieferstopp kommen, könnte die Bundesregierung die dritte und höchste Stufe des Gas-Notfallplans ausrufen, die "Notfallstufe". Die Bundesnetzagentur würde dann die Gasverteilung regeln.
Ein andauernder Lieferstopp würde die Preise wohl weiter steigen lassen und zu heftigen Abstürzen an den Finanzmärkten führen. Wirtschaftsexperten sehen Verluste von mehr als 200 Milliarden Euro auf deutsche Unternehmen zukommen. Die Wirtschaftsleistung könnte dadurch zwischen sechs und zwölf Prozent sinken. Es könnte also zu einer Rezession kommen. Die Mehrheit der deutschen Unternehmen ist vom Gas abhängig und dort müsste die Produktion dann gedrosselt oder ganz eingestellt werden.
Besonders betroffen wäre die Chemiebranche, sie ist mit 15 Prozent der größte Gasverbraucher in Deutschland. Sollten in einer Gasnotlage Industriebetriebe von der Gasversorgung getrennt werden, entscheidet die Bundesnetzagentur, welche Betriebe als systemrelevant eingestuft werden. Die Lebensmittel- und Pharmabranche hätte dann Vorrang vor Schwimmbädern oder Produzenten von Schokoladenkeksen, so Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Außerdem seien Privathaushalte, Krankenhäuser und Pflegeheime besonders geschützt.
Deutschland will unabhängig vom russischen Gas werden. Deshalb sind zwei Flüssiggas-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel in Planung. Ziel ist es, dort bereits Ende 2022 Flüssiggas anlanden zu können. Weitere Standorte sind im Gespräch - unter anderem auch Hamburg, Rostock und Lubmin. Doch auch LNG und LNG-Tanker sind bereits Mangelware. Deswegen gehen auch dort die Preise in die Höhe. Ganz ohne Gas wird Deutschland aber nicht dastehen, denn auch von Norwegen und den Niederlanden kommen Lieferungen, allerdings reichen die nicht aus. Kohlekraftwerke wieder einzusetzen, bringt erst mal keine schnelle Hilfe. Dennoch sollen einige einsatzbereit gehalten werden, damit sie im Notfall schnell hochgefahren werden können.
Privathaushalte und die Industrie sind aufgerufen, deutlich weniger Gas zu verbrauchen. Zusätzlich gibt es Vorschläge, dass es warmes Wasser nur noch zu bestimmten Tageszeiten geben oder die Heiztemperatur gedrosselt werden soll. Der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, schlug vor, Wärmeräume einzurichten, wo sich insbesondere ältere Menschen im Winter aufhalten könnten. Überlegungen und Planungen zu solchen Wärmeinseln gibt es schon in einigen Städten.