Sendedatum: 25.11.2009 23:05 Uhr

Ausbeutung: Casting-Idole und ihre Wirkung

von Josy Wübben

"Dich haben sie bei der Mülltrennung doch auf den falschen Haufen geworfen." - Dieter Bohlen ist nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, Hoffnungen zu zerstören und junge Kandidaten fertig zu machen. Trotzdem waren bei den Massen-Castings der letzten Wochen wieder Zehntausende dabei. Jetzt sucht Deutschland die neuen Superstars - die alten lecken ihre Wunden. Zapp über Aufstieg und Absturz der Einwegstars.

Ausbeutung: Casting-Idole und ihre Wirkung

Am Ansgarikirchhof in Bremen sucht RTL nach neuen Superstars. Nach Jugendlichen, die bereit sind sich vor laufenden Kameras schikanieren zu lassen. Sie glauben an sich - noch.

Ein junges Mädchen in der Schlange vor der Castingshow macht sich Hoffnungen: „Für mich bedeutet DSDS eine Chance auf jeden Fall irgendwie was zu erreichen, was so mit Singen zu tun hat.“ So sehen es auch die anderen in der Reihe: „Und die Chance wollte ich gerne nutzen. Also das bedeutet mir schon einiges.“ „Musik ist mein Leben, von daher gehört DSDS mit dazu.“ „Ich verspreche mir, dass ich hoffentlich weiterkomme und mein Ziel erreiche, ein Superstar zu werden.“ 

Der Traum wird zur Farce

Er war ein Superstar: Martin Kesici. Vor einigen Jahren war er berühmt als Sieger der Casting-Show von Sat1. Auch für ihn damals ein Traum. Heute eine Farce. Martin Kesici, Gewinner der Sendung “Star Search“: „Die Wahrheit über Castingshows ist, dass es nur noch eine reine, ich sag mal, fast eine Telenovela geworden ist. Da ist das Drehbuch von vorne bis hinten geschrieben. Von Anfang an steht fest, wer die letzten Kandidaten, so die zehn, zwanzig letzten Kandidaten sind. Wer bekommt welche Rolle? Wer ist für uns der Favorit in der Band. Also ich kann Ihnen meistens schon sagen, unter den letzten sechs wer eigentlich schon gewinnt. Das weiß ich automatisch.“

Falsche Hoffnungen

Die jungen Mädchen in der Schlange wollen das nicht wahrhaben, machen sich noch Illusionen. Und sie glauben zu wissen, wie sie ihr Ziel erreichen können: „Dass man immer an sich glauben muss und dass man die Familie braucht, um das zu schaffen.“ „Dass man halt an einer Sache dran bleibt und die dann weiter verfolgt.“ „Dass jeder Mensch, egal aus welcher Schicht er kommt, was erreichen kann mit seinem Talent. Das kann man da mitnehmen.“

Ein Irrglaube, wie Medienwissenschaftlerin Maya Götz meint: „Jugendliche haben das Gefühl, sie lernen hier wirklich was. Die nehmen sich praktisch wie so Leitsprüche, wie Poesiealbensprüche klingen die: So, du musst immer an Dich glauben. Du musst das Beste aus Dir rausholen. Und so was ist wirklich das, was sie sich rausnehmen, aus diesen Shows. Dabei orientieren sie sich ganz stark an dem, was Herr Bohlen sagt, orientieren sich ganz stark an dem Schönheitsideal von Frau Klum.“

Klum und Bohlen: Fragwürdige Vorbilder

Heidi Klum und Dieter Bohlen: In ihren inszenierten Shows spielen sie sich als Scharfrichter auf. Nicht um Talente zu fördern, sondern um eine gute Quote zu machen. Maya Götz, Medienwissenschaftlerin: „50 Prozent der Mädchen, die regelmäßig „Germany´s Next Top Model“ gucken, sagen von sich: Ja, ich könnte das machen. Und es ist durchaus etwas, was auch eine Berufsperspektive gibt, was aber rein faktisch nicht der Fall ist. Denn wie viele Models brauchen wir in unserer Gesellschaft? Und: Ist das überhaupt ein Berufsbild, was in irgendeiner Weise positiv ist, was wirklich eine Zukunftschance hat? Da muss man ganz klar sagen: Nein, ist es nicht.“

Aber Heidi Klum gaukelt Chancen vor und erteilt Lektionen, wie man ein Star wird. Videoausschnitt: Heidi Klum: „Also der Körper muss sich schon weiblich bewegen können und das Gesicht dementsprechend auch sexy rüberkommen“ Die zwanzigjährige Marie hat das verinnerlicht: „Also meine Hausaufgaben sind jetzt weiter am Laufsteg zu arbeiten, an meinem Ausdruck, dass ich richtig sexy aussehe.“

