Sendedatum: 24.11.2010 23:15 Uhr

Finanzjournalisten in der Grauzone

von Jasmin Klofta, Anne Ruprecht

Es ist ein Riesenbetrug, möglicherweise der größte im deutschen Aktienhandel. Und Journalisten stecken mittendrin. Mehr noch, sie zogen die Strippen, sollen Millionen Euro ergaunert und Zigtausende Leser arglistig getäuscht haben. Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft, jetzt kommen immer mehr Fakten ans Licht. Nicht nur Einzelne, ganze Redaktionen sollen mitgemacht oder wenigstens weggeschaut haben. Zapp über Journalisten unter Verdacht.

 

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Sie sollen Teil eines geheimen Netzwerkes gewesen sein, mit ihren Berichten sollen Journalisten gezielt Aktienkurse manipuliert haben. Kühl und berechnend gingen sie vor, zulasten der Leser, wie nun veröffentlichte E-Mails zeigen: "Unsere Leser sind gar nicht in der Lage, Geld zu verdienen...." - "...Von 10 Empfehlungen haben sich 9 nach hinten entwickelt..." - "...Diese Liste lässt sich unendlich fortsetzen, es war alles der schnelle Deal!"

Roland Tichy, Chefredakteur der Wirtschaftswoche, meint: "Das Interesse ist nicht, den Leser reich zu machen, sondern der Leser wird nur hineingejagt in ein Geschäft, an dem er nur verlieren kann. Der Einzige, der dann daran verdient, ist dann derjenige, der diese Idee ausgesprochen und formuliert hat."
Christoph Pauly, Redakteur des Spiegels sagt: "Man betrachtet die Leser sehr, sehr zynisch, als pure Opfer für Machenschaften, die im Hintergrund ablaufen."

Jetzt aber ist die Justiz den möglichen Machenschaften auf der Spur. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen Marktmanipulation und Insiderhandels gegen 31 Beschuldigte. Die meisten davon sind Börsenbriefschreiber und Journalisten. Es soll um Millionengeschäfte gehen. Mutmaßlicher Drahtzieher des Münchner Netzwerkes: der ehemalige Aktionärsschützer Tobias Bosler. In E-Mails schärft er der Truppe ein: "Ziel ist eine kontinuierliche Berichterstattung zu dieser Traumaktie aufzubauen. (...) Denkt dran: Das Teil kann locker über 10 US-Dollar gehen, wir müssen da alle nur an einem Strang ziehen." (Quelle: Der Spiegel)

Aktienempfehlungen

Es geht um Aktien wie die von Petrohunter Energy. Die zweifelhafte Erfolgsstory: Quasi über Nacht soll die Firma vom Mineralwasserlieferanten für Büros zum aussichtsreichen Öl- und Gasförderer geworden sein. Ein bis dahin unbekanntes Unternehmen, das nun ganz groß rausgebracht werden soll. Mit Hilfe der Medien. Der freie Wirtschaftsjournalist Manfred Gburek erklärt: "Und dann muss es natürlich noch ein paar Börsenbriefe, Zeitschriften und andere geben, die oben sagen, also Kinders, das ist eine ganz, ganz heiße Aktie, kauft, kauft, kauft, während die Insider verkaufen. So geht das Spiel ab."

War es auch hier so? Auffällig viele Börsenbriefe bejubeln die Aktie, die sei wie ein "6er im Lotto" (Small Cap Scout ) und sie empfehlen: "Kaufen" (International Stock Picker). Und sogar beim Münchner Anlegermagazin Focus Money war Petrohunter ein heißer Tipp: Die Aktie der "Hotstock" der Woche. Dort beschwört ein Focus-Money-Journalist das "neue Gasfieber" (8.2.2006). Die Aktie ist für Insider aus dem Netzwerk, die schon vor den Jubelberichten investiert haben und rechtzeitig wieder ausstiegen, ein Riesengeschäft. Direkt nach dem Börsengang stürzte die Aktie ab, ist schließlich nur noch Cent-Beträge wert. Nach diesem Muster soll das Netzwerk Aktienkurse von rund 20 Unternehmen manipuliert haben.

Pauly: "Das war natürlich schon ein schwerer Schock eigentlich für mich als Wirtschaftsjournalist, weil diese Börsenbriefe, da hat man immer so ein bisschen einen Verdacht, das kann eigentlich nicht mit rechten Dingen zugehen. Allerdings bei einem Geldanlagemagazin, was doch ein gewisses Renommee hat, hätte ich nicht gedacht, dass es so einfach möglich ist."

Focus-Journalisten im Zwielicht

War es so einfach möglich? Die Focus-Gruppe hat sich unter Chefredakteur Helmut Markwort mit ganz anderen Ansprüchen präsentiert. Im Focus-Werbespot sagt Markwort: "Fakten, Fakten, Fakten und an die Leser denken". Doch ob auch bei den Anlegertipps immer an die Leser gedacht wurde? Zweifelhaft. Schon im Jahr 2000 gerieten einzelne Focus-Journalisten "ins Zwielicht". Unter der Überschrift "Aktien, Aktien, Aktien" (Der Spiegel, Nr. 23, 2000) enthüllte der Spiegel merkwürdige Praktiken rund um einen ehemaligen Focus-Geldanlage-Redakteur. Er soll wiederholt Aktien im Focus euphorisch bejubelt haben, an denen er selbst durch seine Firmen beteiligt war. Der Anlage-Redakteur bestritt damals einen Interessenkonflikt.

