Pro-Israelische Gegendemonstranten halten ein Transparent mit der Aufschrift "Das Problem heißt: Antisemitismus". © picture alliance/dpa Foto: Christoph Reichwein

Kolumne: "Israel und der Terror"

Stand: 29.10.2023 07:30 Uhr

Seit dem Angriff der Hamas auf Israel wurden mehr als 200 antisemitische Fälle in Deutschland registriert. Der Brandanschlag auf eine jüdische Gemeinde ist nur ein Beispiel. Viele Juden fühlen sich unsicher.

von Pastor Jan Dieckmann

Es gab Fischteiche, eine Putenmast und eine kleine Fabrik, in der aus Pappelholz Eisstiele hergestellt wurden. Damals im Kibbuz Gonen im Norden Israels, ganz in der Nähe der heute so bedrängten Stadt Kirjat Schmona. Ich war 19 Jahre alt, als ich dort 1977 für einige Wochen einen Freiwilligendienst leistete. Highlight des Tages waren nach der Arbeit die fröhlichen Abendessen im großen Speisesaal des Kibbuz.

Eines Abends während des Essens ergriff ein Kibbuznik das Mikrofon und rief alle im Saal auf, sich zu einer Schweigeminute für die Opfer der Shoah zu erheben. Mir stockte der Atem. In dem Moment, als sich völlige Stille über den sonst so quirligen Speisesaal legte, wünschte ich mir nur eins: dass sich die Erde unter mir auftun möge, um mich zu verschlucken. Da stand ich nun als Nachkomme der Täter einsam und beschämt inmitten der Nachkommen der Opfer. Das erste Mal in meinem Leben spürte ich die bleischwere Last meiner Geburt.

Der Holocaust bleibt eine moralische Verantwortung

Das Jahrhundertverbrechen des Holocaust hat meine Generation enorm geprägt. Und es ist und bleibt für mich eine moralische und christliche Verantwortung bis heute. Es geht hier nicht um Kollektivschuld. Doch auf den Schultern der Nachgeborenen liegt nun einmal die Verantwortung für die Erinnerung, die uns sensibilisieren sollte für jede Art von Antisemitismus - und für das Schicksal aller Menschen, die verfolgt werden, sei es aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens.

"Der Antisemitismus in Deutschland war nie wirklich weg"

Jan Dieckmann © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka
Pastor Jan Dieckmann erschreckt der zunehmende Antisemitismus in Deutschland.

Mich erschreckt zutiefst, wenn ich sehe, dass Menschen auf unseren Straßen wieder judenfeindliche Parolen rufen. Dass Synagogen angegriffen und jüdische Geschäfte und Wohnhäuser mit einem Davidstern gekennzeichnet werden. Der Antisemitismus in Deutschland war nie wirklich weg, aber derzeit zeigt er sich neu und unverhohlen. Es ist beschämend.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Bei dem Terroranschlag in Israel wurden wieder Juden grausam ermordet, nur weil sie Juden waren. Es stimmt heute vielleicht so sehr wie noch nie nach 1945: nie wieder ist jetzt.

Kreuz, Herz oder Anker? So heißt die Kolumne der Kirche im NDR. Regelmäßig vergeben die Radiopastoren und Redakteure ein Kreuz für Glauben, ein Herz für die Liebe oder einen Anker für das, was hoffen lässt.

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | 29.10.2023 | 07:30 Uhr

Ein Herz, Kreuz und Anker aus Silber vor blauem Hintergrund © Kirche im NDR Foto: Christine Raczka

Kreuz - Herz - Anker

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