Stand: 27.11.2018 14:29 Uhr

Wie Kollegen aus aller Welt zusammenarbeiten

von Lena Petersen

Viele Handwerksbetriebe im Norden bilden Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund aus. Doch das bringt hier und da auch zwischenmenschliche Konflikte mit sich. Damit diese besser gelöst werden können, setzt das Bundeswirtschaftsministerium auf soziale und interkulturelle Kompetenz. Mit rund 3,7 Millionen Euro fördert das Ministerium 45 Modellprojekte in ganz Deutschland. Eines davon läuft in Hamburg.

Auszubildender Karim Fattahi steht auf dem Dach eines Hauses in Hamburg.
Karim Fattahi ist aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet.

Karim Fattahi steht ganz oben auf einem Mehrfamilienhaus in Hamburg. Zusammen mit zwei Kollegen repariert der Auszubildende im ersten Lehrjahr ein Dach. Der studierte Buchhalter wurde im Iran politisch verfolgt und ist geflüchtet. Seit drei Jahren lebt er in Hamburg. Beim Familienbetrieb Stahmer hat er eine Lehre als Anlagenmechaniker angefangen. Die Firma ist auf Bäder und Dächer spezialisiert. "Ich bin mit meiner Firma total zufrieden, weil meine Kollegen und mein Chef nett sind", sagt Karim Fattahi. Er wolle seine Ausbildung mit großem Einsatz absolvieren.

Alle müssen sich an Regeln halten

Geschäftsführer Torsten Stahmer will allen Azubis eine Chance geben - unabhängig von der Herkunft. Das heißt auch, alle müssen sich an Regeln wie Pünktlichkeit oder einen respektvollen Umgang halten. Und: Wer sein Handwerk gut lernt, soll bleiben. "Das ist das Ziel: Langfristigkeit. Auszubildende kosten erstmal Geld", sagt Stahmer. "Es rechnet sich für mich nur, wenn ich am Ende fertige Gesellen habe, die ich auch hier im Betrieb halten kann. Wenn die dann fertig sind, aber woanders hingehen, hab ich davon auch nichts."

Auf Gebetszeiten von Muslimen achten

In Deutschland hat 2016 ein Viertel aller Azubis die Lehre abgebrochen. Deshalb müssen die Betriebe attraktiv bleiben. Dazu gehört auch, mit unterschiedlichen Sichtweisen der Mitarbeiter zurechtzukommen. Zum Beispiel mit Aufgaben, die wichtig sind, Auszubildende aber langweilig finden. Oder mit Gebetszeiten von muslimischen Kollegen. In Hamburg kann in solchen Situationen das Institut für konstruktive Konfliktaustragung & Mediation (IKM) helfen. Für das Modellprojekt "Gemeinsam im Betrieb. Nur wer die Spielregeln kennt, kann auch gewinnen" kommt Projektleiterin Nadine Wiese mit Kollegen bei der Firma Stahmer vorbei.

"Konflikte können auch positiv sein"

Mehrere Mitarbeiter einer Firma stehen und sitzen zusammen in einem Raum. © NDR Foto: Lena Petersen
Im Seminar lernen die Mitarbeiter, Konflikte friedlich auszutragen.

Als Seminarraum dient ein Lager. Vor Regalen voller Aktenordner und Arbeitskleidung sitzen neun Mitarbeiter in einer Runde. Vom Azubi über die Büroangestellte bis zum Meister. Schon allein durch diesen Mix treffen aus Sicht von Bildungsreferentin Wiese unterschiedliche Kulturen aufeinander. "Dadurch entsteht natürlich auch Reibung. Wir wollen diese Reibung aufdecken und durchleuchten", sagt Wiese. "Konflikte, die dabei entstehen, betrachten wir grundsätzlich als positiv. Wir wollen das Miteinander, wie man friedlich Konflikte austrägt, stärken."

Eigene Vorurteile aufspüren

Das geschieht zum Beispiel durch Rollenspiele. Bei einer anderen Übung zeigt Nadine Wiese den Mitarbeitern Bilder. Etwa von einer alten Frau und einem alten Mann auf einer Bank. Einer sieht ein glückliches Ehepaar, ein anderer ein Geschwisterpaar. Der Projektleiterin geht es darum, die eigene Wahrnehmung auch mal zu hinterfragen. Die Gruppe spricht über Vorurteile wie: "Frauen können nicht Auto fahren" oder "Handwerker sind Betrüger". Viel Kopfschütteln. Es wird rege diskutiert. Hier geht es darum, der eigenen Voreingenommenheit auf den Zahn zu fühlen. "Wie entstehen Vorurteile? Wie entsteht Diskriminierung? Und wie entsteht Rassismus, Sexismus?"

Mehrere Mitarbeiter einer Firma stehen und sitzen zusammen in einem Raum. © NDR Foto: Lena Petersen
AUDIO: Interkulturelles Training im Handwerksbetrieb (5 Min)

Perspektive von anderen einnehmen

Jeremy Marten, Geselle bei der Firma Stahmer, hat viel gelernt, sagt er. Vor allem: geduldig zu bleiben. Auch mal die Perspektive des Auszubildenden einzunehmen. Die ganze Branche kann seiner Meinung nach so ein Training gut vertragen. Vorurteile gegenüber Geflüchteten oder Menschen mit Migrationshintergrund könnten so aus dem Weg geräumt werden. "Im Handwerk gibt es vielleicht gerade bei der älteren Generation schon einige Vorurteile. Und wenn man in so einem Seminar lernt, wie man damit umgeht, würde das auf jeden Fall besser klappen."

Projekt hat positiven Effekt

In den kommenden Monaten soll für alle Betriebe Lehrmaterial entstehen. Schon jetzt trainiert das IKM-Team um Nadine Wiese auch in einer Berufsschule mit Schülern und Lehrern die soziale Kompetenz. Der Auszubildende Karim Fattahi spürt den positiven Effekt. Zum Beispiel wenn die Mitschüler die Lautstärke drosseln, weil er Schwierigkeiten hat, alles zu verstehen. "Ich würde sagen: Ja, das hilft."

Weitere Informationen
Illustration: Zwei Hände umfassen eine Glühbirne © NDR

NDR Info Perspektiven: Auf der Suche nach Lösungen

In der Reihe NDR Info Perspektiven beschäftigen wir uns mit Lösungsansätzen für die großen Herausforderungen unserer Zeit. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 27.11.2018 | 07:50 Uhr

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