Pauly: "Er hat nur immer betont, dass das natürlich völlig unabhängig voneinander ist, das was er in Focus schreibt und was seine eigenen Anlagen angeht. Nur es gab halt eine sehr starke Koinzidenz von den Aktientipps in Focus und von den eigenen Anlagen. Er ist zu einem vielfachen Millionär geworden."

Zockermentalität

Tichy: "Im Zuge der New Economy ist so ein Gefühl entstanden, so eine Art Zockermentalität. Und zwar sind da auch Journalisten, die bis dahin durchaus ehrenwerte Reporter waren, sind angesteckt worden von der Möglichkeit, durch ein paar Deals, durch ein paar Geschäfte innerhalb einer Woche mehr zu verdienen, als ein normaler Redakteur vielleicht in seinem ganzen Berufsleben. Und das hat wie eine Ansteckung, wie eine Seuche gewirkt."

Und wie diese Seuche während des New-Economy-Fiebers um sich griff, zeigt auch das Beispiel des "Börsengurus" Egbert Prior. Im Fernsehen hatte er seine große Bühne. Im 3sat-Börsenspiel empfahl er Aktien, mit denen er sich vorher eingedeckt hatte. Der Fall kam später vor Gericht. Doch bestraft wurde Prior nicht.

Gburek: "Wenn ich die Begründung für die Nicht-Verurteilung lese, kann ich wirklich nur, nee, nee, dann kann ich nicht nur schmunzeln, dann muss ich lachen, weil die Begründung hieß, er hat ja vorher nicht gewusst, dass er diese oder jene Aktie in der 3sat-Börse empfehlen will, also hat er auch die Kurse nicht manipuliert." Eine Entscheidung mit fataler Signalwirkung. Der zweifelhafte Börsenguru Egbert Prior konnte sich am Ende als strahlender Gewinner präsentieren: "Ja, Ich bin dadurch noch viel berühmter geworden, als ich vorher schon war."

Einen leichtfertigen Umgang mit grauen Geschäften gab es auch beim Focus. So plauderte Focus-Chefredakteur Helmut Markwort 1996 im Editorial ungeniert: "Nachdem wir das Titelthema über Aktien diskutiert haben, werden mehrere Teilnehmer der Redaktionskonferenz beobachtet, wie sie eilig ihre Bank anrufen." Das "Vertrauen" in die Anlage-Kollegen sei "beträchtlich" Nicht zuletzt "weil sie ganz einfach wohlhabend wirken" (Focus, 18.11.1996).

Doch diese "wohlhabenden" Focus-Redakteure gerieten in die Kritik. Der erste Chefredakteur von Focus Money tritt kurz nachdem das Anleger-Magazin auf den Markt kam, schon wieder zurück. In seinem Heft tauchten Aktienempfehlungen von Unternehmen auf, zu denen er gute Kontakte hatte. Bei einem saß er im Aufsichtsrat, für weitere Aktien machte seine Frau die PR. 2006 musste ein weiterer Redakteur gehen. Er hatte Focus die Aktie des dubiosen Goldminenkonzerns De Beira empfohlen. Und parallel dazu auch in seinem Börsenbrief. Hat der Journalist daran verdient? Die Bafin ermittelt bis heute wegen Marktmanipulation und Insiderhandel.

Über jeden Verdacht erhaben

Im aktuellen Fall der Staatsanwaltschaft München soll der Focus-Money-Journalist über Jahre mitgemischt und Aktien hochgejubelt haben. Spätestens 2008 hätte die Chefredaktion einschreiten können und müssen. Damals befragten zwei Handelsblatt-Journalisten den Focus-Money-Chefredakteur zu merkwürdigen Aktientipps und auffälligen Investitionen. In München wiegelte man ab. Man könne sich die Parallelitäten nicht erklären. Der Focus Money-Mitarbeiter durfte weiter für das Blatt schreiben - bis vor kurzem. Erklärungen für Zapp gibt es weder von Focus noch von Focus-Money.

Tichy: "Wissen Sie, in München gibt es eine Figur des Monaco Franze. Eine berühmte Fernsehsendung. Und der Monaco Franze, so eine halbseidene Figur, der sagte, 'a bissl was geht immer'. Und ich habe das Gefühl, dass ist da zur Leitlinie des Journalismus geworden: A bissl was geht immer, vor allen Dingen in die eigene Tasche."
Gburek: "Bedauernswerte Einzelfälle sind es ja offenbar nicht und es fehlte hier schlicht und einfach die Kontrolle und das ist eigentlich der Knackpunkt dabei."

Zockende Journalisten, mangelnde Kontrolle, wenig Unrechtsbewusstsein. So verspielen Redaktionen leichtfertig die Glaubwürdigkeit des gesamten Finanzjournalismus.

Tichy: "Ich habe in München das Gefühl, dass die Selbstreinigungsmechanismen nicht ausreichen. Eigentlich müssten wir Journalisten dem Staatsanwalt dankbar sein, dass er eine Arbeit leistet, die wir selbst nicht zustande bringen, nämlich hier kriminelle Machenschaften aus unserem Berufszweig zu entfernen."

 

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 24.11.2010 | 23:15 Uhr

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