Je schwächer ein Kandidat, desto mehr kann sich Dieter Bohlen profilieren. Gerade deswegen ist er für viele der eigentliche Star. Junge in Schlange vor Castingshow: „Ich bin ein Fan von Dieter Bohlen, großer Fan sogar. Ich finde den einfach super.“ Anderer Junge: „Er ist ein ehrlicher Mensch. Er sagt ganz ehrlich seine Meinung.“ Junges Mädchen: „Seine Sprüche sind auch witzig, auf jeden Fall. Ich hätte gern so einen Daddy wie Dieter Bohlen.“ Dazu die Medienwissenschaftlerin Maya Götz: „Gerade die Jungen halten ihn für ausgesprochen natürlich und ehrlich und finden das einfach gut auch die Art, wie er Menschen kritisiert. Sie haben zum Beispiel das Gefühl, von ihm kann man besonders gut lernen, wie man mit Freunden umgeht und das ist ja eigentlich genau das, was man von ihm nicht lernen sollte.“

 „Ich habe vorhin Schnitzel gegessen mit Gurkensalat und der Gurkensalat war musikalischer als Du.“ So oder ähnlich kommentiert Bohlen die Vorträge beim Massen-Casting. Dazu Maya Götz, Medienwissenschaftlerin:„Jugendliche sind sich so sicher, dass hier die Realität gezeigt wird, dass sie das überhaupt nicht durchfragen. Und das ist genau eines der Probleme, denn es wird nicht die Realität dargestellt. Es wird die Realität inszeniert.“

Kesici rechnet ab

Wie skrupellos Realität inszeniert wird, hat Martin Kesici zu spüren bekommen. In seinem Buch „Sex, Drugs & Casting-Shows“ rechnet er ab mit Machern und Methoden: „Zum Beispiel will natürlich auch die Plattenfirma speziell, dass man natürlich so eine Boulevardpresse nutzt wie: Martin, jetzt bist du mal mit Deiner Frau auseinander und dann bist Du wieder mit ihr zusammen nach drei Tagen. So was haben wir aber nie gemacht, weil ich wollte absolut solche privaten Sachen raushalten.“ Trotzdem fand sich Martin Kesici eines Morgens als Privatperson auf dem Titel der Bild wieder, die Schlagzeile: „Sex-Skandal bei Sat1“. Kein Zufall, sagt Martin Kesici: „Der Hintergrund war einfach, dass uns der Sender einen Entspannungsabend machen wollte, so: Hey, Ihr seid die letzten drei, geht mal so richtig Party machen, bevor der Ernst des Lebens anfängt und wir sind dann in einer dicken Limousine durch Berlin gefahren worden.“ Irgendwann ging es in ein Strip-Lokal. Mit einem Bild-Reporter im Gefolge. „Wir hatten auch noch keine Ahnung. Und der hat natürlich denn, als wir leicht alkoholisiert waren, auf die schönen Bilder gewartet oben im Separee und das war dann auf Seite eins: Bild bunt, über dem Knick.“

Keine Schnappschüsse, sondern bis ins Detail inszenierte Bilder. Für Sat1 eine perfekte Werbung - auf Kosten der Kandidaten. Die Pressemeute stand immer bereit, erzählt Kesici: „Bestes Beispiel: Wir hatten mal einen Unfall. Ich und meine damalige Freundin Maureen und da war das Kamerateam fast schneller am Ort als der Krankenwagen. Mit Rippenbrüchen und Platzwunde, hier (zeigt auf seine Stirn) ist immer noch ein bisschen Glas drinne. Oder auch, dass der Reporter einer gewissen Tageszeitung fast bis ans Krankenbett kam mit nem Arztkittel. Habe ich mir gedacht: Hallo! So berühmt möchte man doch eigentlich nicht sein.“

Hauptsache: Quote

Sie träumen immer noch vom Berühmtsein. 32.000 Kandidaten haben sich für die neue Staffel von  „Deutschland sucht den Superstar“ beworben. So viele wie noch nie zuvor.

Sie  alle verbindet derselbe Traum: „Ich guck das schon seit der ersten Staffel und war immer gefesselt vor dem Fernseher, habe immer alles mitgeguckt. Und immer halt ein großer Wunsch gewesen, mitzumachen und mal weiterzukommen.“ „Ich möchte einfach mal von einer Jury hören, was die dazu meinen, weil Freunde sagen immer, das klingt super.“ „Dabeisein ist alles. Das ist eigentlich alles. Hauptsache, ich war dabei.“ Hauptsache, Quote. So lange die stimmt, wird RTL das Superstar-Spektakel weiter auf die Spitze treiben. Auf Kosten naiver Nachwuchstalente.

 

Dieses Thema im Programm:

ZAPP | 25.11.2009 | 23:05 Uhr

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